Leiden

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In der Biographie über Manfred Hausmann von Karlheinz Schauder wird aus Hausmanns “Zauberin von Buxtehude” zitiert: “Ein Leid, das du verstehen kannst, ist kein wirkliches Leid. Das wirkliche Leid ist voller Geheimnis. Ich habe hier gesessen in meiner Mutterseelenverlassenheit und mich unsagbar vor dem gefürchtet, was mir bevorsteht. Und ich fürchte mich auch jetzt noch davor. Aber immer wieder habe ich zuunterst in dem Grauen einen Willen gespürt, der etwas mit mir vorhat. Das Leid, das mir auferlegt ist, mir und dir, soll etwas bedeuten. Nichts Verständliches, etwas viel Tieferes. Das Leid ist ja nicht dazu da, daß wir es verstehen, sondern daß wir es ertragen. … Von allem Unergründlichen auf der Welt ist das Leid das Allerunergründlichste. Aber in dieser Unergründlichkeit kommt Gott mir nahe.” (S. 108)

Dazu meine Weiterführung:

Leiden muss jedes Lebewesen – manche nehmen es wahr, manche eher weniger bzw. gar nicht, obgleich (fast) jedes Lebewesen einen Fluchtreflex hat, um der Gefahr, dem Leiden zu entgehen. Dieser Fluchtreflex dient dem Überleben – und wer am stärksten ist und am besten Gefahren entfliehen kann, hat die besten Chancen zu überleben – somit ist er ein erfolgreiches Element im Evolutionsprozess.

Der Mensch jedoch kann leiden. Er hat eine empfindsame Psyche. Er hat eine Psyche, die eigenes Leiden und fremdes Leiden wahrnehmen kann. Aufgrund dieser Fähigkeit, fremdes Leiden wahrzunehmen – wird seine Stärke, sein Egoismus (im Idealfall) ausgehebelt und somit wird die Evolutionsthese vom Überleben des Stärkeren eingeschränkt. Die Psyche des Menschen kann auch so empfindsam sein, dass er dann, wenn er sich als egoistisch und mörderisch erwiesen hat, durch Traumata lahm legen kann – das heißt: Die empfindsame Psyche des Menschen scheint der Lehre vom Überlegensein des Stärkeren entgegenzustehen.

Die Empfindsamkeit der Psyche, die eigenes Leiden, durch sich selbst verursachtes Leiden oder das Leiden der anderen wahrnimmt, hebt den Menschen über sich selbst hinaus, hebt ihn über die Theorie der Evolution hinaus. Die Empfindsamkeit des Menschen für Leiden, seine Leidensfähigkeit muss damit zu tun haben, dass Gott ihm diese Empfindsamkeit ermöglicht. Denn von der Evolutionstheorie her gesehen, sind alle Leidempfindsamen schwach, legen sich selbst lahm und müssten entsprechend ausgestorben sein.

Gerade weil wir Menschen von Gott ermöglicht bekommen haben, eigenes und fremdes Leiden zu empfinden, verstehen wir Gott nicht, der dieses Leiden zulässt bzw. der es zulässt, dass wir Leiden empfinden, es uns psychisch beschäftigt, angreift, verstört. Gerade das, was unser Menschsein auch ausmacht, es gegenüber anderen Geschöpfen ganz besonders auszeichnet, eben bewusste Leidempfindung, will uns von Gott trennen.

Durch bewusste Leidempfindung macht Gott uns Menschen zu dem Besonderen: zu menschlichen Menschen. Damit haben wir etwas von Gott mitbekommen, das ihn auch selbst bestimmt: Er leidet mit uns – und weil er dieses Empfinden hat, sorgt er sich dafür, dass wir miteinander sozial umgehen, dass wir Leiden vermeiden.

Letztlich zeigte er seine Leidensfähigkeit im Sterben Jesu Christi am Kreuz. Leiden widerspricht Gott nicht – wir leiden, weil uns das mit Gott eint.

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