Deutsche Kriegslieder 3

In wenigen Tagen werde ich meine politische Abstinenz beenden.

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Der kommende Held

Spannend ist das Lied, das der Journalist und Schriftsteller Ernst Leibl (1895-1982) 1917 gedichtet hat (übernommen aus: https://www.volksliederarchiv.de/wir-heben-unsre-haende-aus-tiefster-bittrer-not/ ). Er stand dann später den Nationalsozialisten nahe, trat 1939 in die NSDAP ein und hat nach dem Krieg Einfluss in der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Das Gedicht sei ganz zitiert, weil an ihm etwas verdeutlicht werden soll:

Wir heben unsre Hände
aus tiefster bittrer Not.
Herr Gott, den Führer sende
der unsern Kummer wende
mit mächtigem Gebot
mit mächtigem Gebot

Erwecke uns den Helden
den seines Volks erbarm
des Volks, das nachtbeladen
verkauft ist und verraten
in unsrer Feinde Arm

Erwecke uns den Helden
der stark in aller Not
sein Deutschland mächtig rühret
dein Deutschland gläubig führet
ins junge Morgenrot

Wir weihen Wehr und Waffen
und Herz und Mund und Hand
Laß nicht zu Schanden werden
dein liebstes Volk auf Erden
und meiner Mutter Land

Die Erwartung, dass ein Führer kommen möge, war da. Und weil sie da war, konnte sie blind machen für Realitäten – für Menschen, die sich als Führer ansahen, ausgaben, verehrt wurden. Hitler kam. Schon wenige Jahre später, nachdem das Lied veröffentlicht worden war, begann er sich zu rühren, bis er 16 Jahre später Menschen vernichtete, das Volk ins Unglück führte, Länder verheerte, zum Symbol für Menschenverachtung und Brutalität wurde. Nicht nur, weil er es selbst war, sondern weil er das Schlechte, Bösartige im Menschen weckte, sodass viele seine willfährigen Vollstrecker wurden.

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Ich finde das Gedicht spannend, weil es im Alten Testament einen Bericht darüber gibt, dass das Volk Israel sich einen König wünschte. Gott wollte ihm keinen König geben. Das Volk forderte weiter. Gott erfüllte die Forderung des Volkes, nicht aber, ohne dass sein Diener Samuel dem Volk sagt, was es alles zu erleiden hat, wenn sie einen König haben: die Söhne müssen für ihn arbeiten, im Krieg kämpfen, den Krieg finanzieren. Die Töchter werden weggenommen werden, der Besitz wird weggenommen und seinen Hofleuten übergeben, er wird Steuern eintreiben, um seine Leute bezahlen zu können, usw. „Ihr werdet seine Sklaven sein!“ Dann wird das Volk zu Gott rufen, wegen dieser brutalen Könige, aber Gott wird seine Ohren verschließen. Trotz dieser Warnung wollte das Volk einen König: Dann werden wir auch so sein wie alle anderen Völker (1. Samuel 8). Dann wird über die Könige berichtet, die sich an Gottes Willen orientierten, und die Könige, unter denen das Volk besonders zu leiden hatte. Es kam dann nicht mehr auf Gott an, obgleich er sein Volk begleitete, – sondern auf den jeweiligen Menschen: Hat er Gottes Willen getan oder nicht? Der König war also nicht mehr automatisch „der Wille Gottes auf der Erde“. (Dass die Darlegungen Probleme beinhalten, sei hier nicht weiter vertieft – dazu s. : https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/mensch/frieden-krieg-1/ )

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Von Ina Seidel gibt es in ihrem Gedichtband: Neben der Trommel her, Gedichte von 1915 auf Seite 13 ein „Deutsches Winterlied“. In diesem besingt sie den Winter und dass die Deutschen anders als die anderen dem Winter standhalten, weil sie so heiß, heldenhaft und stark sind. Die letzte Zeile lautet: „Deutscher Winter, komm über die Welt!“ – und der deutsche Winter kam, aber anders als gedacht. Von daher hat das Gedicht wohl keinen Eingang in die Gesammelten Gedichte aus dem Jahr 1937 gefunden (es sei denn, es hat einen anderen Titel bekommen).

Aber nicht nur der Deutsche Winter wird erfleht, sondern es wird der Einzige erwartet, der „aus der Tiefe“ kommt, emporschwillt „auf dem Odem des Todes“. Es schließt: „Völker müssen im Blut vergehen, / Um uns den einen Helden zu reifen.“ In den Gesammelten Gedichten von 1937 wird „einen“ gesperrt gedruckt: „Um uns den e i n e n Helden zu reifen.“ Sie als Hitler-Prophetin?

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Was schließen wir daraus? Mensch, pass auf deine Sehnsüchte auf? Welche Erwartungen einer Gesellschaft greifen wir auf, verstärken sie – die dann auf politische Abwege führen – müssen/können? Wir kennen die Zukunft nicht, müssen darum sehr vorsichtig sein mit dem, was wir sagen und tun? Die Folgen können wir oft nicht abschätzen. Sind wir dennoch verantwortlich?

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