Transhumanismus 4 – Anmerkungen: Verstand – Wirklichkeit – Leib

Über Verstand und Vernunft, Wirklichkeit und Realität habe ich schon häufiger geschrieben. Darum nur kurze Zusammenfassungen. Über Körper und Leib habe ich – zumindest kann ich mich nicht erinnern – noch nicht vertieft nachgedacht. Darum wird es etwas ausführlicher sein.

An dieser Stelle muss man jedoch unterscheiden zwischen Verstand und Vernunft: Als Verstand wird das bezeichnet, was möglichst rational die Welt zu durchdringen sucht. Der Verstand ist jedoch nur ein Teil des Menschen, der aus Emotion, aus Sozialisation, aus seinem Charakter, seiner biologischen Verfassung, seiner ganz eigenen kognitiven Fähigkeit besteht. Und als ein solch vielfältiges Wesen hat der Mensch seine Überzeugungen gewonnen – es ist ihm gar nicht mehr möglich, sie alle rational-logisch zu durchdringen. Der Mensch ist immer ein „unvollendeter“ Denker – was die Logik betrifft. Entsprechend scheint ihm manchmal etwas logisch, was einem anderen unlogisch erscheint. Der „rational-logische“ Verstand ist nur ein Teil der (auch) emotionalen Vernunft.

Unterscheidung von Wirklichkeit und Realität. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, Realität und Wirklichkeit zu unterscheiden. Beide werden meistens synonym gebraucht. Realität ist jedoch das, was messbar ist usw. Wirklichkeit ist umfassender = Bewusstsein, Soziales, Emotionales, Spirituelles stehen mit der Realität in Wechselwirkung, weil sie vom Beobachter abhängig ist. Wirklichkeit beinhaltet eine Fülle an Möglichkeiten. Realität ist das, was wir aus der Fülle an Wirklichkeit punktuell wahrnehmen. Was wir aus der Fülle wahrnehmen können, ist abhängig von unserem kulturellen, wissenschaftlichen, technischen, religiösen Umfeld.

Zur Frage nach den Begriffen von Körper und Leib: Als Körper wird der biologische Mensch bezeichnet. Meine Organe, das Fleisch – all das bildet meinen Körper. Von Leib ist aus theologischer Sicht zu reden, wenn die Seele, (bzw. philosophisch) das Bewusstsein mit beachtet werden. Der Mensch ist mehr als sein Körper. Bin ich mein Körper oder habe ich einen Körper? Als Leib bin ich eine lebendige Einheit von Körper und Seele und Geist. Im Begriff Leib wird also nicht allein die biologische Größe in den Blick genommen, sondern auch die Erfahrungen, der Charakter, alles, was mich ausmacht, die körperlichen und seelischen Verwundungen, Ich, mein Wesen. Wenn Geist und Körper zerfallen – der Mensch ist mehr als der zerfallende Körper und Geist: er ist sein Leib (Körper und Seele) – der Mensch als Einheit, der hinter dem Wahrnehmbaren liegt. Die Liebe sieht mehr als den verfallenden oder verfallenen Körper, sie sieht den Menschen, die Persönlichkeit, die Person. Das bedeutet nicht, dass der Körper abgewertet wird. Er wird mit dem Wort „Leib“ als leibhaftige Einheit gesehen. Durch den Atem Gottes wird der Leib belebt (Leib – lip bedeutet auch: Leben). Er beginnt nicht nur zu atmen, sondern eben: jede einzelne Zelle hat Teil an der Lebendigkeit.

Hier wird dann das Thema „Der Mensch als Ebenbild Gottes“ relevant. Ebenbild Gottes bedeutet nicht, dass der Mensch in seiner Körperlichkeit so aussieht wie Gott, ich denke, dass auch die Aussage, Menschen sollen Gottes Schöpfung bewahrendes Handeln widerspiegeln, zu kurz greift. Ebenbild bedeutet der Mensch in seiner von Gott gewürdigten Leib-haftigkeit. Der Mensch hat Würde – auch wenn er augenscheinlich und erfahrungsgemäß alles andere ist als würdig, weil wir hinter das Augenscheinliche und Erfahrene das Ebenbild Gottes erkennen. Er darf seine Würde wahrnehmen, auch wenn er seinen Körper entwürdigt weiß. Menschen, die den Körper angreifen, können die Seele mit verletzen. Aber letztlich stoßen sie an eine Grenze – mein Leib, im genannten Sinn, ist für sie unverfügbar: sie können über meinen Leib – also mich als Wesen – nur dann herrschen, wenn sie mich gebrochen haben. Aber ich muss mich nicht als gebrochenen Leib ansehen, wenn ich mich darauf berufe, Ebenbild Gottes zu sein, wenn ich mir zusagen lasse, dass mir meine Würde nicht genommen werden kann, weil Gott selbst mich würdigt. Niemand ist stärker als Gott. Niemand. Vielleicht kann ich dann auch meinen geschundenen Körper wieder annehmen, denn er ist Teil des Leibes, den Gott mir gegeben hat.

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Der Körper eines Menschen als materielle Größe ist kein Rätsel, auch wenn Leben an sich ein Rätsel ist bzw. der Körper der Wissenschaft noch viele Rätsel zu lösen aufgibt. Aber der Mensch als Leib – er hat Teil an der Rätselhaftigkeit dessen, dessen lebendiges Ebenbild er ist. Ein weiterer Aspekt: Der Körper als Tempel des Heiligen Geistes ist der Leib des Menschen (Paulus). Was die säkulare Philosophie dann so interpretierte: der Körper und das Bewusstsein sind der Leib.

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Vielleicht hilft diese Vertiefung zum Thema Leib auch das annähernd zu verstehen, was es zum Thema Auferstehung zu sagen gibt. Oder im Abendmahl wird nicht der Körper Jesu gegeben, sondern: Dieses ist mein Leib. Im Gekreuzigten wird nicht nur der Körper gesehen, sondern eben die Gesamtheit: der Leib – und dazu gehört für Glaubende eben auch seine Einheit mit Gott.

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Und was hat das mit Transhumanismus zu tun? Die Leibhaftigkeit des Menschen wird übersehen. Körper ist Materie, an der der Mensch herumbasteln kann. Und ob Cyborgs, wie sie gedacht werden, wirklich im genannten Sinn einen Leib haben, habe ich in den Werken der Vertreter noch nicht wahrgenommen.

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