Jesus und die Menschenrechte

In der Zeit Jesu waren Römer die Besatzungsmacht Israels. Widerstandsgruppen versuchten dagegen anzukämpfen, andere hingegen kollaborierten mit den Römern. Die Herrscher waren in Teilen Israels Söhne von Herodes dem Großen und in Judäa zeitweise der römische Statthalter. Der eine Sohn, Herodes Antipas, wurde von dem Täufer Johannes wegen seiner Ehescheidung von seiner Frau, der Tochter des Nabatäer-Königs Aretas IV., und der Heirat der Frau seines Bruders kritisiert – woraufhin dieser Johannes hinrichten ließ. Laut Josefus befürchtete Herodes, dass der Rat des Johannes Menschen zum Aufruhr führen könnte. Herodes Antipas verlor den Krieg gegen Aretas, weil die Johannes-Anhänger verweigerten ihn zu unterstützen.

Nachdem Johannes der Täufer gefangen genommen war, begann Jesus, der von Johannes getauft worden war, seine Wirksamkeit wahrscheinlich im Jahr 27/28. Es könnte sein, dass die Gefangennahme das öffentliche Auftreten mit beeinflusst hat. Wie dem auch sei. Jesus begann in aufgeregten Zeiten zu wirken.

Jesus wandte sich nicht den Widerstandsgruppen zu, ebensowenig war er wohl von den Kollaborateuren angetan. So ist auffällig, dass nicht berichtet wird, dass er jemals die vom Heidentum geprägten Städte Tiberias und Sepphoris besucht hat.

Jesus hatte anderes im Sinn: Er wollte sein Volk stärken, indem er die Grenzen zwischen den einzelnen Gruppen einriss: Pharisäer, Schriftgelehrte sollten mit den Zöllnern und sonstigen als unrein angesehenen Menschen zusammen leben. Trennungen sind nicht von Gott gewollt, Gott selbst sucht seine Familie zu einen (Lukas 15). In diesen Einigungsprozess konnten auch diejenigen von den Römern eingeschlossen werden, die sich ihm zuwandten (Wunder an dem Sohn eines vermutlich römischen Offiziers; Mt 8,5ff.). Jesus spricht nicht davon, dass Menschen Ebenbild Gottes seien, sondern er formuliert diese Vorstellung in einem Gleichnis in einer praktischen Form um: In Menschen, die hungern, krank und fremd sind, die nackt und durstig sind, in denen ist Gott zu finden, an anderer Stelle sieht er Gott in dem Straßenkind (Mt 25,31ff; Mk 9,33ff.).

Jesus versuchte im Grunde eine Parallel-Gesellschaft zu initiieren, in der Menschen gut miteinander auskommen, einander vergeben, einander unterstützen. Weitere Grundregeln finden wir zum Beispiel in der Bergpredigt (Mt 5-7). In diesem Zusammenhang sei das Wort Jesu genannt: In der Welt herrschen die einen über die anderen (die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, die Mächtigen tun ihnen Gewalt an) – aber bei euch soll es nicht so sein (Mk 10,41ff.). Die Menschen dieser Parallelgesellschaft sind Salz der Erde, Licht der Welt – also nicht die Herrscher, nicht die klugen Schriftgelehrten (Juristen, Theologen…) und reichen Kaufleute sind es, die die Welt begründen und zusammenhalten, sie erleuchten, sondern es sind die Menschen, die unter den Menschen nichts gelten und verachtet werden – aber von Gott geachtet werden (Mt 11,25ff.; 5,13ff.)

Jesus macht diese Individuen groß. Und diese sind es auch, die die neue Botschaft verkünden und leben sollen und werden. Diese sieht er nicht als eine Gruppe an, die gegen den Kaiser/Herrscher agitiert, sondern Gottes Willen tut (gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und gebt Gott, was Gott gehört; Mk 12,13ff.). Diese Sicht finden wir im Johannesevangelium so wiedergegeben: Jesus sagt dem Pilatus: Mein Reich ist nicht von dieser Welt (Johannes 18,35). In der Jesusüberlieferung finden wir auch die Hinweise, dass die Menschen Jesu verfolgt werden von staatlichen Organen, dass sie aber keine Angst vor diesen haben müssten (Mk 13,3ff.). Sie können zwar den Körper töten, nicht aber die Seele (Mt 16,24ff.). Diese verfolgte Gruppe, die Menschen, die diese Botschaft leben, werden verfolgt, aber dennoch breitet sich diese aus: Sie wächst wie ein Senfkorn, das Gott zum Baum werden lässt, sie durchsäuert die Welt wie der Sauerteig den Teig (Mt 13,31ff.). Jesus sendet diese Menschen äußerst selbstbewusst aus, um die kommende Gottesherrschaft anzukündigen – die die Herrschaft der Menschen beenden wird. Diese Botschaft soll Israel durchdringen – und letztlich die Welt (Mt 10,5ff.; 5,13f.; 6,10; vgl. Mk 13,10). Das Versagen der Herrscher scheint Jesus einfach zur Kenntnis zu nehmen. Es ist als solches vorhanden, es ist Tatsache. Er setzt diesen Herrschern kein Königsgesetz vor, keinen Spiegel, denn seine Adressaten sind die Beherrschten. Auf ihren Schultern ruht die Durchdringung der Welt mit der Botschaft Gottes, dass ein neues Leben zu wagen ist,  

Wir finden also bei Jesus die Stärkung des Individuums und die Zusammenführung Gleichgesinnter zu einer neuen Form der Gesellschaft. Diese lebt den Willen Gottes unter großem gesellschaftlichen und politischen Druck, wird aber letztendlich von Gott groß gemacht werden. Dieses neue Leben erfordert Klugheit (Mt 10,16) – auch im Umgang mit den herrschenden Gruppen. Und diese Klugheit wird bei Jesus in der Auseinandersetzung mit seinen Anklägern deutlich, wie soeben an dem Wort erkennbar ist: Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört.

Im Lukasevangelium haben wir das Lied der Maria, das Magnifikat (Lk 1,46ff.). In diesem Lied der Mutter Jesu ist die Rede davon, dass Gott die Erniedrigten erhebt, die Herrscher vom Thron stürzt, den Hungernden Nahrung gibt, Reiche leer ausgehen lässt. Dieses Ziel ist im Blick – eben auf neue Art und Weise, nicht im Kampf gegen die Herrscher, nicht, indem die Reichen beraubt werden, sondern indem Erniedrigte, Ausgestoßene und Kranke aufgerichtet werden und die neue Gemeinschaft die negative Armut bekämpft. Dieses Bewusstsein treibt die Anhänger des Anfangs an – und hatte während der Kirchengeschichte immer wieder Funken entfacht. Vor allem hat man in Jesus Christus Gott reden und handeln sehen. Dieses Gottesbild hat die Vorstellung von dem geprägt, was menschlich ist. Es prägt das Bild von einem guten Zusammenleben, das man anstreben möchte, allen realen Vorstellungen zum Trotz.

Dazu kamen noch die Aussagen die wir in den Evangelien finden, die davon sprechen, dass Jesus sein leben als Lösegeld für viele/alle gebe, dass er die Sünde der Welt trägt (Johannes 1,29), dass Gott die Welt geliebt hat, so sehr, dass er seinen Sohn gesandt hat in die Welt (Johannes 3,16).

Die Bedeutung Jesu für Menschenrechte ist somit nicht plakativ, philosophisch, nicht thesenhaft. Sie ist subtil. Sie erschließt sich aus seiner kritischen und menschenfreundlichen Wirksamkeit, seinem Versuch, mit Hilfe einer Parallelwelt die Situation unter den Menschen zu ändern. Diese Parallelwelt soll das Zusammenleben der Menschen wie einen Sauerteig durchdringen, zum Guten führen. Viele Menschen unserer Kultur leben und denken aus dieser Tradition. Entsprechend haben sie die Menschenrechte formulieren können – und damit Menschen weltweit aus dem Herzen gesprochen.

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