Gott im Gedicht (18./19. Jh) (11)

Gedichte ab dem 1. Jahrhundert: http://gedichte.wolfgangfenske.de/19-jh/

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Joseph von Eichendorff (1788-1857)

Er studierte Jura und nahm als junger Mann an dem Befreiungskampf gegen Napoleon Teil. Er war nachher im Staats- und Kirchendienst tätig. Da er 1843 eine Lungenentzündung bekommen hatte, ging er ein Jahr später in den Ruhestand und lebte seit dieser Zeit an verschiedenen Orten. 1857 starb er an einer Lungenentzündung. Er ist einer der bedeutendsten Schriftsteller Deutschlands, viele seiner Texte wurden vielfach vertont, sie haben nicht nur Bildungskreise erobert, sondern wurden auch vielen im Volk bekannt. Er ist der Heimweh-Dichter, er hat Sehnsucht nach der himmlischen Heimat. Allerdings sind die Texte nicht wegen des christlichen Bekenntnisses so wichtig geworden, sondern wegen der Verschmelzung von Natur-Gefühl mit dem Glauben – einem Glauben, in dem man, wenn man von dem Gesamtwerk absieht, sich selbst hineinlesen kann. Er hat den Glauben nicht vorgeschrieben, nicht dogmatisch vertreten, sondern emotional mit dem Naturgefühl verflochten.

Die folgenden Zitate wurden Eichendorff, Sämtliche Gedichte, Insel 2001, entnommen.

Es gibt eine Fülle von Gedichten, in denen Eichendorff Gott anspricht. Von daher liegt ihm aller Pantheismus fern: Gott ist ihm ein Du. Allerdings spricht er häufig nicht direkt von Gott, sondern die Welt selbst lässt alle Aspekte des Glaubens durchscheinen. Zum Beispiel in dem Gedicht: „Komm, Trost der Welt, du stille Nacht“: Der Fischer singt ein Abendlied zum Lob Gottes im stillen Hafen. Dann bricht der Text, man schaut nicht mehr auf den Fischer im Abendhafen, der Mensch wird in ein anderes Gefühlsbild hineingezogen: „Die Welt hat mich vergessen, / Da tratst du wunderbar zu mir, / Wenn ich beim Waldesrauschen hier / gedankenvoll gesessen.“ Dann wird man in die Seele des Dichters hineingezogen: Der Tag hat ihn müde gemacht, es dunkelt, er will ausruhen von Lust und Not „Bis daß das ew´ge Morgenrot / Den stillen Wald durchfunkelt“. Die Erdennacht löst sich in das Morgenrot der Ewigkeit Gottes auf. Wer ist das „Du“? Wer das „Du“ ist, sieht jeder in seinem ihm eigenen Gefühl real werden, während es für Eichendorff sicher Gott ist. Ebenso ist das Morgenrot mit eigenen Morgenrot-Erfahrungen zu füllen, es wird Tag, es wird Licht, der Mensch freut sich. Aber wenn man sämtliche Gedichte Eichendorffs liest, dann ist es das Morgenrot mit Gottes Welt zu verbinden. In „Das Alter“ wird nicht das Morgenrot mit Gottes Welt verbunden, sondern der ewige Frühling: „Ans Fenster klopft ein Bot´ mit frohen Mienen, / Du trittst erstaunt heraus – und kehrst nicht wieder, / Denn endlich kommt der Lenz, der nimmer endet.

Auch er wendet sich gegen radikal aufklärerische Bestrebungen seiner Zeit: „Das Reich des Glaubens ist geendet, / Zerstört die alte Herrlichkeit, / die Schönheit weinend abgewendet, / So Götterlos ist unsre Zeit.“ (andere Textüberlieferung: „So gnadenlos ist unsre Zeit“.) Doch: „Der Dichter kann nicht mit verarmen; / Wenn alles um ihn her zerfällt, / Hebt ihn ein göttliches Erbarmen, / Der Dichter ist das Herz der Welt.“ Einige Strophen weiter: „Den lieben Gott laß in dir walten, / Aus frischer Brust nur treulich sing´, / Was wahr an dir, wird sich gestalten, / Das andre ist erbärmlich Ding.“ („An die Dichter„) Erbärmlich sind nicht die Dichter, „Die nicht schillern und nicht göthen… / Segelnd frisch auf eig´nen Böten.“ („Toast„) Und so nimmt er auf´s Korn, dass man ihm vorwirft, in seinen Gedichten dies und das nicht zu tun, anderes wieder zu tun. Darauf reagiert er: „Wem der Herr den Kranz gewunden, / Wird nach alle dem nicht fragen, / Sondern muß, wie er´s befunden, / Auf die eig´ne Weise sagen“ („Entgegnung„). Entsprechend kritisiert er auch machthungrige und von sich eingenommene Menschen: „Genug gemeistert nun die Weltgeschichte! / Die Sterne, die durch alle Zeiten tagen, / Ihr wolltet sie mit frecher Hand zerschlagen / Und Jeder leuchten mit dem eignen Lichte.“ Doch „Der Herr der Weltgeschichte“ hat andere Gedanken als sie und geht dazwischen. Wenn der Mensch um sich selbst dreht, „Gewohnheit, Glauben, Sitt´ und Recht“ zerschlägt, dann muss er Gott werden – oder endet teuflisch. Da ein Mensch nicht Gott werden kann, auch wenn er es dann, wie Nietzsche, versucht, so ist für Eichendorff das Ende also klar.

Gott ist das Thema – es sind nicht die Götter wie bei anderen zeitgenössischen Dichtern. Die Götter sind – am Beispiel der Venus – nur Größen, die das widerspiegeln, was im Menschen ist. Sie werden zwar angerufen, sie werden in Dichtungen eingebracht, sind aber Metaphern für Stimmungen, Gefühle usw. des Menschen. Sie führen den Menschen auf sich selbst und haben dadurch Macht, den Menschen von Gott wegzuführen. Die Götter sehen Jesus „Der schönste Gott von allen“, sterben – fliehen dann und sind Gott ferne. („Der Götter Irrfahrt„) Aber: Gott ist nicht das Thema, wie in bisherigen Gedichten. Gott wird häufig nicht direkt erwähnt. Er ist das Ziel der Sehnsucht, Ziel des Gefühls, wie es auch das berühmte Gedicht „Die Mondnacht“ ausspricht: „Und meine Seele spannte /
Weit ihre Flügel aus, / Flog durch die stillen Lande, / Als flöge sie nach Haus.

Gebete, die direkt Gott ansprechen, formuliert er auch:
Was ich wollte, liegt zerschlagen, /
Herr, ich lasse ja das Klagen, /
Und das Herz ist still. /
Nun aber gib auch Kraft, zu tragen, /
Was ich nicht will!
Von daher werden Aussagen, er sei im Grunde pantheistisch gesinnt, dem Autor nicht gerecht.

Laß eh´s zu spät, von dem verlornen Leben; /
Gott wartet deiner noch, in seinen Armen, /
Da find´st du, was die Welt nicht kennt, Erbarmen
.“
(Mahnung: „Was blieb dir nun nach allen Müh und Plagen?

Friedrich Rückert (1788-1866)

Im neuen Gesangbuch finden wir einen Text von ihm: „Dein König kommt in niedern Hüllen“ (EG 14). Die folgenden Gedichte werden nach zeno.org zitiert. Rückert war Orientalist und beschreibt viele altehrwürdige Besonderheiten, so die Pyramiden. Aber sie sind alte Todesdenkmäler – anders Bethlehem und Golgatha: Diese beiden Orte haben mit Leben zu tun. Oder: Die Kaaba steht im Mond – muss aber der Sonne weichen. Trotz dieser Besonderheit der Orte Bethlehem und Golgatha, ist etwas anderes wichtig, das beschreibt er in der letzten Strophe: „O Herz, was hilft es, daß du knieest / An seiner Wieg‘ im fremden Land? / Was hilft es, daß du staunend siehest / Das Grab, aus dem er längst erstand? / Daß er in dir geboren werde / Und daß du sterbest dieser Erde, / Und lebest ihm, nur dieses ja / Ist Bethlehem und Golgatha.

In dem folgenden Gedicht, ein Gebet, bittet er: „Herr! die Schönheit dieser Erde, / Gib, daß sie die Sehkraft wecke / Meines Auges, nicht ihm werde / Eine Blindheits-Zauberdecke. // Jeden Blumenstrahl der Auen / Laß der Seele dazu dienen, / Neu gekräftigt aufzuschauen / Dorthin, wo die Sonn‘ erschienen.“ Dieses Gedicht lässt ihn darum bitten, dass man nicht allein die Schönheit der Schöpfung wahrnimmt, sondern hinter die Schönheit den Schöpfer erkennen möge. Und so verbindet er auch ganz eng irdische Liebe mit der Liebe Gottes: „Ich weiß, daß mich der Himmel liebt, / Weil du mich liebst, mein Leben! / Daß er mir meine Schuld vergibt, / Weil er dich mir gegeben. // Ja, weil du schwörst, daß ohne mich / Kein Glück dir könne lachen, / Muß, um zu machen glücklich dich, / Der Herr mich glücklich machen.“ Die Schönheit der Natur wird auch von Nichtchristen wahrgenommen – aber die Augen werden bedeckt von der „Blindheits-Zauberdecke“, wenn man nicht weiter schaut. Das gilt auch für die Liebe. Hinter der Liebe ist mehr zu entdecken als das Vordergründige. An dieser Stelle könnten noch zahlreiche texte von Rückert genannt werden (z.B. „Herr, deine Welt ist schön„).

Auch Gedichte mit Blick auf das Leben Jesu entstammen seiner Feder. Er dichtete nicht nur mit Blick auf das Kirchenjahr das oben genannte Adventsgedicht „Dein König kommt in niedern Hüllen“, er schrieb auch ein Passionsgedicht: „Baum des Lebens„. Dieses endet: „Es zimmerte die blinde Welt aus ihm / Das Kreuz und schlug ihr Heil daran mit Hohn. / Da trug der Baum des Lebens blut’ge Frucht, / Daß, wer sie koste, Leben sei sein Lohn. / O Freimund, sieh! der Baum des Lebens wächst, / Ausbreitend sich, je mehr ihm Stürme drohn. / Die ganze Welt ruh‘ unter seinem Schirm! / Die halbe ruht in seinem Schatten schon.“ Wie in dem Bethlehem/Golgatha-Gedicht erkennt man hieran die Weitläufigkeit seines Denkens. Er denkt nicht in nationalen Kategorien (obgleich er in „Geharnischte Sonette“ zum Kampf gegen  Napoleons Besatzung aufrief – auch mit religiöser Begründung), sondern stärker international. So wenig wie er eng nach den Vorgaben der Nationalen denkt, so wenig denkt er auch nach den Vorgaben der Aufgeklärten seiner Zeit: „Verstand ist vom Verstehn, Vernunft ist vom Vernehmen; / Die beiden brauchen sich nicht ihres Stamms zu schämen. / Verstanden haben zwar ist mehr als bloß vernommen, / Ein unverstandenes Vernommnes kann nicht frommen. / Doch kann der Mensch verstehn nur, was er recht vernahm, / Was ihm von außen her, was ihm von oben kam.“ Und dieses, was von außen her kam, die Welt Gottes, verändert alles:
Hauch Gottes, Poesie, o komm, mich anzuhauchen, /
In deinen Rosenduft die kalte Welt zu tauchen /
Was du anlächelst, lacht, was du anblickest, glänzt; /
Die Eng‘ erweitert sich, und Weites wird / begrenzt. /
Durch dich ist ewig, was im Augenblick geschwunden, /
Was ich gelebt, gedacht, genossen und empfunden.

Grenzen des Sichtbaren, Grenzen des Verstandes werden durch den Glauben überwunden.

Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)

Sie wuchs in einer Familie auf, in der Bildung auch für Mädchen groß geschrieben wurde. Sie selbst war lebenslang kränkelnd und wurde wegen ihrer körperlichen Einschränkungen eng an die Familie gebunden. Sie komponierte und musizierte neben dem Schreiben. Bekannt wurde sie mit der Ballade: Der Knabe im Moor wie auch mit der Novelle: Die Judenbuche. Kurz: Sie ist die bedeutendste Dichterin des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Sie hat viele geistliche Gedichte geschrieben. Diese wurden posthum veröffentlicht. Während ihrer Lebenszeit wurden, soweit ich das wahrnehme, Gedichte veröffentlicht, die wenig religiöse Bezüge haben. Aber in dem Gedicht „Mein Beruf“ schreibt sie zu Beginn: „Bei der Geburt bin ich geladen, / Mein Recht soweit der Himmel tagt, / Und meine Macht von Gottes Gnaden. “ Und wiederholt in dem genannten Gedicht: „So rief die Zeit, so ward mein Amt / Von Gottes Gnaden mir gegeben, / So mein Beruf mir angestammt, / Im frischen Mut, im warmen Leben„.

Warum sie die christlichen Texte nicht selbst veröffentlicht hat, entzieht sich meiner Kenntnisse. Ich kann mir aber vorstellen, dass ihr diese zu persönlich waren. Sie hat sie ihrer Mutter gewidmet und in diesen dichtet sie zu Bibeltexten des Kirchenjahres Gedichte, die vielfach ihre Glaubensauseinandersetzungen wiedergeben. Sie nimmt die ernsten Worte der Bibel, in denen von Gottes Zorn und Gericht gesprochen wird, sehr ernst. Sie geht nicht einfach an ihnen vorbei, wie man es gegenwärtig gern tut. In diesen Gedichten, die meditative Bibeltextauslegungen sind, bezieht sie jeden Bibeltext auf sich selbst. Darum wird sie hin und her gerissen vom Verstand und dem Glauben: „Ach Gott, wie wird mein Herz so schwer, / Gepreßt vom dämmernden Verstande!“ („Am zehnten Sonntag nach Pfingsten“) Sie erkennt ihre Kleinheit – gleichzeitig erkennt sie, dass Gott sie in seiner Gnade und Liebe groß macht. Wie groß Gott sie macht, kann sie  erst in ihrer Kleinheit erkennen. Sie kann aber dennoch nicht glauben, sie kann Gott nur lieben („in Liebe glaub´ ich, liebewund“) und sie weiß, dass Gott in seiner Gnade ihr Lieben annimmt: „Ja, ich will auf Jesu Worte bauen, / Seh ich gleich nicht ihn, und nur die Nacht, / Fest nur, fest in Demut und Vertrauen, / Seele mein, mit deiner ganzen Macht.“ („Als der Herr in Sidons Land gekommen“); oder: „ist denn der Glaube nur ein Gotteshauch? / Hast du nicht tief in unsre Brust gesäet / Mit deinem eignen Blut die Liebe auch?“ (Am Pfingstmontage) Der Glaube muss von Gott selbst gegeben werden: „Ich weiß es, daß von mir nicht stammt / Was mich so freudig muß durchzittern; / Ein Strahl ist es, den du entflammt, / Ein Traum, den Starren zu erschüttern. / O fahre fort, o rühr mich an, / O brich den Todesschlaf, und dann, / Dann werd´ ich Morgenlüfte wittern.“ („Am siebzehnten Sonntag nach Pfingsten“). Aber auch sie selbst hat dazu beigetragen, dass sie nicht von Gott entfremdet wurde: „So höret denn, was mich geschützt / Vor gänzlichem Verlorengehn: / Daß ich Unglauben nicht benützt / Des Frevels Banner zu erhöhn“ („Am fünfundzwanzigsten Sonntage nach Pfingsten“). Aber sicher fühlt sie sich nicht im Glauben und versetzt sich am Pfingsttag in die Nachfolger Jesu hinein: „Wo bleibt er? Wo nur? Stund´ an Stund´, / Minute will sich reihen an Minuten. / Wo bleibt er denn? –  und schweigt der Mund: / Die Seele spricht es unter leisem Bluten“ – und dann wird der verheißene Gottesgeist auf die Menschen gelegt. Aber: „O Licht, o Tröster, bist du, ach! / Nur jener Zeit, nur jener Schar verkündet? / Nicht uns, nicht überall, wo wach / Und trostesbar sich eine Seele findet?“ 

Die Autorin ringt um ihren Glauben. Es ist ein Ringen um das Verhältnis von Verstand und Glauben, um Emotion gegen Emotion, sie weiß um Gott, aber spürt ihn nicht, spürt Gott, aber versteht ihn nicht.

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