Was ist Wahrheit? Die alte Frage der Philosophie. Es geht um das Verhältnis dessen, was man wahrnimmt, zu dem, was wahrgenommen wird. Entsprechend gibt es unterschiedlichste Antworten. Manche legen Wert auf die Übereinstimmung des Wahrgenommenen und Kommunizierten mit dem Gegenstand, das heißt man nähert sich argumentativ der Wahrheit an, andere legen Wert darauf, dass es eine sprachliche Übereinstimmung ist – wahre Sätze -, andere legen das Gewicht auf den Wahrnehmenden, das heißt Wahrheit ist immer subjektiv, andere legen das Gewicht auf den Zusammenhang von Wahrheit und der jeweiligen Kultur, Tradition, Sprache usw. usw. usw.
Biblisch ist zu sehen, dass Wahrheit aus jüdischer Tradition mit Vertrauen verbunden wird, mit Gewissheit. Die Gewissheit steht in Bezug zu Gott. Was Gott sagt, sein Handeln – das ist Wahrheit, weil eben Wahrheit mit Gott konnotiert ist. Außerhalb von Gott gibt es keine Wahrheit. Und: Der Mensch kann nicht erkennen, was Wahrheit ist.
Hier geht es also nicht darum, ob der Satz wahr ist. Es geht hier auch nicht um Experimente, die – aus der jeweiligen Perspektive der Zeit – auf eine einzige Art und Weise interpretiert werden können.
Die biblische Dimension dessen, was Wahrheit ist, entspricht nicht der säkularen Definition, zu der es ja gehört, sich von Gott zu emanzipieren, Gott auszuschließen. Im säkularen Verständnis von Wahrheit kann Gott nichts mit Wahrheit zu tun haben. Er ist weder experimentell beweisbar, noch ist er argumentativ logisch, mathematisch beweisbar – er ist keine Sache, von daher entzieht er sich der Sprache und somit ist er „unwahr“. Kurz: Diese oben genannten säkularen Vorgaben treffen auf Gott nicht zu. Das bedeutet, dass das biblische Verständnis von Wahrheit sich von dem gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Verständnis von Wahrheit oder den verschiedenen philosophischen Interpretationen von Wahrheit unterscheidet. Der Wahrheitsbegriff ist nicht fix. Die moderne säkulare Interpretation von Wahrheit hat sich auf Basis einer Strömung griechischer Philosophie (siehe unten) erst im Laufe der Zeit entwickelt, im Laufe des säkularen Nachdenkens über Wahrheit – in ihrem Versuch, sich von der religiösen Interpretation von Wahrheit zu lösen.
Diese säkularen Versuche Wahrheit zu definieren werden dem christlichen Verständnis von Wahrheit entgegengehalten. Christliches Verständnis geht mit dem jüdischen davon aus, dass Gott die Wahrheit ist, dass – und so wird im Johannesevangelium der Geist Gottes als Geist der Wahrheit bezeichnet – eben Gott selbst es ist, der sich als Wahrheit in Menschen, in Individuen, die eine Gemeinschaft bilden, offenbaren, einprägen muss. Als Gemeinschaft haben sie die Glaubenssprache – auch die über Wahrheit Gottes – gemeinsam, sie teilen sie miteinander, miteinander verstehen sie diese. Gott prägt den Begriff der Wahrheit.
Nun kann man als Mensch dann nach ein paar Jahrtausenden hergehen und sagen: Wir definieren den Begriff „Wahrheit“ um, dann passt er nicht mehr auf Gott, und dann sollen diejenigen, die bislang immer Gott und Wahrheit zusammengebracht haben, beweisen, dass sie es zu recht getan haben. Solche Vorgehensweisen sind in Bezug auf den Glauben heute gängig. Aber man muss ja diese Spielchen nicht mitspielen, sondern eben selbstbewusst dazu stehen, dass der Begriff Wahrheit von Gott her definiert werden muss, wenn man eine umfassende Definition von Wahrheit haben möchte und nicht Teilwahrheiten. Es sind ja alle möglichen Begriffe, die Christen in ihrem Sinne aufgegriffen und weiter entwickelt haben, um ihren Glauben auszudrücken, die dann säkularisiert werden – und als Angriff gegen Christen verwendet werden (z.B. Gott als Person).
Damit man jedoch nicht irgendwann in seiner eigenen Sprache erstarrt und von keinem mehr verstanden wird, muss man freilich versuchen, sich in den säkularen Diskurs einzubringen, muss man versuchen, seine eigene Sicht zur Sprache zu bringen. Das wird ja auch versucht. Letztendlich ist es aber Gott, der als Handelnder sich im Menschen als Wahrheit sichtbar machen muss.
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Es sei noch angemerkt, dass manche Begriffe eben auch überdacht werden müssen. Warum? Denn auch unsere Vorfahren haben aus ihrer Kultur, ihrem Weltbild heraus, das nicht unbedingt religiös richtig war, bestimmte Ereignisse und Gotteserfahrungen interpretiert. So liegt es denn an den jeweiligen Generationen von Jesus-Christus-Nachfolgern, auf Gott hörend, dem Geist der Wahrheit in sich und der Gemeinde Gottes Raum zu geben und im Vertrauen auf Gott den Weg der Wahrheit zu gehen. Paulus spricht vom Evangelium als Wahrheit. Es ist die Frohe Botschaft Gottes. Gottes ist die Wahrheit – nicht ich als Mensch bin die Wahrheit. Von daher ist die Wahrheit für den Menschen nicht verfügbar. Er kann nicht über sie verfügen. Gott ist der Freie. Aber der Mensch kann sich von Gott, der die Wahrheit ist, zur Wahrheit befreien lassen.
Das zeigt uns wiederum, dass wir uns mit den gegenwärtigen säkularen Definitionen von Wahrheit nicht Gott annähern können. Diese Wahrheiten, die gegen Gott errichtet wurden, erschweren es, Gott zu erkennen. Gott ist nicht logisch erfassbar, Gott ist nicht experimentell erfassbar und auch nicht im Diskurs, nicht in der Mehrheitsmeinung der Menschen guten Willens. Die säkulare Interpretation von Wahrheit schließt eben die religiöse von vornherein aus.
Das ist allerdings vom Grundsatz her nicht neu. Nicht die Diskussion um Wahrheit führt letztendlich weiter, sondern das Bekenntnis, das das Johannesevangelium so ausspricht: Jesus ist der Weg, er ist die Wahrheit, er ist das Leben. In dieser Wahrheit bleiben führt zu Freiheit und Leben – ewigem Leben, das jetzt aufgrund des Lebens in der Wahrheit (in Jesus Christus, dem Sohn Gottes) schon beginnt.
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Mit den oben genannten Uminterpretationen geschieht heute säkularisiert das, was Christen auch gemacht haben: Sie haben Begriffe gesucht, mit deren Hilfe sie Glaubenserfahrungen aussprechen konnten, Begriffe, die ihren Glauben am besten wiedergeben können. Dazu verhalf auch das Wort Wahrheit – aus der griechischen Perspektive (hier sehr verkürzt dargestellt): Wahrheit – das, was man sieht. Aber hinter dem Gesehenen finden wir eine weitere Dimension, die verhüllte, verborgene Dimension, die alle Einzeldinge / Einzelwahrheiten zusammenhält, zur einen Wahrheit gehört: das wahre Sein. Und dieses wird dem Philosophen durch den göttlichen Logos, durch das, was alles durchdringt, enthüllt bzw. bewusst gemacht. Wenn nun der Mensch in Übereinstimmung mit dieser Wahrheit des Logos lebt, dann ist er in der Wahrheit. Christen haben aufgrund ihres Glaubens diese Aussagen übernommen und aufgrund ihrer Erfahrungen mit Gott in Jesus Christus neu interpretiert. Sprache und Vorstellungen mussten sich ernst entwickeln, damit der christliche Glaube angemessen zur Sprache gebracht werden konnte. Wenn Jesus Christus im Johannesevangelium als Wahrheit bezeichnet wird, dann heißt das, dass in ihm das Sichtbare/Menschsein/Immanente und das Unsichtbare/Gott/Transzendente – für den Menschen, der die Einheit von allem wahrnimmt – übereinstimmt.
Heute möchte man die Sprache wieder in ihre profane Ebene herabziehen. Was Christen gemacht haben oder Säkularisierte machen, können wir heute als Christen natürlich auch wieder machen: Sprache für Transzendenzerfahrungen öffnen. Das heißt:
Es gilt die gegenwärtigen Interpretationen von Wahrheit – die so neu nicht sind – erneut zu durchdringen und sie für den christlichen Glauben fruchtbar zu machen – und damit Sprache weiter entwickeln, die die Dimensionen des Glaubens formulieren können.
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Das, was Säkulare heute machen, macht Wahrheit nicht unwahr. Es sind jedoch Teilaspekte der Wahrheit, die extrahiert und überbetont werden. Sie werden nur dann unwahr, wenn sie verabsolutiert werden, wenn sie gegen Gott gerichtet werden. So sind naturwissenschaftliche Experimente wichtig, um eine naturwissenschaftliche Interpretation von Wahrheit herauszuarbeiten – aber sie gilt nur, weil sie die Schöpfung betrifft, nicht aber Gott. Entsprechend philosophische Interpretationen von Wahrheit: Sie betreffen das Zusammenleben der Menschen, seine Verortung in der Welt – nicht aber Gott. Wenn sie meinen, Gott als Wahrheit ersetzen zu müssen, übernehmen sie sich und werden unwahr.
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