Vorüberlegungen zur Annäherung an Jesus

Früher dachte man, dass alles, was wir im NT finden, tatsächlich von Jesus gesagt wurde und zwar so, wie wir es in den Evangelien geschrieben finden.

Dann begann die Jesusforschung und es wurde deutlich, dass wir differenzierter Denken müssen. Das dürfte aber vielen auch vorher deutlich, gewesen sein, wenn sie die Evangelien kritisch gelesen haben: Denn das ist das Besondere an unserem Glauben: Wir haben vier Evangelien, die nicht in allem konform gehen. Darum ist gerade diese Tatsache, dass die frühe Kirche vier Evangelien als Maßstab überliefert hat, etwas, das nicht unterschätzt werden darf – auch für die Vielfalt der Konfessionen.

Das kritische Lesen der Moderne hat unterschiedliche Vertreter gefunden. Manche sagen: Man weiß gar nichts mehr über Jesus, manche sagen: Man weiß nur sehr wenig über Jesus, manche sehen mehr richtig Überliefertes, manche sehen ganz viel richtig Überliefertes. Und so wird darüber diskutiert, was auf Jesus zurückzuführen ist, was im Laufe der Tradierung verändert wurde. Das alles wird mit Hilfe von Methoden erarbeitet, die im Laufe der Jahrhunderte immer stärker ausgefeilt wurden und noch ausgefeilt werden – auch mit Hilfe anderer Fachbereiche (z.B. Linguistik, Geschichte…).

Maßstab ist: Was denken wir heute. Was ist unserer kritischen Vernunft gegenüber zugänglich? Zudem haben wir aber auch gemerkt, dass unsere Vernunft Vernunft des jeweiligen Individuums und seiner Weltdeutung ist. Manchmal scheinen sich viele Individuen zu einigen – aber das ist dann jeweils immer nur eine Frage der Zeit, wann die Einigung wieder brüchig wird. Wir sind immer Teil des jeweiligen Abschnitts in der Geschichte, in der wir leben. Wir stehen nicht über ihr, auch wenn manche es meinen sollten. Denn auch das, was „die Vernünftigen“ in ihrer Zeit erarbeitet haben, ist nur ein Schritt auf einem langen Weg der Menschheitsgeschichte – aber eben auch der Menschheitsgeschichte mit Gott bzw. Gottes Geschichte mit dem Menschen. Darum benötigen wir das freie und ruhige Gespräch mit anderen, die deuten, erklären, die Welt aus anderen Augen sehen als ich sie sehe.

Die Gefahr besteht, dass wir uns Jesus zurechtbasteln – einen Jesus anstreben, der uns passt, der uns nicht gefährlich werden kann. Einen Zeitgeist-Jesus, modern, ganz so wie wir uns sehen. Doch Jesus ist nicht immer leicht zu haben – so nah er uns auch kommt. Er ist nicht einfach unser Spiegelbild. Er ist fremd – so leicht er sich auch manchmal fassen lässt. Er schenkt uns Unruhe – obgleich er uns ruhig werden lässt. Vor Fehldeutungen bewahren uns auch Methoden nicht. Denn die Methoden sind Ausdruck unserer Unzulänglichkeit als Menschen. Entsprechend denken manche, sie hätten Jesus fest im Griff, methodisch und sonstwie – doch dann bekommt er es mit dem freien Gott zu tun, der ihm verdeutlicht: Mensch, du hast mich nicht im Griff. Du hast ja selbst dich nicht im Griff. Und wer meint, er habe Jesus fest im griff, bekommt es mit freien Menschen zu tun, die den griff lockern wollen und vielleicht auch können. Jesus Christus kann man nur erkennen, indem man sich ihm zuordnet.

So ist Jesus Christus lebendig, hält uns in Bewegung, jede Zeit neu – auch durch andere Menschen. Man kann sich freilich auch Jesus vom Hals halten, indem man sagt: Wir wissen sowieso nichts über ihn, oder: Er ist eine Figur der Vergangenheit, was interessiert sie uns heute? Diese Reaktionen betreffen nicht nur Jesus. Sie gelten auch andere Personen der Vergangenheit, zum Beispiel: Sokrates oder Siddharta Gautama (Buddha). Sokrates / Buddha interessiert uns nicht, wir wissen kaum etwas über sie, die Zeit, in der sie lebten, war eine ganz andere… Aber solche Aussagen zeigen, dass man nicht begriffen hat: Wir Menschen heute leben auf den Schultern der Vorfahren. Wir sind nicht einfach in der Gegenwart vom Himmel gefallen. Die Vorfahren haben Dinge formuliert, die uns heute noch weiterbringen können, weil sie etwas begriffen haben, was wir selbst erst noch verstehen müssen. Wir lesen immer unsere Zeit in die Vergangenheit hinein – aber gleichzeitig bringen die Menschen der Vergangenheit unserer Zeit Neues. Das gilt auch in besonderer Weise für die Beschäftigung mit dem Menschen Jesus von Nazareth. Mehr noch: Jesus Christus. Einmal hat er die Menschheit bewegt wie kein (?) anderer, auch in einem langen Zeitraum, zudem glauben Christen, dass er als auferstandener Sohn Gottes bis in die Gegenwart und die Zukunft hinein wirken wird. So leicht wird man Jesus Christus also nicht los, indem man ihn einfach übergehen möchte.

Über die Biographie Jesu habe ich schon geschrieben – in nächster Zeit wird in lockerer Folge die Lehre das Thema sein. Diese Lehre ist nicht unabhängig von seiner Zeit zu beurteilen. Wie dachten die Menschen damals? Wie legten sie die Schriften aus? Wir Menschen deuten alles – wie deuteten sie? Welche Deutung wird Jesus gerecht, welche nicht? Welche Probleme gab es in der Gesellschaft? Worauf reagierte Jesus? Wie reagierte er? Zudem stellt sich immer wieder die Frage: Wie wurden die Worte, die Jesus lehrte, aufgenommen, verändert, ergänzt, gekürzt? Manchmal kann man das ganz genau an den Überlieferungen der Evangelien beobachten, manchmal macht man sich Gedanken, weil man im Gefühl hat, dass der Stil sich ändert.

Aber ist diese Frage überhaupt wichtig? Geht es nicht allein um den Glauben? Wollten die Evangelisten nicht predigen – und wir setzen den Hebel falsch an, wenn wir nach Geschichte suchen? Die Evangelien selbst sehen Bezüge zu der Geschichte. Und von hier aus gesehen setzen sie selbst das Vorzeichen für unser kritisches Überlegen. Sie wollen keinen religiös-spirituellen Mythos verbreiten, sondern Gott wird Mensch in einer historisch einzuordnenden Zeit. Manche überlegen aber so, dass sie nur das historisch Nachweisbare gelten lassen wollen, weil sie den Glauben ablehnen. Damit haben wir aus christlicher Sicht Extreme gekennzeichnet: Diejenigen, die den Glauben so betonen, dass historisch-kritische Exegese abgelehnt wird, und diejenigen, die auf der anderen Seite den Glauben ablehnen, weil sie nur das Historische in den Blick bekommen wollen. Ein Schritt weiter gehen manche und sagen, weil Historisch wenig sicher ist (was so pauschal nicht stimmt), weil die Evangelisten Historisches mit Glauben vermischen, ist im Grunde nichts relevant, weder ihre historischen Aussagen noch das, was sie zum Glauben sagen. Es gibt also unterschiedliche Weltanschauungen und Zugänge zur Frage: Wer war dieser Mensch – wer ist dieser Jesus Christus? Was hat er mir heute zu sagen? Welchen Einfluss hat er auf die Gesellschaft – welchen soll er/soll er nicht haben?

Zudem: Häufig wird Jesus Christus abgelehnt – nicht weil Jesus selbst im Fokus steht, sondern die Kirche(n). Menschen haben mit den Kirchen ein Hühnchen zu rupfen – und sie meinen, das könnten sie am besten tun, indem sie ihnen die Basis entziehen – also den Jesus Christus unter den Füßen wegziehen. Das muss man auch immer berücksichtigen. Nicht jedem Jesus-Kritiker geht es also wirklich um Jesus. Von daher muss die Kirche auch immer wieder fragen: Berufen wir uns zu recht auf Jesus Christus? Wo haben wir uns entfernt? Können wir es verantworten, uns von ihm entfernt zu haben? Sind wir dann noch „christliche“ Kirche? Das Wort Kirche kommt von „Kyriakä“ – das heißt: dem Herrn (Jesus Christus) gehörend. Gehören wir noch ihm? Wollen wir ihm gehören? Von daher ist die Beschäftigung mit Jesus Christus auch für die Glaubenden immer ein Wagnis, weil sie auf einmal feststellen könnten: Jesus ist mir fremd. Ich habe mir einen eigenen Jesus zusammengedacht, einen Zeitgeist-Jesus, einen National-Jesus, einen rassistischen Jesus, einen… Übrigens habe ich den Eindruck, dass manche auch dadurch Geschichte schreiben möchten, indem sie sagen: Diesen Jesus hat es nicht gegeben, er ist irrelevant usw. Das heißt: Manche versuchen mit einem Kinderschäufelchen den Mount Everest abzutragen.

Das, was die kritische Exegese erarbeitet, ist nur ein Aspekt des Glaubens. Sie kann Glauben nicht ersetzen. Aber sie kann dazu beitragen, den Glauben verantwortlich und argumentativ zu vertreten. Aber der Glaube sprengt immer den Rahmen des historisch-kritischen. Er lässt sich die Bedingungen nur begrenzt diktieren.

Allein schon an dieser Vorüberlegung wird deutlich: Das Vorhaben sprengt einen Blog (wie viel 1000 Seiten haben inzwischen die sechs JesusBücher von J. P. Meier erreicht?). Darum müssen ein paar Aspekte der Lehre herausgepickt werden.

https://www.wolfgangfenske.de/impressum-datenschutz.html und www.blumenwieserich.tumblr.com

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