Christen + Menschenrechte 6

Fazit

a)

Natürlich ist die Situation der Neuzeit eine andere. Es ging im Mittelalter um die Auseinandersetzung von Adel und König, Kirche und Herrscher. In der Nachreformationszeit ging es darum, dass die unterdrückten Christen sich gegen andere Christen und deren Herrschaften behaupteten – und zwar mit Hilfe der Bibel. Aber die dort entstandene Argumentation wurde in der Moderne aufgegriffen und säkularphilosophisch und säkular-metaphysisch („höchstes Wesen“, Naturrecht) transformiert. Aber auch das nicht ohne politischen Zeitbezug: Hier ging es um den Kampf gegen den absolutistischen Staat, als deren Gehilfe die Kirche angesehen wurde. Die Zeitgeschichte wie die Rezeptionsgeschichte dürfen nicht übergangen werden. Das gilt auch für die UN-Menschenrechtserklärung. Aber die Argumentation der Christen hat sich bis ins 20. Jahrhundert hinein in die Bewegung der Schwarz-Amerikaner hinein behauptet und große Wirkung entfaltet, sichtbar an Martin Luther King und vielen anderen dieser wirksamen Bewegung, die aber immer wieder neuen Schwung bekommen muss.

Gleichzeitig darf man freilich nicht leugnen, dass es in weiten Kreisen der Kirchen bis in die höchsten Kreise (Papst/Kirchenleitungen) immer wieder Widerstand gegen die Freiheitsbestrebungen bzw. gegen die Durchsetzung einzelner weiterer Menschenrechte gab. In diesen Zusammenhängen spielte die Machtfrage eine große Rolle, die Kirchenmenschen verblendete, sodass sie die Argumentation auf der biblischen Basis ablehnten. Gerade aber diese Ablehnung förderte das argumentative Durchdringen und Begründen der Menschenrechte. Hier wurde im Wesentlichen die Westkirche dargestellt. Die Situation in der Ostkirche sieht wohl anders aus, aber darüber weiß ich zu wenig.  

b

Es wird hier deutlich, dass sich Menschenrechte langsam entwickelten. Die Vorfahren wussten noch, wem sie die Menschenrechte zu verdanken haben. (Auch noch Hegel erkennt, dass erst der christliche Glaube den Menschen als ein freies Wesen ansieht, weil vor Gott alle Menschen frei sind, Jesus Christus den Menschen befreit hat.) In der Aufklärung hat man die Argumentation dann langsam vom christlichen Glauben gelöst – ganz im Sinne des Säkularismus, dass man Gott nicht in die Argumentation einbeziehen darf. An die Stelle Gottes rückte dann das unbestimmte Naturrecht. Unbestimmt bedeutet: Es darf nicht mehr hinterfragt werden.

Den christlichen Denkern vorzuwerfen, dass ihr Denken keinen Widerhall in der Realität hatte, ist insofern absurd, als das Denken der Philosophen immer der Realisierung vorausgeht. Wie lange dauerte es, bis manche Vorstellungen von Kant oder anderer Philosophen realisiert wurden? Und viele Menschenrechte von vor 200/300 Jahren harren noch immer der Realisierung. Obgleich dieser Vorwurf keinen Anhaltspunkt hat, wird er von vielen einfach unbegründet wiederholt. Zudem ist es nicht nachvollziehbar, dass Christen sich etwas ausgedacht haben, und davon ausgegangen sind, dass es irdisch nicht umgesetzt werden müsse. Man denke an Jesus, an Paulus, an die Ermahnungen des Jakobusbriefes und der Apokalypse, an die Apologeten, usw. usw. Natürlich ist das Verhältnis zu den Herrschern vielfach eines der Unterwürfigkeit, was allerdings schon durch Propheten und dann später auch im heidenchristlichen Bereich massiv durch Ambrosius unterlaufen wurde: Auch der Herrscher gehört Gott – er ist nicht Gott. Dass der christliche Glaube den Einzelnen anspricht und nicht den Staat – also das Kollektiv – vor Forderungen stellt, dürfte damit zusammenhängen, dass zumindest in den ersten Jahrhunderten Christen in der Minderheit lebten. Da ging es darum, dass der Einzelne seine neue Sicht lebt und trotz Angriffen, unter denen sie als Minderheit leiden mussten, nicht müde wird, sozial zu leben. Je stärker der christliche Glaube sich durchsetzte, desto stärker wurden auch die Forderungen an die Herrscher. In den ersten Jahrhunderten spielten die Herrscher – je nach Schicht und lokalen Gegebenheiten – kaum eine Rolle, weil sie mit dem Alltag des normalen Menschen wenig zu tun hatten. Das änderte sich dann massiv, als nationale Interessen in den Vordergrund traten. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Auseinandersetzungen vor allem in England stattfanden.

c

Der krampfhafte Versuch der Säkularisten die Menschenrechte von der christlichen Tradition des Westens zu lösen, kommt nicht von ungefähr. Ist sie doch der Versuch, den Menschen von Gott abzuwenden. Und so lange Menschenrechte von Gott bzw. dem Glauben an Gott, der sich in Jesus Christus dem Menschen zugewandt hat, hergeleitet werden, kann man nicht mit atheistischer Diktion sagen, dass die Religion nur Elend bringt, weil sie übel ist. Mit Feuerbach: Der Mensch konzentriert sich auf den Menschen, der Mensch kann alles, macht alles – er erschafft sich selbst Gott. Und weil der Mensch alles kann und macht, muss er sich, ganz nach Nietzsche, zum Übermenschen (also unabhängig von den Vorgaben Gottes) weiterentwickeln. Das heißt: Auch letztlich losgelöst vom Naturrecht. Das Beharren auf das Naturrecht mancher, wird sich angesichts des Anthropozentrismus und der damit verbundenen Ablehnung des metaphysischen Naturrechts, auch säkular-atheistisch nicht mehr lange aufrechterhalten lassen.

d

Die Bezüge zum christlichen Glauben scheinen nur von historischem Interesse zu sein. Hauptsache, die Menschen erringen die Menschenrechte und können in ihnen leben. Dem ist aber leider nicht so. Wenn die Menschenrechte nicht durch Argumente gestützt werden, kann es Zeiten geben, in denen Gegenargumente gesucht und gefunden werden. Das hieße: Ohne Fundament der Menschenrechte kann man sie leichter umstoßen. Es bleibt zu hoffen, dass die säkulare Argumentation noch lange überzeugt. Für den Fall, dass nicht, ist es gut zu wissen, dass sie auf einer anderen Basis stehen, die in die Diskussion eingebracht werden kann. So zeigt ja schon Peng-chun Chang, dass er Konfuzius aus der Perspektive der westlichen Menschenrechte liest – aber genauso gut kann man, weil die Basis „Gott“ fehlt, die Menschenrechte aus der Perspektive des Konfuzius interpretieren – dann sind sie aber nicht mehr das Befreiende.

Kurz: Die Aufgabe von Christen sehe ich darin, weiterhin die christliche Grundlage der Menschenrechte darzulegen, damit zumindest Christen nicht mehr hinter die bislang errungenen Menschenrechte zurückfallen, nur weil die Säkularen um Argumente ringen.

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