Nationalismus

Es ist interessant zu beobachten, dass immer mehr Staaten nationalistische Positionen vertreten. Und das aus unterschiedlichen Gründen: In den ehemaligen Ostblockstaaten hatte man als staatlich verordneten Identifikationspunkt den Kommunismus. Der bröckelte bekanntlich weg. Nun fehlt er – und die EU kann nicht an dessen Stelle treten, da die EU keine Ideologie ist, sondern eine Vereinigung von Staaten auf sachlich-wirtschaftlicher Ebene – sagen wir mal so verkürzend. Ebenso bröckelt in Polen der Katholizismus ein wenig weg – das heißt: Man muss, um die Gesellschaft irgendwie zusammenzuhalten, entsprechende Identifikationsmuster finden – und findet sie im altbewährten aber gefährlichen Nationalismus. Und um den nicht zu gefährden, verweigert man die Aufnahme von Zuwanderern, denn diese leben in einer Zeit aufkeimenden Nationalismuses gefährlich – und tragen gleichzeitig zu einem unkontrollierten Nationalismus bei. Brüssel hat das nicht kapiert und versucht mit Druck, sich gegen diese nationalen Bestrebungen durchzusetzen – und das geht nach hinten los, weil die Verantwortlichen der Staaten eben alles tun müssen, um ihre Bevölkerung nicht zu spalten. Natürlich sieht man, dass es auch Menschen gibt, die die nationalen Bestrebungen nicht mitmachen und dagegen protestieren. Das ist auch gut so, wenn es denn friedlich abläuft, und den anderen zeigt: Nationalismus ist nicht die einzige Möglichkeit. Allerdings dürfen sie nicht nur demonstrieren, sondern müssen andere reale Wege aufzeigen, die die Gesellschaft als Identifikationspunkt finden kann, um dem Nationalismus zu entfliehen.

Im Westen sieht die Sache anders aus: Hier propagierte man in der Vergangenheit: Europa statt Nationalstaaten. Die Menschen ließen sich weitgehend darauf ein – und nun heißt es aber angesichts der Herzukommenden aus aller Herren Länder: Nichts ist es mit der Identifikation mit Europa – wir sind global. Und da können viele nicht mit, denn Globalisierung kann nur für diejenigen als Identifikation dienen, die auch Erfahrungen mit der Globalisierung haben – eben positive Erfahrungen. Und das sind womöglich überwiegend Firmenmitarbeiter, Journalisten und andere dienstlich Reisende – vorausgesetzt, sie haben positive Erfahrungen gemacht, was auch nicht unbedingt die Regel ist. Auch Touristen mögen darunter sein, die es genießen, überall Urlaub machen zu können. Aber alle anderen haben da ihre Schwierigkeiten – und das hängt auch noch mit einem anderen Aspekt zusammen: Konkurrenz.

Kommen viele Menschen aus anderen Ländern, die keine Berufsausbildung haben und auch – mit wenigen Ausnahmen – kaum Chancen auf die Ergreifung eines höher entgoltenen Berufes, bleiben sie für viele Nichtglobalisierte eine berufliche Konkurrenz.  Zudem kommt schnell Neid auf, wenn diese vom Staat (vermeintlich) besser gestellt und intensiver unterstützt werden, als man selbst.

Man kann das alles schlecht finden, man kann darüber Zeter und Mordio schreien, man kann aus Zorn darüber andere bedrohen oder mit Totschlag-Argumenten zum Schweigen bringen – es hilft nichts. Realität ist Realität. Man muss schauen, wie man mit ihr umgeht, sodass die Menschen von besseren Wegen überzeugt werden. Darüber hinaus:

Wir müssen beachten, dass die europäischen Länder selbst schon in massiven Spannungen leben, die uralt sind und mit lokalen Identifikationen zu tun haben: Spanien mit den unterschiedlichen Bestrebungen innerhalb des Landes, sich abzuspalten. Frankreich mit seinen Spannungen zwischen Nordfrankreich und Südfrankreich. Italien mit seinen Spannungen: Norditalien – Süditalien. Belgien… Großbritannien… Europa Nord – Süd – Ost… Das heißt: Die Länder Europas selbst sind recht labil – und dann kommen noch Menschen aus anderen Ländern hinzu, die als Konkurrenz angesehen werden, weil ja auch europaweit große Armut herrscht, dann wird es brenzlig. Bei uns in Deutschland geht es noch weitgehend gut, weil es eben wirtschaftlich ganz gut mithalten kann. Wenn hier die Konkurrenzkämpfe größer werden, dann mag ich sicher auch nicht mehr in Deutschland leben, weil die Extremisten, die sich ja jetzt schon gegenseitig hochschaukeln, dann erst recht hochschaukeln werden. Europa muss sich, bevor es sich auf irgendwelche Abenteuer einlässt, erst einmal selbst konsolidieren. Gibt es Versuche, ernsthafte Versuche, die europäischen Staaten zu konsolidieren – und das nicht nur über wirtschaftliche Aspekte? Wird kultureller Austausch ernsthaft betrieben? Können stärkere Länder arbeitslose aus ärmeren europäischen Ländern nachhaltiger aufnehmen, ausbilden, Job geben? Woran hapert es?

Dieser National-Virus hat eben auch andere Staaten ergriffen, wie wir an den USA sehen können und ebenso an Russland, an China.

Christen denken immer – wenn der Glaube ihr Maßstab ist – nicht national. Von daher müssen sie allen nationalen Bestrebungen widersprechen. Sie haben nur ein Problem: Wenn man gegen die Realität agiert, dann ist man Anhänger einer Ideologe. Und Christen sind keine Ideologen, sondern sie leben in Verantwortung vor Gott für die Gesellschaft in der sie jeweils leben. Und wenn sie nationales Bestreben ganz außer Acht lassen und versuchen, ihre Internationalität in der Bevölkerung auf Teufel komm raus durchzudrücken, dann kann es leicht sein, dass keiner mehr auf sie hört – eben die Gesellschaft zerbricht, die Einheit zerstört wird, der Teufel – der Verwirrer – rauskommt. Und ich sehe Christen auch in gewisser Weise als Kitt: Als Kinder Gottes können wir vergebend, offen miteinander sprechen, über innergesellschaftliche Grenzen hinweg. Parteien und Ideologien bauen Mauern zwischen Menschen – Christen haben immer die Aufgabe, alle diese Mauern zu überwinden, auch wenn sie von den jeweiligen Mauerbauern angefeindet werden. Wenn Christen selbst anfangen, Mauern der Abgrenzung zu bauen, dann sind sie Partei und für den Zusammenhalt einer Gesellschaft irrelevant – sie stehen ihr ja selbst entgegen. Das heißt nicht, dass Christen beliebig werden sollen. Aber ihr Maßstab ist der Glaube und nicht irgendwelche politische Maßgeblichkeit.

Von daher denke ich, wir Christen müssen einen anderen Weg gehen, diese Nationalismen zu überwinden: Europa muss von unten wachsen. Es wächst ja stetig. Es gibt immer wieder Rückschläge – von diesen darf man sich nicht entmutigen lassen. Wir müssen rational begründen, warum Nationen, die sich isolieren, im Grunde keine Chance mehr haben. Die Politik muss ermahnt werden, das zu tun, was real geht und was eine Überdehnung der Bevölkerung ist. Man kann sich an Dehnungen gewöhnen, wenn sie langsam gehen. Wenn man zu schnell weitergehen will, dann klappt es nicht, dann reißt es – und die Rückschläge werden massiver.

Merkel spricht von einem Europa der zwei Geschwindigkeiten. Das ist gut – aber auch realistisch? Denn in den jeweiligen Ländern gibt es ja schnelle und langsame. In Deutschland gibt es sie wie in Frankreich – und es sieht im Augenblick so aus, als würden die Langsamen immer stärker werden – und sie werden immer stärker, je schneller die Schnellen vorpreschen. Die Schnellen müssen warten können.

Das ist banal – aber vielleicht wirklich vergleichbar: Wenn eine Gruppe wandert und die Schnellen vorausrasen, dann zerreißt die Gruppe. Und wenn keiner von der hinteren Gruppe weiß, wo der eigentliche Weg eigentlich hingehen sollte, weil sie sich auf die vorderen verlassen haben, wenden sie sich vermutlich Irrwegen zu. Es muss also nicht allein auf die langsameren Staaten Rücksicht genommen werden, sondern auch auf die Langsameren in den schnellen Staaten selbst.

Es sei noch angemerkt, dass das ein Blogbeitrag ist und keine Dissertation oder umfassende Untersuchung zu Nationalismus.

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