Christliche Hymnen, Lieder, Gedichte (2)

2.-4. Jahrhundert

In Christliche Hymnen, Lieder, Gedichte (1) wurden Texte aus dem Neuen Testament (NT) vorgestellt. Die folgenden Texte aus dem 2.-4. Jahrhundert sind überwiegend entnommen aus: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christiane Nord, Insel Verlag Frankfurt 1999; weitere aus Bekenntnisse der Kirchenväter.

Die Gedichte erweitern unsere Vorstellungen – Vorstellungen der Menschen in der Antike – wie wieder die Vorstellungen heutiger Menschen. Neuer Lebensraum wird eröffnet.

(Nachtrag: Dass Christen Christus als ihrem Gott vor Sonnenaufgang im Wechsel Lob gesungen haben, erfahren wir von einem, der Christen zu Beginn des 2. Jahrhunderts verhörte, Plinius der Jüngere [ep. 10]. es gibt weitere Hinweise darauf, dass Christen die ganze Nacht gesungen haben [Lucian], bzw. von Gläubigen verfasste Lieder, in denen Christus als Gott besungen wird [Euseb V 28,5]. Wie viel Christen gesungen haben, wird sogar von Tertullian [+220] bezeugt: Ehepaare fordern sich gegenseitig auf, Christus das beste Loblied zu singen: „Dergleichen zu sehen und zu hören ist ein Gegenstand der Freude für Christus. Solchen sendet er seinen Frieden. BKV: Ad uxorem 2,9)

Oden Salomos

Auch in christlichen Texten, die nicht im NT stehen, aber zum Teil recht früh sind, finden wir Lieder: Oden Salomos. Diese 42 Oden, die möglicherweise in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts entstanden sind, sind eine faszinierende Weiterentwicklung christlicher Lieder, Hymnen, Gedichte. Ich gebe hier nur ein paar wenige wieder. In manchen ist der „Kranz“ auf dem Kopf wichtig: Es handelt sich um den Siegeskranz – der Kranz, der jedoch nicht wie weltliche Kränze verwelken, sondern neu treibt. Diese Hymnen, wie sichtbar wird, sind sehr bildhaft. In ihnen ist auch von Verfolgung die Rede, von der Hinrichtung Jesu („Ich wurde ausgepeitscht wie von Wogen“ [31]) – in diesen Zusammenhängen aber vor allem auch vom Leben, vom ewigen Leben. Eine hohe Moral wird auch erkennbar („Kaufe keinen Sklaven, denn er ist wie du selbst“ [Ode 20]) Manche Hymnen lassen erkennen, dass Jesus selbst spricht – ob alle, das wird diskutiert. Die Oden verwenden viele Bilder, die der Bibel fremd sind.

Ode 40 thematisiert das Singen selbst:

Der Sänger muss einfach dem liebenden Gott Lieder singen. Das Singen beeinflusst den Sänger, bis dahin, dass es das Gesicht froh macht.

Ode 23:

Ich (Jesus Christus? Ich, der Beter?) betete – Gott nahm mir die Fesseln ab – er erhob mich – kleidete mich mit Licht – ich war frei von Schmerzen – erschien vor Gott voller Lob – „Gott ließ mein Herz überfließen von Jubel“ – der Jubel ließ mein Gesicht strahlen.

Wie gesagt, es wird nicht immer deutlich, wer das „Ich“ ist. Handelt es sich um ein Lied Jesu, um das Lied eines Glaubenden? Diese Offenheit dürften von der Theologie der Oden beabsichtigt sein: Sie geben die enge Verbundenheit des Glaubenden mit Jesus Christus wieder, wie Ode 3 zeigt:

Wer geliebt wird, kann Liebe verstehen – die Liebe vereint – weil ich den Sohn (Jesus Christus) liebe, werde ich zum Sohn – und werde leben.

Auch hier: Die Grenzen werden gesprengt. Wie es an anderer Stelle sinngemäß heißt: Irrtum fesselt – Gott befreit (Ode 18). Gott zerreißt die Fesseln – ein wichtiges Thema der Oden.

Apostelgeschichte des Johannes

Auch die Apostelgeschichte des Johannes (3. Jahrhundert) spricht von einem Lied, das Jesus selbst gesungen hat. Das heißt nicht, dass Jesus das wirklich sang. Es handelt es sich um eine besondere Art responsorischer Texte und lässt darauf schließen, dass es Gemeinden gab, in denen zum Beispiel auch im Kontext der Passion getanzt wurde. Das neutestamentliche Johannesevangelium kennt Reden im Anschluss an das letzte Abendmahl. Dieser Tradition folgt auch das Lied aus dem „Unbekannte Berliner Evangelium“ (2./3. Jh.) mit einem Lied: „Der Heiland sagte: `Ich bin in eurer Mitte wie ein kleines Kind´. / Wir antworteten: `Amen´… `Ich bin der König´ / Wir antworteten: `Amen´…“. Auch in der Apostelgeschichte des Johannes finden wir ein solches Lied. Es wird deutlich, dass ein solcher Stil zitiert werden muss. Denn es sollte die Menschen tanzend emotionalisieren. (Ein Lied der Keuschheit, gesungen von Jungfrauen (= Kirche), das Jungfrauengleichnis Jesu aufgreifend, finden wir bei Methodius: https://www.unifr.ch/bkv/kapitel5507.htm )

„Wenn du tanzt, / dann schau, wie ich tanze; / denn das Menschen-Leiden, / das ich jetzt erleide, / ist dein Leiden. / … / Wenn du um mein Leiden wüsstest, / hättest du die Freiheit vom Leiden. / Erkenne das Leiden, / dann bist du vom Leiden frei.“ Diesem Auszug des Fazits geht das Responsorium voran: „ … / `Fliehen will ich, und bleiben will ich.´ – `Amen´. /… / `Geeint werden will ich, und einen will ich.´ – `Amen´. / … / `Ein Licht bin ich für dich, / wenn du mich siehst.´- `Amen´ / `Ein Spiegel bin ich für dich, / wenn du mich verstehst.´- `Amen´. / …“

Glauben ist nicht nur reflektieren. Glauben, so zeigt dieser dichterische Text, ist gemeinschaftliches Erleben. Es ist ein Ablegen der Fesseln, ein Sprengen der Grenzen durch die emotionale Verbundenheit mit Jesus Christus.

Clemens von Alexandrien

Das Singen selbst wird auch vor einem Hymnus angesprochen, das in einem Werk von Clemens von Alexandrien (+215) zu finden ist. In diesem Werk, Paidagogos (Erzieher), heißt es, dass Jesus Christus die Kinder sammeln möge, die ihn, den Erzieher, aufrichtig preisen mögen. Aber wie anders klingt es, wenn man meine dürren Wiedergabe-Worte mit BKV überträgt:

„Zaum ungezähmter Füllen, / Flügel nicht irrender Vögel, / Untrügliches Steuer der Schiffe, / Hirte königlicher Lämmer, / Deine einfältigen Kinder sammle, / Dass sie heilig loben, / Arglos preisen / mit dem unschuldigen Mund / Den Erzieher der Kinder Christus. / Der Heiligen König, / Allbezwingendes Wort / Des höchsten Vaters, / der Weisheit Gebieter, / Stütze im Leiden / Voll ewiger Freude, /…“

Jesus Christus ist Weisheit, Stütze im Leid, Erlöser, Hirte – Jesus Christus möge seine Kinder führen, in den Himmel – Jesus Christus ist Wort, Zeit, Licht, Quelle – er ist Leben derer, die Gott loben.

Jesus Christus ist Milch aus den Brüsten der Weisheit – die Glaubenskinder trinken. Der Tau des Heiligen Geistes lässt singen, lässt Jesus Christus loben, dem Geber des Lebens. Die Singenden sind ein Friedens-Chor, lobend den Gott des Friedens.

Auch hier (wie in den Oden Salomos) wird das Singen der Gemeinde als Folge der Sättigung durch den Heiligen Geist angesehen (vgl. auch Lukas 1,67: Benediktus). Jesus Christus wird gepriesen – weil er Menschen Leben schenkt und den Weg dahin weist. Der Mensch wird nicht mehr durch irdische Verkrampfungen gefesselt. Er hat Verbindungen zu dem Befreier, zum Gott des Friedens.

Sibyllinen – Buch VI

Die Sibyllinen sind Prophetinnen – heidnischer Provenienz. Ihre Sprüche wurden gesammelt – bzw. es wurde eine Gattung entwickelt, die rückblickend die Zukunft vorhersagen ließ. Das heißt, es findet ein Ereignis statt – und im Nachhinein wird dieses Ereignis dann als Zukunftsansage beschrieben. Ich vermute, dass man in manchen Bereichen wusste, um welche Art Gattung es sich handelt. In anderen wiederum wurden sie dann für bare Münze genommen. In diesem Lied VI verkündigt eine (christliche) Sibylle Jesus Christus (der allerdings nicht mit Namen genannt wird). Unabhängig von der für uns aus heutiger Perspektive fragwürdigen Entstehung kann doch das Hymnische gewürdigt werden:

Bevor er Mensch wurde, hat er geherrscht – Er wurde Mensch („Gott wurde Vater, weil er [Jesus] durch den Geist sein Sohn war, sichtbar im weißen Gefieder der Taube“) – beschrieben werden seine Taten und Worte – er wird die Seinen rühmen – er wird abgelehnt, gefoltert, am Kreuz getötet – er wird auferstehen („Die Erde wird dich nicht fassen“) – er wird herrschen.

Wie im Philipperhymnus (Philipperbrief 2) wird Jesu Sein im Himmel, sein Handeln, seine Auferweckung besungen (Abstieg – irdisches Leben – Aufstieg), allerdings nicht wie im genannten Brief nur die Kreuzigung, sondern Jesu Wirken. Auch in diesen Texten werden schöne Bilder verwendet (er wird als reine Blüte erblühen, seine Quelle wird reichlich fließen, die Erde freut sich voll Hoffnung auf das Kind). An solchen Texten wird deutlich, dass der Mensch auch nicht durch eine unausweichlich scheinende Geschichte gebunden ist. Gott ist Herr der Geschichte. Diese Sicht hat, wie wir unten sehen werden, Auswirkungen auf das Leben angesichts der Zukunft.

Sibyllinen Buch VII

Das Buch VII hat in 217-250 eine Besonderheit. Die Buchstaben, mit denen die Zeilen beginnen, ergeben das Wort: IESOUS CHRISTOS THEOU HYIOS SOTER STAUROS (Jesus Christus Gottes Sohn Retter Kreuz)  – womit das bekannte ICHTYS genannt wird – also griechisch: „Fisch“ – das frühe Symbol der Christen. Das zweite S („Stauros“ – Kreuz) weist auf die Bedeutung des Kreuzzeichens hin. Es ist Trost, Leben, Erleuchtung, gleichzeitig nehmen Menschen daran ständig Anstoß.

(Auch Augustinus weist in seinem Werk „Gottesstaat“ 18,23 auf diesen [?] Text hin [allerdings noch ohne Hinweis auf das Kreuz], interpretiert das Wort „Fisch“ so: Jesus Christus konnte sich in den tiefen Gewässern der Menschheit aufhalten, ohne zu sterben. Er selbst führt als Vorwurf gegen diese Texte an, dass sie von Christen gefälscht seien [18,46]).

Wie auch immer die Erstellung der Texte beurteilt werden mag, sie zeigen, wie intensiv christliche Dichter am Werk waren.

Ephraim/Ephräm der Syrer (+373)

Von ihm gibt es zahlreiche Hymnen unterschiedlichen Charakters. Viele Hymnen (mit Hinweis auf die Melodie) reagieren auf die Angriffe auf die Stadt Nisibis (heute: Nusaybin, 85.000 Einwohner; bewohnt von Kurden an der türkisch-syrischen Grenze). Diese Stadt wurde von Sapor einem Herrscher Persiens und Christenverfolger belagert und aus christlicher Perspektive wunderbar gerettet. Andere Hymnen besingen die hervorragenden Bischöfe von Nisibis, andere wenden sich gegen Irrlehrer und den Kaiser Julian, der sich gegen Christen gewandt hatte.

Diese Hymnen schildern aktuelle historische Ereignisse. Diese Geschichts-Hymnen sind sehr lang und versuchen, das Leiden ethisch zu reflektieren. Auch im zweiten Nisebenischen Hymnus haben wir wie Sib. VIII einen Akrostichon: Die Buchstaben der Zeilenanfänge lauten übersetzt: Unsere Stimme o Nisebener klagt. Eine Strophe lautet (80ff.) (zitiert nach BKV):

„Sicher ist, daß jener Gütige kein Wohlgefallen hat an Heimsuchungen, die zu allen Zeiten eintreten, obgleich er selbst sie schickt: unsere Sünden sind  die Ursachen unserer Qualen. Kein Mensch darf den Schöpfer beschuldigen, er ist es, der uns beschuldigen kann; denn wir haben gesündigt und ihn zu zürnen genötigt, obgleich er es nicht wollte, und zu strafen, obgleich er kein Wohlgefallen daran hat.“ Der Hymnus schließt (124ff.): „Lasset uns also mit dem vergangenen das Zukünftige abwenden; lassen wir uns belehren durch das Erlebte, um Kommendes zu vermeiden; seien wir eingedenk dessen, was vorangegangen ist, damit wir Zukünftigem entgehen.“

Was wir heute mit Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus aus der Geschichte lernen wollen, damit so etwas nie wieder passiert, wird hier schon formuliert, allerdings mit Blick auf Gott. Das bedeutet, dass nicht nur bestimmte ideologische Übel vermieden werden sollen, sondern das Verhalten insgesamt dem Willen Gottes entsprechen muss, würde Ephraim uns sagen. Wie oben gesehen: Wir können unsere Zukunft beeinflussen. Sie ist kein Räderwerk, das den Menschen in eine Richtung zwingt, die er nicht möchte.

Sehr zu Herzen gehen seine Klagen angesichts der Pest. Dieses Sterben reflektiert er in einem Gedicht, in dem er schildert, dass alle sterben müssen. Als er an einem Grab darüber nachdachte, erkannte er den „geheimen Sinn“: „Der Tod ist ein Bild der Gerechtigkeit Gottes.“ Diese Erkenntnis mündet dann in die Aussage: „Doch nun lasst den Gesang von hier zu Ende uns bringen; Preist des Gerechten Huld, welcher die Leiber erweckt!“ Er sandte seinen Sohn, litt den Tod, um selbst zu spüren, wie schlimm er für Menschen ist. Seit des Todes und der Auferstehung Christi ist für Glaubende der Tod nu ein Schlummer. In einem anderen text beschreibt er, wie die Seele sich vom Körper löst. Der Körper ruft der Seele zu: „Im Frieden zieh´, / Geliebte Seel´! / Der uns zum Licht / Berief, errett´/ Uns von der Höll´!“ In einem anderen Lied zur Pest-Zeit bittet er um Rettung, schließt aber: „Preis Dir, Vater und Sohn, von den Lebenden wie von den Toten“. Das heißt: Der Tod der Glaubenden mündet in das Gotteslob. (Texte: Josef Rauchenbichler (Hg.): Gesänge der Heiligen, Landshut 1837)

Auch hier: Grenzen werden gesprengt. Die Grenzen des Todes – sind eingerissen. Tod und Sterben schmerzen Lebende sehr – aber sie münden ins Leben.

(Nachtrag: Ein Hymnus zur Geburt Jesu lässt Ephraim Joseph singen: „Wer gab mir den Sohn / Des Höchsten zum Sohne?“ Am Schluss heißt es: „Denn im Schoße liegt mir / Der Herr aller Kronen.“ Ein Palmsonntag-Hymnus besingt die gesamte jubelnde Natur, sie freut sich, dass Jesus auf der Erde ist. [J.F. Kayser: Beiträge zur Geschichte und Erklärung der ältesten Kirchen-Hymnen, 1881])

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Damit wende ich mich dann im nächsten Abschnitt einem westlichen Dichter, einem Zeitgenossen von Ephraim, zu und bleibe dann auch mit weiteren Dichtern im Westen: Ambrosius von Mailand (+397).

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