Deutsche Kriegslieder 2

Im Augenblick bin ich noch zeitpolitisch abstinent. Allerdings juckt es in den Fingern, wieder dies und das zum Zeitgeschehen zu kommentieren, wenn man liest, dass den Deutschen wieder Waschlappen empfohlen werden – von einem angesehenen Ministerpräsidenten.

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Eine Nachbemerkung zu Deutsche Kriegslieder 1: Deutsche Kriegslieder (1914) – Gedichte (wolfgangfenske.de)

Glaubende seit Alters bitten Gott um Beistand gegen die Feinde: Teufel, Welt, Sünde, Tod. Glaubende bitten Gott, dass er ihnen, wenn sie seinen sozialen Willen umgesetzt haben, nach ihrem Sterben annehmen werden. Glaubende bitten um Gottes Führung zur Bewältigung des Alltags. Was wir in den Kriegsliedern finden, das ist eine Umdeutung. Es geht nicht mehr für… – sondern gegen. Wenn Glaubende den menschlichen Feind nach Gottes Willen vernichtet haben, dann möge Gott sie annehmen, wenn sie bei dem, gerechten Kampf sterben sollten, wird Gott sie aufnehmen, da sie ja Gottes Willen getan haben. Was wir hier finden ist eine vollkommene Umkehrung dessen, was im Neuen Testament gelehrt wird. Nicht der Friede, die Gemeinschaft, nach der getrachtet werden soll steht im Blick: Im Blick steht Friede durch Vernichtung, Friede durch Besiegung. Was für eine Verkehrung!

Und diese Verkehrung wird sehr gut ausgesprochen in dem Text von Will Vesper (1882-1962). Er soll vollständig zitiert werden, weil daran erkannt werden kann, wie eine Umdeutung funktioniert. Will (Wilhelm) Vesper war Schriftsteller, Journalist, Literaturkritiker, Landwirt. Er studierte nach dem Abitur Germanistik – ohne Abschluss. Er leistete von 1915-1917 Kriegsdienst. War Mitarbeiter in zahlreichen Zeitungen und Verlagen und Herausgeber zahlreicher Anthologien. Vesper hat 1931 in dem Roman „Das harte Geschlecht“ christianisierte Isländer zu mordenden Rassisten-Christen gemacht. 1931 trat er in die nationalsozialistische Partei ein, vertrat vielfach und heftig die Ideologie, war in Sachsen der Leiter der Reichsschrifttumkammer und hielt im Zusammenhang der Bücherverbrennung in Dresden eine Rede. Er diffamierte mit seiner Zeitung Juden und Verleger wie Schriftsteller, die nicht stramm nationalsozialistisch eingestellt waren. https://www.deutsche-biographie.de/sfz136016.html Nach dem Krieg hatte er weitere Einflussmöglichkeiten. Sein Gedicht, das in dem oben genannten Buch „Deutsche Kriegs-Psalmen“ genannt wird:

Liebe oder Haß?
Ich sah am Kreuze Jesu Christ,
der aller Liebe Vater ist.

und noch in Kreuz- und Todesnot
den Feinden seine Liebe bot.

Es sprach zu mir sein mild Gesicht:
Nun singe Liebe! hasse nicht!

Ich aber hab´ mich abgewandt,
nahm hier die Feder in die Hand

und schreibe her: Ich hasse, Herr!
Aus tiefster Seele hass´ ich, Herr!

Und blick´ dir doch klar in´s Gesicht:
Mein Haß weicht deiner Liebe nicht!

Weil dieser Haß, Herr Jesu Christ,
die Frucht der höchsten Liebe ist.

Mein Vaterland in tiefer Not:
Haß allen Feinden bis in den Tod!

Hieran wird deutlich: Jesus lehrt Liebe – Liebe bedeutet, so der Autor, den Feind zu hassen. Damit wird Liebe umgedeutet. Die Verwendung des Wortes „Herr“ wird hier als Spott verwendet. Wenn ein Mensch Jesus Christus als Herrn anerkennt, dann ordnet er sich ihm unter und schaut ihm nicht frech ins Gesicht mit einer Sichtweise, die Jesus Christus fremd ist.

Laut Otto Herpel: Die Frömmigkeit der deutschen Kriegslyrik, Töpelmann, Gießen 1917,143 stellt Vesper mit seinem Gedicht: Vision in der Schlacht (das mir noch nicht zugänglich ist) vor. Vesper hat eine Vision, in der er Christus sieht, der seine Hand auf das blutende Herz presst und die Heere, die vor ihm knien, segnen möchte. Bevor er das machen konnte, traf ihn eine verirrte Granate. Christus zerfloss ins Leere, sagt aber vorher noch: „Friede auf Erden. Friede sei mit allen“. Herpel interpretiert das so, dass „der Herr der Liebe, durch den Krieg geradezu getötet worden“ sei.

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Zu Otto Herpel

Herpel sieht, dass im ersten Kriegsjahr Gott in Gedichten vielfach genannt wird, Christus aber kaum. Der alttestamentliche eifernde Gott ja, aber: „Haben doch heute noch nicht die zünftigsten Theologen den Krieg mit dem Christentum in eins gebracht“ (womit er ein Zitat aus der Monatsschrift für Pastoraltheologie 1915 anführt) – aber, so Herpel, das habe sich bis 1917 geändert. Zwar wird Christus nicht häufig genannt, aber manche setzen sich doch auch mit ihm auseinander – vor allem unter Berücksichtigung des Opfers. Weiterhin hilft der Glaube an Christus das Leben in der Gefahr des Krieges zu bewältigen. Herpel selbst ist Kind seiner Zeit. Er fragt nicht danach, ob ein Krieg Gottes Wille sein kann – und unterscheidet auch nicht zwischen propagandistischen Gedichten und Gedichten aus individuellem Glauben heraus. Hier und da klingt es an – es wird aber nicht versucht, beides zu trennen.

Laut dieser Seite https://www.lissberg.de/j.-otto-herpel.html wurde Herpel 1917 als Garnisonspfarrer nach Metz geschickt und wurde Pazifist – wurde sogar „wegen defaitistischer Äußerungen“ 1918 nach Posen versetzt. In seinem oben genannten Buch führt er unter dem Thema Pazifismus den Pazifismus des Gefühls an. Als Beispiele nennt er Ina Seidel, so das Gedicht „Der Bruder Tod“, das er allerdings leider nicht zitiert, denn in ihren Gesammelten Gedichten (1937) (**) ist das Gedicht nicht aufgenommen worden. Ihren Pazifismus lobt er. Aber die reflektierten Pazifisten gehen zu ungerecht mit denen um, „die doch den Krieg führen müssen, ohne daß sie ihn wollen“. Die christlichen Pazifisten „setzen die Liebe gleich Gott und den Krieg als dessen unversöhnliche Gegenseite.“ Er zitiert unter anderem ein Gedicht von Olga von Adelung (1864-1952), zu der ich leider keine wesentlichen Angaben gefunden habe: „Im Krieg… da haßt man den Feind / und möchte ihm nehmen Geld und Land – / und Jesus sagt doch: Vergib deinem Feind / und reich ihm in Liebe die Bruderhand.“ Und die Pfingsthymne von Walter Nithack-Stahn (1866- 1942) führt er lobend an. (*) Das heißt, das hier schon der Samenkorn des Pazifismus gelegt wurde, der dann durch die Erfahrungen im Krieg weiter gewachsen ist.

(*) Nithack-Stahn war Pfarrer und Schriftsteller, seit 1908 in der Deutschen Friedensgesellschaft Mitglied und wirksam. 1913 formulierte er mit Otto Umfried einen Friedensappell, den 400 Pfarrer unterschrieben haben – was aber von keiner Tageszeitung aufgenommen wurde. 1917 hat er mit vier anderen Pfarrern eine Erklärung zum Frieden formuliert, die von 160 Berliner Pfarrer abgelehnt wurden: Sieg oder Untergang war die Devise der 160. file:///D:/Downloads2/lebensdaten_walther_nithack_nithack-stuben.pdf

(**) Die Gedichte Ina Seidels aus der Zeit – soweit sie datiert sind – zeigen eher eine melancholische Einordnung des Krieges. Es ist kein Hurra-Patriotismus erkennbar.

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Siehe auch: https://gedichte.wolfgangfenske.de/volkslieder/

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