Es geht im die Frage der Würde des ungeborenen Kindes. Hat es Würde, ja oder nein – weil er Mensch ist? Singer und seine Fans sagen natürlich: nein – weil Tiere auch Würde haben, zählt eben die Würde des werdenden Menschen nicht. Man muss also diese Philosophie dahinter erkennen, wenn Leute so frisch und frei dem ungeborenen Kind, dem behinderten Kind und manche eben auch dem neugeborenen Kind Würde absprechen.
In einer Diskussion sagte eine Frau, dass es in der Frage der Würde des ungeborenen Menschen auch um die Würde der Frau gehe. Und hier Würde der Frau höher anzusetzen sei als die Würde des Ungeborenen. Das heißt also, kurz gesagt: eine schwangere Frau hat keine Würde, wenn dem ungeborenen Menschen Würde zugesprochen wird? (5)(6)
Schwangerschaft gehört zur Würde! Wir leben in einer Zeit, in der Menschen sich von der Natur lösen wollen. Sie wollen alles beherrschen. Sie sagen: Sexualität ist nicht Natur – Sexualität ist eine Rolle. Und da sehen wir, wozu das führen kann: Das führt dazu, dass manche sich anmaßen, Frauen einzureden, dass die Würde des ungeborenen Menschen der Würde der Frau widerspricht, bzw. Frauen das Gefühl haben, dass eine Schwangerschaft der Würde widerspricht – also Rolle gegen Rolle.
Weil wir alle nur Rollenspieler sind, können wir eben sagen: meine Rolle ist die einer Frau, die sich entwürdigt sieht, wenn sie schwanger ist. Aber warum lassen sich das manche Frauen einreden bzw. sagen es sich selbst? Man kann doch die Rolle auch als eine sich überschneidende, verwobene, verzahnte Würde sehen und nicht die eine Würde gegen die Würde des anderen ausspielen. (3)
Ich habe noch die Worte einer Frau im Ohr, die sich dadurch entwürdigt fühlte, dass sie dem Kind ihre Brust reichte – wie eine Kuh! Sie fühlte sich durch dieses Wunder entwürdigt, weil sie sich mit einem Tier verglichen hat. Warum? Wir sind Menschen. Wir sind biologische Wesen. Ich muss mich nicht als Tier sehen – sondern einfach als Mensch in seiner Würde, indem, ich das tue, was in mir an Wunder angelegt ist. Oder die Ablehnung von Frauen, die in der Öffentlichkeit ihrem Kind Nahrung schenken. Das ist doch einfach nur verirrtes und verwirrtes Menschsein, sind Menschen, die nicht anerkennen wollen, dass wir Menschen in all unserer Körperlichkeit sind. Das Stillen hat übrigens eine Besonderheit: Kindchen wie Mutter scheu sich in die Augen. Was so bei keinem Tier geschieht. Der Vorgang hat eine seelische Intimität. (1)
In früher Zeit, so wird vielen Christen vorgeworfen, haben sie die Sexualität verdrängt. Sie haben sie verdrängt, weil sie den Körper missachteten. Sie wollten eben keine Zeugungstiere sein. (2) Heute haben wir das auch – aber eben nur aus einer anderen Perspektive. Sex – ja, aber ohne Konsequenzen. Dabei waren diese frommen Christen ehrlich gesagt konsequenter. Nicht nur das Kind austragen war für sie körperlich, sondern auch das Kind zeugen, nicht nur Kind und Zeugung, sondern Sex als Vorstellung, insgesamt als biologische Forderung des Körpers. Heute will man Sex – aber eben keine Kinder.
Eine weitere, menschheitsgeschichtliche Entwürdigung der Frau bestand darin, dass man die schwangere Frau lächerlich machte, sie erniedrigte – und in gewaltvollen Zeiten ihre Hilflosigkeit ausnutzte, um sie zu entwürdigen. (4)
Menschen dürfen ihre Körperlichkeit akzeptieren. Wir sind Wesen mit einem wunderbaren Körper und einem Geist. Bei manchen Philosophien wird der Geist so dominant, dass er meint, er habe die volle Macht über den Körper, er könne dem Körper befehlen, welche Rolle er zu spielen hat. Diese philosophische Geistdominanz äußert sich eben in immer neuen Facetten. Die Hybris des Geistes setzt sich bei manchen wieder durch – dabei haben wir doch inzwischen erkannt: Körper und Geist gehören zusammen. Der Körper kann nicht ohne Geist, der Geist nicht ohne Körper, wenn dem Körper etwas schmerzt, leidet der Geist, wenn der Geist leidet, leidet der Körper. Aber diese Geist-Hybris versucht sich immer wieder durchzusetzen.
Und heute ist die Geist-Hybris darin erkennbar, dass sie meint, man müsse die Würde des Kindes von der Würde der Frau trennen – wobei eben beides zusammenhängt. Die Würde des Mannes ist ja auch nicht von der Würde seiner Zeugungskraft zu trennen. Sie gehören zusammen. Das heißt freilich im Umkehrschluss nicht: dass man ohne diese nur eine unvollkommene Würde hat. Das wäre genauso sonderbar.
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Ich vermute, dass die Aussage: Würde des ungeborenen Menschen vs. Würde der Mutter von daher kommt, dass man sagte: Lieber das Leben der Mutter retten als das Leben des ungeborenen Kindes, wenn es zu solchen schlimmen Entscheidungszwängen kommt. Aber das ist etwas anderes, als Leben durch Würde ersetzen. Denn wenn dem ungeborenen Kind das Leben genommen wird, wird es ja nicht als ungewollt ent-würdigt, seine Würde als geringer angesehen. Die Argumentation ist eine andere, die hier in dieser kurzen Darlegung nicht vertieft werden soll.
In dieser Hinsicht ist auch zu bedenken, dass manche Mütter wohl sagen, dass lieber das Kind überleben solle als sie. Aber auch das hat nicht mit der Würde des Menschen zu tun, die Mutter entwürdigt sich ja nicht für das Kind. In ihrer Würde in Freiheit zu entscheiden, entscheidet sie sich für das Leben des Kindes. Es ist auch keine Übertragung ihrer Würde auf die Würde des Kindes. Diese Trennung von Würde – Würde des Ungeborenen / Würde der Mutter -, dieses Schwarz-weiß Denken ist übel. Sie gehören zusammen. Sie sind, wie ich oben schrieb, überschneidende, verwobene, verzahnte Würde.
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Meine große Frage ist: Warum propagieren diese Menschen, die für Schwangerschaftsabbruch sind, nicht stärker die Verhütung? Der Schwangerschaftsabbruch wird in den Mittelpunkt gestellt – aber wir haben doch heutzutage Möglichkeiten der Verhütung, die Generationen vor uns nicht hatten. Die Verhütungen sind zum Teil störend und für manche auch gesundheitlich schädlich. Das sind Schwangerschaftsabbrüche ja auch. Aber es gibt weitere Möglichkeiten. Das nur am Rande. Bevor man ein ungeborenes Wesen tötet, kann man doch verhindern, dass es überhaupt dazu kommt. Wäre das nicht vernünftiger? Vernünftiger schon – aber da es sich um eine Auseinandersetzung mit Ideologen handelt, spielt bei ihnen Vernunft keine große Rolle. Es geht nur darum, die Möglichkeit des Abbruchs durchzusetzen. (7)
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(1) Natürlich spielen noch andere Aspekte eine Rolle: Wenn Frauen dagegen sind, dass Mütter in der Öffentlichkeit stillen, dann kann unter anderem auch Neid im Spiel sein, Eifersucht; wenn Männer dagegen sind, kann es sein, dass sie sich sexuell getriggert fühlen; oder es kann sein, dass Männer/Frauen durch ihren kulturellen Hintergrund auf morschen Holzwegen sind. Aber wenn das Stillen aus dem öffentlichen Raum verschwindet, dann kann es vorkommen, dass das Säugen des Kalbes als Bild präsenter ist als das Stillen eines Babys.
(2) Das gab es vermutlich auch – s. Origenes; aber es kann auch andere Gründe haben: sich ganz auf Gott und die Verbreitung seiner Botschaft konzentrieren.
(3) Und das ist ja insgesamt im Zusammenleben so: Meine Würde ist immer mit der Würde der Menschen, mit denen ich zusammenlebe, verwoben. Das Individuum hat Würde – und diese auch als homo politicus, als soziales Wesen im Zusammenspiel mit anderen Menschen.
(4) In der Bibel wird erkannt, dass Kinder ein Segen sind, dass die Verletzung einer Schwangeren gerichtlich geahndet wird, dass Gott mich im Leib der Mutter bereitet hat. Die Schmerzen bei der Geburt werden erschrocken thematisiert und dienen als Bild für die furchtbaren Schmerzen, die ein Volk erleben muss. Wir finden Mitleid mit den Schwangeren, weil sie in Notzeiten besonders gefährdet sind. Als besonderes Vergehen wird der Umgang mit Schwangeren in Kriegszeiten gebrandmarkt. Die Geburt selbst wird freilich mit Unreinheit verbunden – das hängt einmal mit der kulturellen Angst vor Körperflüssigkeiten (Blut) zusammen, zum anderen aber auch: Manche Frauen sind bei der Geburt gestorben, das heißt, man wusste nicht, woran das lag. Was Angst mit sich brachte. Irgendwas muss gefährlich sein an den Flüssigkeiten.
(5) Übrigens spielte sie auch die evangelische Kirche gegen die katholische Kirche aus. Das ist falsch. Sicher haben manche Evangelen (wie auch manche Katholen in westlichen Ländern) ein lockereres Verhältnis zur Abtreibung. Das hängt aber nicht mit der grundlegenden Theologie zusammen, das hängt damit zusammen, dass manche Evangelen leichter für Ideologien zugänglich sind. Das 20. Jahrhundert gibt sehr viel Zeugnis davon – und das 21. Jahrhundert lässt es auch wieder erkennen.
(6) Was auch in der Diskussion auftaucht: Dieser Kompromiss zum Schwangerschaftsabbruch (dass in einem bestimmten Zeitraum abgebrochen werden darf, und dann nicht mehr) ist für Menschen aller Couleur unbefriedigend. Aber das unterscheidet eben politisches Denken von ideologischem Denken. Ideologisches Denken ist schwarz-weiß ausgerichtet. Politisches Denken ist der Versuch, Kompromisse zu finden. Und wir benötigen an höchster Stelle keine Richterinnen und Richter, die ideologisch denken, die zu Kompromissen, auch wenn sie unlogisch sind, nicht fähig sind. Das bedeutet aber auch, dass angesichts dieses Kompromisses Frauen, die eine Schwangerschaft abgebrochen haben, nicht drangsaliert und erniedrigt werden dürfen. Das verbietet sich auch aus christlichen und humanen Gründen.
(7) Was in diesem Zusammenhang auch nicht thematisiert wird, ist, dass die Frau häufig nicht alleine entscheidet, sondern von ihrem Umfeld direkt oder indirekt dazu gezwungen wird. Es gibt soziale (und auch mediale) Möglichkeiten perfider Manipulation.
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