Eine Diskussion zwischen Broder und Raue über den Weg, den Merkel mit den Flüchtlingen gegangen ist: http://www.welt.de/politik/deutschland/article155155969/Was-machst-du-bitte-in-dieser-gruseligen-Runde.html
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Nächstenliebe – ja, ohne Einschränkung.
Aber Nächstenliebe, die nicht Realitäten berücksichtigt, kann sie wirklich Nächstenliebe sein?
Nächstenliebe beinhaltet für mich auch Verantwortung tragen.
Nächstenliebe, die andere zwingt, meine Definition von Nächstenliebe aufzunehmen, kann sie wirklich Nächstenliebe sein?
Nächstenliebe, die Chaos, Zerrissenheit, Zerstörung zur Folge hat, kann sie wirklich Nächstenliebe sein?
Nächstenliebe, die andere oder die gesellschaft ins Messer laufen lässt – kann das Nächstenliebe sein? (Ich halte es da eher mit Bonhoeffers Rad.)
Erst Nächstenliebe – dann denken? Oder: Erst in Liebe denken und dann verantwortlich handeln?
Es ist eine schlimme Welt, in der man so fragen muss, in der die reine Nächstenliebe auch Schlimmes verursachen kann – aber die Welt ist nun einmal so, wie sie ist.
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Zur konkreten Situation:
Fehler rächen sich: Fehler in der Nahost-Politik (Syrien, Irak, Türkei). Fehler in der EU-Wirtschaftspolitik. Fehler darin, dass Russland und der Westen nicht gemeinsam agieren. Fehler der UN und der UN-Länder, die Flüchtlingscamps nicht genügend unterstützt zu haben und die Aktivitäten kontrolliert zu haben (Nahrung, Wasser, Bildung, Tätigkeiten – weder in der Türkei, noch in Jordanien, im Libanon, Griechenland). Fehler die Rebellen und Islamisten unterstützt zu haben. Fehler, die islamischen Staaten, die uns das alles mit eingebrockt haben, nicht dazu zu drängen, Verantwortung dadurch zu übernehmen, dass sie Flüchtlinge aufnehmen oder zumindest helfen, die Lage zu finanzieren. Europa versucht alles allein hinzubekommen – dabei ist es nur mitschuldig.
Damit hat man denen Auftrieb gegeben, die Menschen erniedrigen und für ihre politischen Machenschaften missbrauchen. Diese Fehler hat man gemacht: Versucht man das jetzt wieder gut zu machen?
Und weil man diese Fehler gemacht hat, haben wir das schlimme Dilemma: Flüchtlingen helfen wollen und müssen – aber letztlich einsehen, dass man nicht so helfen kann wie man möchte, wie man aus moralischer Perspektive helfen muss.
- Es geht darum, den Hilfswillen der Bevölkerung zu stärken – dann ist sie auch bereit, viel zu tun. Aber man kann nicht als Lobby nun beginnen, die eigenen menschenfreundlichen Sichtweisen der Bevölkerung aufpressen zu wollen. Das geht nach hinten los. Politik muss die unterschiedlichsten Interessen unter einen Hut bringen – das ist die Kunst der Politik. Und wenn sie das nicht schafft, dann zerreißt es die Gesellschaft. Wie wir sehen.
- Aber dazu gehört es auch, dass die Politik Wege findet, diejenigen, die der Bevölkerung wie den Zugereisten schaden, aus dem Verkehr zu ziehen.
- Unser Land könnte mehr machen – aber die Verwaltung ist noch lange nicht so weit. Und so lange die Verwaltung nicht so weit ist, müssen die Menschen, die voller Hoffnung zu uns geflüchtet sind, leiden. Und das ist das, was auch vermieden werden muss. Die Politik muss mit allen klugen Köpfen Wege finden, damit die Verwaltung schneller handeln kann. Im Augenblick hört man nicht viel davon – nur hier und da hört man, dass es immer noch nicht klappt.
- Um den Zugereisten auch die Möglichkeit geben zu können, dass sie sich in unserem Land, das sie ersehnt haben, integrieren zu können, muss man zusehen, dass nicht wieder alle Hilfskräfte überrannt werden. Hat die Politik Vorkehrungen dazu getroffen, bevor Erdogan wieder die Schleusen öffnet? Klappt es inzwischen mit den Ausweisungen derer, die nicht geflohen sind, sondern aus anderen Gründen hierhergekommen sind, damit man wahre Flüchtlinge menschenwürdig aufnehmen kann?
Was ist Integration?
Integration bedeutet für mich nicht Aufgabe der Religion, der Kultur – aber Aufgabe des Versuchs, die Religion als politisches Machtmittel einzusetzen, die anderen zu zwingen oder die neue Gesellschaft dazu anzutreiben, der eigenen Religion oder den eigenen kulturellen Gepflogenheiten sehr viel Raum zu gewähren.
Integration bedeutet für mich:
- Sich mit den Menschen des Landes unterhalten zu können, die Gesellschaft mitzuhelfen aufzubauen auf den unterschiedlichsten Ebenen sich für sie einzusetzen (sozial, künstlerisch, religiös, beruflich, gewerkschaftlich, politisch), sich weiterbilden zu wollen, wirklich Interesse daran zeigen, einen Beruf zu erlernen – auch wenn sich manche kulturelle Sitten dagegen sträuben (nur Frauen müssen arbeiten) -, sich an die moralischen Gepflogenheiten des Landes anpassen – und da unsere Gesellschaft einen breiten Raum lässt, auch mit der Möglichkeit, viele Besonderheiten ausleben zu können, ist es möglich.(Es geht wirklich nicht darum, dass man nun essen muss, was die anderen essen, anzuziehen, was die anderen anziehen usw.)
- Integration bedeutet für mich, die Errungenschaften, die wir mit Blick auf die Würde des Menschen erreicht haben, die Gleichheit der Menschen, die Freiheit, die Gerechtigkeit, nicht wieder einzureißen, sondern im Gegenteil: Sie weiterzuführen. Wir sind noch lange nicht am Ziel – aber zurück dürfen wir nicht. Das gilt für das Zusammenleben der Geschlechter, das gilt dafür: Jeder trägt Verantwortung – eine Gemeinschaft darf nicht das Individuum zwingen, sie muss Freiraum gewähren, das gilt für Religionsfreiheit und (!) freie Meinungsäußerung, Freiheit der Medien und der Kunst, man muss Kritik aushalten können, auch wenn sie noch so ungerecht ist, alle sollen die Möglichkeit haben, sich gemäß seiner/ihrer Gaben zu bilden und einen entsprechenden Beruf ausüben zu können, Bewegungsfreiheit ohne Kontrolle durch die (männliche) Familie, Freiheit in der Partnerwahl. Das gilt ebenso für: Unversehrtheit des Körpers (gegen Körperstrafen), kein Zwang, sich kulturell/religiösen Seilschaften anschließen zu müssen…
Die Politik muss versuchen, die Möglichkeit dazu zu bieten: Integration finanziell und personell nicht scheitern zu lassen. Aber sie muss auch Integrationswillen mit Sanktionsandrohungen und Sanktionen fordern und nicht hoffen, dass sich in der dritten oder vierten Generation die Lage entspannt. In der Vergangenheit wurden, was die Integration betrifft, sehr viele Fehler gemacht (einschließlich Ghettobildungen, HartzIV-Biographien) – aus diesen Fehlern gilt es zu lernen. So gilt es auch, eingerissene Übel zu zerstören: kriminelle Familienclans… Und ich bin auch der Meinung: Im Augenblick kostete es sehr viel Geld – aber es wird teurer, wenn das Geld nicht zur Verfügung gestellt wird. Die Spannungen in der Bevölkerung werden mit jedem neuen Versagen zunehmen, auf beiden Seiten.
Im Augenblick sieht es finster aus, weil sich viel zusammenbraut. Weltweit. Man wünscht sich, es sei das letzte Aufbäumen der Islamisten, aber es sieht leider so aus, dass der Höhepunkt noch lange nicht überschritten ist. Auch in unserem land nicht – hier hat es noch gar nicht begonnen. Von daher muss Integration dazu dienen, Menschen aus den Fängen der Gewalttäter, Fanatiker, Extremisten zu entziehen und zu verhindern, dass sie ihnen in die Hände fallen – es geht darum, dass sie sich als positive Wesen an der Gestaltung der Gesellschaft einbringen.
Ich bin sehr gespannt, was das Integrationspapier der Regierung für Inhalte und Konkretionen hat. Und was die Kirchen betrifft: Ich hoffe, dass auch sie das Ihre dazu beitragen, aus dem christlichen Glauben heraus der Realität Rechnung zu tragen und nicht unrealistische Forderungen zu stellen.
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Bischöfe zum Thema Diskriminierung von Flüchtlings-Christen : http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/bischofe-wollen-besonderen-schutz-fur-christen
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