Gott im Gedicht (10) (18.-19. Jh)

Ernst Moritz Arndt hatte ich vor kurzem im Blog thematisiert. Weitere seit dem 1. Jahrhundert s. http://gedichte.wolfgangfenske.de/

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Friedrich Hölderlin (1770-1843)

Hölderlin – er ist kompliziert. Für ihn benötige ich mehr Zeit. Erst einmal ein paar Anmerkungen:

Hölderlin ist in einem frommem Elternhaus aufgewachsen. Er studierte Theologie. Diese war sehr rational ausgerichtet. Jesus Christus blieb ein Wesen der Vergangenheit, die Theologie war dogmatisch überladen, kurz: Christus war nicht lebendig. So wandte er sich ganz im Duktus seiner Zeit den antiken Göttern zu. Mit diesen konnte er seine Phantasie, Emotion und Natur verbinden. Doch ab 1801 wurde ihm Jesus Christus wieder lebendiger, weil diese mythischen spielerischen Phantasiemächte ihm keine Basis gaben, so Alois Winklhofer: Hölderlin und Christus. Entsprechend wurde Jesus Christus für Hölderlin immer lebendiger. Winklhofer formulierte in einer Rede 1946: „In den verflossenen Jahren (sc. des Nationalsozialismus) kam die Bedeutsamkeit dieser Frage (sc. zum Verhältnis Hölderlins zu Christus) sowohl durch ihre gewissenhafte und eingehende Behandlung von seiten berufener Hölderlin-Kenner wie durch ihre Ignorierung seitens jener zum Ausdruck, die die Großen unseres Geisteslebens nur ungern in der Gesellschaft Christi sahen.“ (5) Abgesehen von denen, die Hölderlins Christus-Zuwendung dem späteren Wahnsinn zuschrieben, war Hölderlin auf dem Weg zu Christus, der Wahnsinn, der ihn umnachtete war schneller. So lässt sich eine Entwicklung erkennen, zunächst vom Gedicht zum 72. Geburtstag seiner Großmutter, über „Brot und Wein“, in dem die Götter mit den Farben Jesu gemalt wurden, und „Versöhnender“ hin zu Der Einzige und Patmos. Christus sprengt den griechischen Götter-Mythos, Christus wird ihm immer größer, freilich erkennt er, dass er als weltlicher Sänger Christus nicht gerecht werden kann.

Für Hölderlin spielt Jesus begegnet die Jünger auf dem Weg nach Emmaus eine Rolle. In diesem text wird deutlich, dass der Auferstehungsglaube ein Prozess ist. Auf diesem Weg sieht sich wohl auch Hölderlin. Das Problem der späten Gedichte liegt nicht darin, dass Christus nicht immer deutlicher erkennbar wird. Es liegt darin, die Texte in ihrem gesamten Kontext zu interpretieren.

Novalis / Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1772-1801)

Novalis lebte nur kurz. Er hatte eine gute Kindheit, gute Ausbildung, war beruflich erfolgreich. Er hatte aber wohl zeitlebens mit seiner Lunge Schwierigkeiten. Er starb möglicherweise an Tuberkulose, so wird vermutet, die er sich bei der Pflege des kranken Friedrich Schiller geholt hatte, der 1804 daran gestorben ist.

Hymnen an die Nacht 5: „Getrost, das Leben schreitet / Zum ewgen Leben hin, / Von innrer Glut geweitet / Verklärt sich unser Sinn. / Die Sternwelt wird zerfließen / Zum goldnen Lebenswein, / Wir werden sie genießen / Und lichte Sterne seyn. // Die Lieb´ ist frey gegeben, / Und keine Trennung mehr. / Es wogt das volle Leben / Wie ein unendlich Meer. / Nur Eine Nacht der Wonne – / Ein ewiges Gedicht – / Und unser aller Sonne / Ist Gottes Angesicht.“ Auch die 6. Hymne schließt mit dem Ausblick auf das Sein nach dem Sterben: „Hinunter zu der süßen Braut, /
Zu Jesus, dem Geliebten – /
getrost, die Abenddämmrung graut /
Den Liebenden, Betrübten. /
Ein Traum bricht unsre Banden los /
Und senkt uns in des Vaters Schooß.
– „in des Vaters Schooß“ – zu Beginn sprach er noch davon: „Hinunter in der Erde Schooß“ – es wandelt sich die Vorstellung in dem Gedicht. Grenzen werden aufgehoben. Vorstellungen verändern sich im Glauben.

Novalis geistliche Lieder sprechen, wie gesehen, die große Liebe zu Christus aus – und das im Kontrast zu manchen, die sich für aufgeklärt hielten: „Wenn alle untreu werden, / So bleib´ ich dir doch treu“. So erkannte in den Aufgeklärten: Menschen werden Jesus gegenüber untreu, aber die Liebe Jesu bleibt. Novalis schaut hoffnungsfroh in die Zukunft: „Einst schauen meine Brüder / Auch wieder himmelwärts, / Und sinken liebend nieder, / Und fallen dir ans Herz.“ (1878: 151) Diese große Liebe zu Christus spricht auch das Gedicht aus: „Was wär ich ohne dich gewesen?“ – und er beschreibt, welche Bedeutung Jesus Christus für den Beter Novalis hat, der in dem Gedicht an Tieck eine Offenbarung beschreibt. Es wird gesagt, dass für Novalis Christus aber auch die Geliebte Mittler sein könne. Das ist der Versuch, Novalis säkularisiert schmackhaft zu machen. Die verstorbene Geliebte hat in der 3. Hymne eine große Bedeutung – aber im Traum. Der Traum, in dem ihm die Geliebte erschien, veränderte seine Weltsicht. Wenn man die Christustexte anschaut, so haben sie weitreichendere Bedeutung.

Ich habe in meiner Gedicht-Darlegungen immer wieder hervorgehoben, dass Grenzen im Glauben überwunden werden. Gerade das ist bei Novalis besonders ausgeprägt. Er versuchte Poesie und Wissenschaft zusammenzuführen, Philosophie und Transzendenz – die Nacht als Übergang zum Tag, Tod zum Leben – letztlich alles zusammenzuführen zu einer großen Harmonie. Diese wird auch in „Wenige wissen / Das geheimniß der Liebe“ ausgesprochen, in dem Text, in dem Abendmahl und Liebe ganz eng verwoben werden. Und das hat er dann nicht nur in Gedichten darzustellen versucht, sondern auch in „Die Christenheit oder Europa“. Zudem versuchte er Wunder und Naturgesetze zusammenzuführen, im Blüthenstaub: „12. Wunder stehn mit naturgesetzlichen Wirkungen in Wechsel: sie beschränken einander gegenseitig, und machen zusammen ein Ganzes aus. Sie sind vereinigt, indem sie sich gegenseitig aufheben. Kein Wunder ohne Naturbegebenheit und umgekehrt.“ http://www.zeno.org/Literatur/M/Novalis/Fragmentensammlung/Bl%C3%BCthenstaub

Heinrich von Kleist (1777-1811)

Kleist versuchte literarisch zum Beispiel mit Novellen und Erzählungen, die gesellschaftliche Probleme ansprachen, Fuß zu fassen, zum Teil verhinderte das die Zensur. Er hatte verschiedene Krisen zu bewältigen, die ihn herumreisen ließen – aber auch dazu führten, sich stärker patriotisch zu engagieren. Zuletzt beging er mit einer erkrankten Begleiterin Suizid.

Kleist hat, soweit ich sehe, kaum etwas zum Thema Gott und Glauben geschrieben. Mir ist das Gedicht begegnet: „Der höhere Frieden“. In ihm heißt es in der zweiten der drei Strophen, wenn Menschen Krieg und Zwietracht säen, „Denk ich, können sie doch mir nichts rauben, / Nicht den Frieden, der sich selbst bewährt, / Nicht die Unschuld, nicht an Gott den Glauben, / Der dem Hasse, wie dem Schrecken wehrt“. Der „Engel am Grab des Herrn“ lehrt Jünger, „daß sie allen Erdenvölkern lehren, / Und tun also, wie er getan´: und schwand“. Das, was Jesus lehrt, wird hier im Mund eines Engels wiedergegeben – allerdings mit Schwergewicht auf die Tat. Der Engel ist fort, Jesus ist gestorben – es bleibt die Tat. Die Betonung der menschlichen Tat war es auch, die Kleist stark kirchenkritisch schreiben ließ, wie gleich unten zu sehen. In einem der Gedichte „Zwei Legenden nach Hans Sachs“ schreibt er in „Gleich und ungleich“: Jesus führt zwei Menschen zusammen – eine fleißige Frau und einen faulen Mann, damit die Frau nicht hochmütig wird und der Mann besser – so kommen beide in den Himmel. Ähnlich der Text „Der Welt Lauf“ – da plagt Jesus die Menschen, damit sie das Heil erlangen.

Eine Anmerkung: Im „Erdbeben von Chili“ zeugt ein Liebespaar unehrenhaft ein Kind. Das wird entdeckt. Die Mutter wird zum Tod verurteilt und der Vater ist im Gefängnis, dort betet er zur Mutter Gottes, weil allein sie retten könne. Die frommen Menschen jedoch wollen dem Schauspiel der Vollstreckung beiwohnen – dem Schauspiel der Rache Gottes. Ein Erdbeben, „die zerstörende Gewalt der Natur“ bricht aus. Das Todesurteil wird somit nicht vollstreckt und der Vater kommt frei: „Er senkte sich so tief, daß seine Stirn den Boden berührte, Gott für seine wunderbare Errettung zu danken“. Sie suchen und finden einander „ein Wunder des Himmels“. Sie danken Maria, und fühlen sich wie im Paradies – vor allem auch, als sie die Solidarität bestimmter Menschen wahrnahmen und von ihren großen Taten hörten. Am nächsten Tag wollen sie in einem Dankgottesdienst mit anderen Überlebenden Gott danken. Dort wird jedoch über die Amoral der Menschen gepredigt, die Schuld am Erdbeben sein sollen, die schuldigen Menschen werden dem „Fürsten der Hölle“ übergeben. Die Menge erkennt die beiden und meint, das Erdbeben wäre Strafe Gottes wegen ihres Vergehens – und verhält sich wie eine Höllenhorde, eine „satanische Rotte“, sie erschlagen einen Säugling an der Kirchenmauer – die Liebenden werden gelyncht. In diesem Text nimmt Kleist Stellung zum Thema der Theodizee, zur Frage nach der Gerechtigkeit Gottes. Ich deute das so: Gott rettet die beiden Liebenden, so sehen sie selbst es – doch der Mob, der in die Kirche kommt, um Gott zu danken, verhält sich unchristlich, das heißt höllisch, satanisch. Das Thema der Anthropodizee wird intensiv thematisiert. Es geht, wie das Gedicht oben sagte, darum, wie Jesus zu handeln, wie es die Äbtissin tut, die gegen eine solche Bestrafung der jungen Mutter ist.

Clemens Brentano (1778-1842) (EG: 509)

Brentano war zeitlebens unterwegs – in Dörfern, in Berufen, in Studienfächern, im Versuch, Frauen zu heiraten. Nichtmilitärischer Patriotismus und Antijudaismus wuchsen. Er begann eine religiöse Heimat zu finden. Er hatte schon 1817 Gedichte von Friedrich Spee herausgegeben und beschäftigte sich unter anderem mit der „Nachfolge Christi“ von Thomas von Kempis. Aber letztlich fand er als Katholik Glaubensheimat in den Gedichten der protestantischen Schriftstellerin Luise Hensel. Ihre Texte sind, so empfand er es, der Schlüssel Gottes zu seinem Herzen. Sie ist, wie andere, die es mit Brentano zu tun hatte, später katholisch geworden. Unter anderem schrieb er auch ein Werk, in dem er das Verhältnis von Dichtung und Religion reflektierte. Zuletzt ist Religion das Einzige, was für ihn zählte – aufgrund der Begegnung mit der Nonne Anna Katharina Emmerick, deren Visionen er verarbeitend aufzeichnete. Nach ihrem Tod gründet er mit anderen ein Armenhospital und Vereine, war also in der katholischen Sozialbewegung aktiv. Entsprechend liegen von ihm zahlreiche Gedichte vor, die seinen Glauben widerspiegeln – zum Teil wahre Schätze, die hier leider kaum gewürdigt werden können. Auf wenige sei hingewiesen. Es sei noch angemerkt, dass auch versucht wird, Brentano zu säkularisieren, indem man seine religiösen Texte relativiert. Nach seinem – ich nenne es mal spöttisch so –  religiösen Sündenfall schreibt er nur noch Erbauunsgedichte. Die folgenden Gedichte wurden nach zeno.org zitiert. Im neuen Evangelischen Gesangbuch finden wir nur ein Lied: „Kein Tierlein ist auf Erden dir, / lieber Gott zu klein. / Du ließest alle werden / und alle sind sie dein.“ (509) Brentano hat es 1815 gedichtet – 1837 hat der Pfarrer Albert Knapp (s. 19. Jh.) den ersten Tierschutzverein Deutschlands gegründet. Berühmt wurde Brentano vor allem mit dem von Achim von Arnim herausgegebenen: „Des Knaben Wunderhorn„.

Das Gedicht „Frühlingsschrei eines Knechtes aus der Tiefe“ beginnt: „Meister, ohne dein Erbarmen / Muß im Abgrund ich verzagen, / Willst du nicht mit starken Armen / Wieder mich zum Lichte tragen.“ Jesus selbst muss dem Menschen helfen, weil der Mensch ihm nichts geben kann – der Mensch ist Empfangender: „Daß des Lichtes Quelle wieder / rein und heilig in mir flute, / Träufle einen Tropfen nieder, Jesus! nur von deinem Blute!“ Er ist durch die Wüste gezogen – die Lebenswüste, der Gang ist hart – „Das Ziel, ich fühl´ es gekommen, / Ich rufe zum sinkenden Stern: / Der Herr hat gegeben, genommen, / Gelobt sei der Name des Herrn“ – er ergibt sich Gott, damit ist das Leben in der Lebenswüste beendet. In dem Gedicht „Liebster Hirte denkst du nicht“ fragt er Christus, der ihn an sich gebunden hat, warum er leiden muss. Dann sieht er Christus in den Leidenden: „Wenn ich diese Wunden pflege / Und den Balsam in sie lege, / Seh´ ich deine Wunden glühn, / Die wie Rosen mir erblühn.

Er bittet um den Frieden Gottes („Der Du von dem Himmel bist“):
Der Du von dem Himmel bist,
Alles Leiden endlich stillest, /
Den, der doppelt elend ist, /
Doppelt mit Erquickung füllest: /
Ach ich bin so müd, so müde;
Was soll aller Schmerz und Lust? /
Gottesfriede – /
Komm, o komm in meine Brust.

Luise Hensel (1798-1876)

Luise Hensel ist Tochter eines Pfarrers und konvertierte 1818 zum Katholizismus. Sie wurde vor allem aufgrund ihrer religiösen Texte bekannt. Zu den berühmtesten gehört: „Müde bin ich, geh zur Ruh“ (EG 484). 1861 blickt sie auf dieses Jugendlied zurück und schreibt: „>Müde bin ich, geh‘ zur Ruh,´</ Sang ich in der Jugend Tagen. / >Schließe beide Augen zu!´</ Wird nun bald der Tod mir sagen. / Herr, mein Gott! das walte Du!

Sie war Gesellschafterin und wurde vielfach als Erzieherin von Mädchen engagiert. Drei von ihnen wurden sogar Gründerinnen von karitativen Orden. Ebenso war sie zeitweise selbst karitativ tätig und pflegte auch die Nonne Anna Katharina Emmerick. Sie hat sehr viele Gedichte mit religiösem Bezug geschrieben. In ihnen ringt sie vielfach darum, die Welt Gottes in dieses irdische Leben hineintragen zu können. In diesem Bemühen wird die Welt vielfach als eine beschrieben, die im Gegensatz zur Welt Gottes vergänglich ist. Ihr Bemühen wird sehr schön in dem Gedicht „Selbsterforschung am Abend“ deutlich: „Du hast die Stimme mir gegeben, / Daß ich Dich preisen soll, mein Hort! / Und Andern auch das Herz erheben / Durch frommes und einfält’ges Wort. / Weh‘ mir, wenn ich zurücke zähle, / Was ich Unnützes heut gesagt! / O richte nicht, bis in der Seele / Der Wahrheit reiner Morgen tagt!

Die Jesus-Minne, Liebeslieder, die Jesus im Blick haben, begegnen bei ihr. Sie hat auch ein Gelübde der Jungfräulichkeit abgelegt, und damit so manchen Mann deprimiert, zum Beispiel auch Clemens Brentano. Zum Beispiel in „Jesu Herz“, aber auch „Wen ich liebe“: „Du süßer, lieber Jesus Christ, / Wie schäm‘ ich mich vor Dir, / Daß noch so lau mein Herz Dir ist; / Gieb Liebe, Liebe mir! // Gieb Liebe, Liebe bis zum Tod, / Gieb Eifer mir und Muth! / Mit Dir geh‘ ich durch Schmerz und Noth, / Mit Dir durch Flamm‘ und Fluth. // Mit Dir – o wundersüßes Wort! / Mit Dir – o Seligkeit! / Nun Zagen fort! Nun Zweifel fort: / Mir hilft der Herr im Streit.“ In „Sursum Corda“ heißt es:
Stille, stille! Herr, Dein Wille,
Der geschehe auch an mir!
Amen, Amen! und Dein Namen
Sei gepriesen dort und hier!

An Luise Hensel wird deutlich, dass auch Gott an Grenzen stößt: Menschen haben ihren freien Willen, Gott abzulehnen, obgleich er mit Wort und Tat verkündigt wird. Und deutlich wird an vielen dieser Dichterinnen und Dichter dieser Zeit, dass die Zeit des vordergründigen und weltimmanenten Rationalismus nicht allein die Menschen prägte, sondern auch tiefer Glaube. Die Fokussierung auf innerweltliche Aspekte wird durch den Glauben durchbrochen.

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