Unschuldige Religionen

Ich habe wieder gelesen, dass Auseinandersetzungen, die mit religiösen Argumenten geführt werden, im Grunde keine religiösen Auseinandersetzungen seien, sondern es gehe um politische Macht, es gehe um soziale Spannungen, um wirtschaftliche Fragen usw. usw.

Man kann die Religionen nicht ganz rein waschen. Natürlich, wenn man alles aus der Perspektive der sozialen Bezüge sieht, sind auch die Religionen sozial begründet und sie haben keinen Eigenwert. Aber nehmen wir einmal den Koran. Dort werden Kämpfe nicht empfohlen, weil ein Clan den anderen beherrschen will, nicht, weil Bodenschätze vermutet werden, nicht, weil sich eine soziale Gruppe über eine andere erheben will – es geht allein um die Durchsetzung des Machtanspruchs Allahs. Und so können sich auch Gruppen darauf berufen, vor allem dann, wenn Angst eine Rolle spielt: Allah straft, wenn ich nicht seinen Willen durchsetze. Und das ist eine religiöse Begründung. In diesem Rahmen können dann natürlich Machtspielchen stattfinden, dass ein islamischer Clan über einen anderen herrschen möchte, dass ein Herrscher die Kriegsbeute für sich und die Seinen behalten möchte und anderen nicht abgibt, wie es die islamische Geschichte zeigt. Aber der Grund war ein religiöser. Dazu gehört auch: Wenn Muslime eroberte Gebiete nicht missionieren wollten, weil man Sklaven brauchte (Muslime dürfen Muslime nicht versklaven) – dann war das auch religiös begründet.

Ich denke, dass der Angriff der Mittelalter-Christen auf Juden auch religiös begründet ist. Zwar steht davon nichts direkt im Neuen Testament (freilich wurde die Selbstverfluchung als eine solche Begründung angesehen: Sein Blut komme über unser Haupt), aber im Alten Testament, von dem die Mittelalter-Christen sehr viel inhaliert haben, finden wir eben Aussagen, die sonst auch in der Antike zu finden sind, dass Gott bzw. die Gottheit sauer ist, wenn man dies oder jenes nicht tut. Und dass die Gottheit sauer ist, merkt man dann an Kriegen, die die Gruppe überziehen, merkt man an Hungersnot und Epidemien usw. Das heißt: Weltinterpretation ist eine religiöse – und aufgrund dieser religiösen Weltinterpretation reagiert der Mensch, indem er andere schädigt.

Natürlich hat Religion nicht nur negative Folgen, viele Christen wurden angespornt, Gutes zu tun, weil es die Bergpredigt forderte, weil Jesus Christus als Vorbild lebte, weil der Gottesgeist Menschen dazu drängte. Aber dennoch: Man darf Religion nicht reinwaschen von üblen Taten.

Wenn es um die Kolonisation Amerikas ging, dann spielte auch die christliche Religion eine Rolle – aber sie war ein Teil des Weltgefühls des damaligen Europa: Europa war stark, Europa hatte starke Waffen, starke Wirtschaft, starke – allen anderen Völkern überlegene Technologie und Kunst. Und diese durch die Jahrtausende entstandene Überlegenheit, die ließ man die anderen spüren: die Ureinwohner Süd- und Nordamerikas, die Schwarzafrikaner, Aborigenes usw. – allen wurde die Überlegenheit brutalst vor Augen geführt. Die christliche Religion war ein Teil des Überlegenheitsgefühls. Denn Gott zeigte sich letztendlich in Jesus Christus als Gott – und darum sind alle anderen Glaubensrichtungen eben Götzenanbetung, widergöttlich. Der christliche Glaube war Wissenschaft befreiend, hat Kunst und Kultur gefördert – weil die Angst vor den Göttern fiel, wenn man sich die Natur untertan machte usw. usw.

Daneben gibt es freilich viele Kriege, in denen es nicht direkt um Religion ging, die Religion aber Argumente lieferte, um ihn jeweils führen zu können. So ging es im 16. und 17. Jahrhundert nicht allein um Religion – und evangelisch-katholisch – es ging sekundär auch um die Frage: Herrschaft des Kaisers, des Papstes, Emanzipation der Fürsten und aufkommend: Bürger… Im Nordirland-Krieg ging es nicht um die Religion, sondern um die mit der religiösen Zugehörigkeit verbundenen gesellschaftspolitischen Ungerechtigkeiten. Das gibt es natürlich auch.

Andererseits kann man nicht im Gegenzug alle Kriege irgendwie religiös begründen. Diese Argumentation gibt es auch. Aber das verkennt die antiken Kriege, die Expansionssucht Alexanders des Großen, die der Römer, verkennt den Mongolensturm (Dschingis Khan) – und vielleicht auch Tamerlan (Timur Lenk), wobei ich da nicht genau weiß, ob seine Kriege islamisch begründet wurden -, das verkennt die ganzen Regional-Kämpfe zwischen den einzelnen Dörfern, Städten, nicht zuletzt in der Neuzeit die Expansionsbestrebungen Hitlers, Japans, des Kommunismus – es sei denn, man sagt: Nationalsozialismus und Kommunismus waren religiöse Ideologien – von daher waren es auch Religionskriege.

Das Verhältnis Kriege und Religion ist differenzierter zu sehen und auch zu beurteilen als es vielfach geschieht. Menschen sind die Aggressoren – manchmal fördert eine Religion die Aggressionsbestrebungen, manchmal mindert sie diese. Der Koran ist eher den Förderern zuzuordnen, das neue Testament eher den Hinderern. Nun mag man sagen: Buh, das geht gegen den Islam! Pustekuchen – das ist realistisch – und heißt ja noch lange nicht, dass die neutestamentliche Sicht besser ist. Die kann auch als voll unrealistisch angesehen werden – und wird es ja auch von nicht wenigen Realpolitikern und realpolitisch denkenden Menschen.

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