Enzensbergers Experten-Revue + Die letzte Seele

Diese Rezension zu Enzensbergers Experten-Revue klingt gut: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/kritik-zu-enzensbergers-eine-experten-revue-in-89-nummern-16278273.html

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Beim Aufräumen fiel mir ein Büchlein in die Hand, das ein Mensch einem unserer Verwandten 1934 geschenkt hatte: Otto von Leixner: Die letzte Seele, 1907.

Es wird suggeriert, dass der Text ein Lebensrückblick eines alten Pfarrers an seinen Sohn ist, der während des 30 jährigen Krieges gelebt hat. Es ist ein sehr ergreifender Text. Der Pfarrer wirkt in einer ganz kleinen Waldgemeinde in der Nähe von Magdeburg. Alles ist friedlich, arm, jeder geht seiner Arbeit nach. Natur pur, Vögel singen… Auf einmal bricht die brutale Soldateska in das Dorf ein, während er auf dem Feld arbeitet, sein kleiner Sohn ist dabei. Abends kommt er heim, überall Leichen, auch seine Frau und seine Tochter wurden erschlagen. Er zerbricht an Gott. Er tut nur noch seine Pflicht als Pfarrer. Er ist für die Menschen da, aber ohne Glauben. Dann kommt es noch ärger: Der Pfarrer trifft einen schwer erkrankten Mann, er nimmt ihn auf – der hatte die Pest. Die Menschen des Dorfes werden dahingerafft, manche fliehen. Zuletzt leben nur noch sein kleiner Sohn und er. Bevor am Ende das ganze Dorf ausgerottet ist, will er seinen Sohn töten, doch dann schaut der ihn himmlisch lächelnd an – und der Pfarrer merkt auf einmal, dass Gott die ganze Zeit bei ihm war, dass er durch ihn gewirkt hatte, den Menschen geholfen und sie getröstet hatte. Nun handelt er nicht mehr aus Pflicht an den Menschen, er handelt aus Liebe. Das Söhnchen stirbt auch zuletzt, dann macht er sich auf nach Magdeburg, wird dort Pfarrer, bekommt eine neue Frau und Kind.

Das Buch lehrt: Leiden sind wie Herbstblätter – sie verwehen im Wind – keiner denkt dann mehr an sie. Der Glaube an die Auferstehung wird als tragendes Element immer genannt – wenn auch der Mensch selbst nicht mehr daran glaubt, so trägt der Glaube doch, bis Gott selbst sich in einer Situation einbringt. Und: Man soll anderen helfen, so gut es geht, mit allem, was man hat. Liebe zu Gott und Menschen ist das Zentrale, wenn ein Prediger das nicht hat, nützt ihm sein Glaube nichts – und diejenigen, die sich wegen konfessioneller Unterschiede streiten, sollte man von den Kanzeln jagen.

Wie oben geschrieben – das Büchlein suggeriert nur, im 17. Jahrhundert entstanden zu sein. Aber es zeigt, was dem Autor zu Beginn des 20. Jahrhunderts wichtig gewesen ist. Und: Als es 1934 verschenkt wurde, als Barbaren wieder herrschten und wenige Jahre später einen Krieg anzettelten, die auch das Land zerstörten… – was wollte der Schenkende damit sagen?

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