Christen verändern die Welt (20): Barmherzigkeit

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Zunächst stellt Mangalwadi im 16. Kapitel Nietzsche dar. Dieser hat gesehen, dass Christen “das Evangelium den Armen, den Niedrigen gepredigt” habe, “der Gesamtaufstand alles Niedergetretenen, Elenden und Missratenen, Schlechtweggekommenen gegen die Rasse” habe durch das Christentum stattgefunden. Nietzsche wendet sich bekanntlich gegen diese christlichen Zumutungen, die Geringe aus dem Staub erhebt.

Mangalwadi schreibt: Diese Sicht Nietzsches “bringt gut den entscheidenden Gegensatz zwischen dem jüdisch-christlichen Gleichheitsgedanken und den hinduistischen (arischen/rassistischen), hierarchischen Gesellschaftsformen auf den Punkt, deren Stabilität auf dem Kastenwesen, also auf biologischer Fortpflanzung beruht.” Und so verstehen Hindus das Mitleid der Christen nicht, da diese Menschen eben Opfer ihres Karmas seien und Christen helfen in ihren Augen solchen Menschen nur, um Indien zu Kolonialisieren. Nietzsche hat erkannt, dass die “stärkste Kraft zur Humanisierung” von der Bibel ausgegangen sei. Viele Organisationen seien christlich gewesen, dann säkularisiert worden – und seitdem steht das geschäftliche im Vordergrund.

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Griechen, Römer, Inder, Muslime hatten große Ärzte – aber diese hatten keine Folgen. Moderne Medizin war erst Folge der diakonischen Einstellung, die diese Aufgabe zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe erklärten.

Er schildert als Basis christlicher Medizin die Errungenschaften der Griechen, die von Muslimen übernommen und nicht nur nach Europa, sondern auch nach Indien gebracht wurden. Daher gibt es in Indien auch Medizinhäuser auf Kräuterbasis. Wissenschaftliche Medizin ist nicht aufgekommen. Er spricht kurz Rom an, mit seiner Kultur des Todes, dann den Ausgangspunkt christlichen Handelns: Jesus, der sich gerade denen zuwandte, die in Rom nichts galten. Dass das ein ganz neuer Ansatz war, sehen manche Menschen damaliger Zeit – sie wurden Christen und humanisierten die römische Kultur. So entstand 369 durch den Bischof von Caesarea, Basilius der Große, das erste Krankenhaus. Klöster nahmen diese Anregung auf, schrieben klassische und islamische Werke ab (genannt werden die islamischen Ärzte: Rhazes, Avicenna, Avenzoar, Abulcasis) und führten die weiter. Diese klassischen griechischen Werke waren von Christen ins Arabische übersetzt worden, wurden dann von Muslimen rezipiert und gelangten dann nach Europa.

Das erste moderne chirurgische Buch wurde durch den katholischen Priester Guido de Cauliaco (1363) verfasst. Während Muslime diese Ansätze nicht weiterführten, so Mangalwadi: Muslime folgten einem Feldherrn (Mohammed), Christen einem Arzt (Jesus). Und so wurde die moderne Medizin in Europa vorbereitet, die dann durch den puritanischen Wissenschaftler Sydenham (1624-1689)grundsätzlich neu orientiert wurde.

Auch Inder haben eine bedeutende medizinische Tradition: Ayurveda, vor allem aber auch durch Sushrutas Samhita-Beiträge (1. Jh.v.-7. Jh.n.): Operation am Grauen Star, plastische Chirurgie, Massage, AromaTherapie. Dann erzählt Mangalwadi die Geschichte der berühmten Ärztin Ida Scudder (1870-1960). Sie musste als junges Mädchen in Indien die Erfahrung machen, dass drei Frauen sterben mussten, weil deren Ehemänner keinen männlichen Arzt an ihre Frauen heran gelassen haben. Sie studierte Medizin, kehrte nach Indien zurück und es entstand eines der berühmtesten indischen Krankenhäuser. Es wurden – eine Besonderheit für Indien – auch Ärztinnen ausgebildet. Dazu war die gesamte indische Gesellschaft durch die Jahrtausende hindurch nicht bereit gewesen. Zudem herrschte in Indien die Ansicht, dass Wissen geheim bleiben muss. Nur Auserwählten darf man dieses Geheimwissen weitergeben. So gab es hervorragende Ärzte, aber es konnte keine medizinische Struktur entwickelt werden. Zudem durften nur Menschen aus untersten Kasten schmutzige Dienste tun, so z.B. als Hebammen arbeiten. Zudem: Die kosmische Gerechtigkeit lässt Menschen leiden – und anderen helfen bedeutet, dieser Gerechtigkeit in den Arm zu fallen. Inder hatten auch Mitleid. Das sah man an den Hindus, die auch Mutter Teresa unterstützten. Aber erst diese Christinnen haben Indern die Augen dafür geöffnet, dass man auch etwas gegen das Leiden tun kann. Ebenso beim Buddhismus: Man muss, so die buddhistische Weltanschauung, unabhängig bleiben, wie Buddha sich von seiner Familie trennte und vor jeglichen Anhaftungen warnte. Das buddhistische Mitgefühl bedeutet damit gleichzeitig, sich anderen nicht verpflichtet zu fühlen. Und da man die Erleuchtung im Blick hat, hat man keine Motivation, Medizin zu entwickeln. Heute hat Indien hervorragende Ärzte – aber selbst Inder trauen in vielem Indern nicht.

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Wie wesentlich das gesamte kulturelle Umfeld ist, macht Mangalwadi an einem Mangobaum deutlich: In Indien trägt er wunderschön. Man mag ihn ins kalte Europa verfrachten – er wird ein paar Früchte tragen – und dann eingehen. Wenn das christliche kulturelle Umfeld säkularisiert wird, wird es auch dem Westen wie Indien ergehen: Der Mangobaum geht ein, auch wenn er zuvor ein paar verheißungsvolle Früchte getragen hat.

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