Alessandro Manzoni: Weihnachten von 1933

Alessandro Manzoni: Inni sacri / Die heiligen Hymnen. Aus dem Italienischen neu übertragen von Dr. Paul Thun-Hohenstein, Theatiner Verlag, München 1924.

Das gleich zu besprechende Gedicht wurde nachträglich zu den Inni sacri hinzugefügt, ist in dem genannten Band nicht zu finden. Sondern hier: https://www.sololibri.net/Il-Natale-1833-Alessandro-Manzoni-testo-analisi-poesia.html

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Manzoni ist ein sehr bekannter und einflussreicher Dichter aus Italien. Er war der Aufklärung zugeneigt, wandte sich dann aber intensiver dem christlichen Glauben zu. An Weihnachten 1833 starb seine geliebte Frau – und daraufhin schrieb er das Gedicht, das er 1835 überarbeitete.

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In Weihnachten von 1833 beschreibt er das Weihnachtsfest – eigentlich ein Fest der Freude, das allerdings in diesem Zusammenhang des Sterbens seiner Frau nicht als Freudenfest gefeiert werden kann.

Entsprechend beginnt das Gedicht für Weihnachtsgedichte ungewohnt. Der schreckliche Gott wurde in Jesus Christus Mensch – Mensch im Leiden, im Leiden wie Manzoni auch. Das Kind in der Krippe leidet – ist aber derjenige, der den Sturm beherrscht. Der Mensch versucht durch sein Gebet den tödlichen Blitz abzuhalten, aber es gelingt dem Menschen nicht. Der Mensch ergibt sich dem Willen Gottes.

Dann wendet sich der Blick auf das leidende Kind. In dem Gedicht wird das Weinen des Kindes aufgenommen – das in dem Weihnachtsgedicht von 1815 schon begegnete. Der Blick wendet sich ab vom Schmerz des Dichters und dessen Klage hin zu der Krippe – er sieht Maria, die Mutter Jesu, mit dem Kind. Und Marias Schmerz vermischt sich mit seinem eigenen Schmerz.

In der dritten Strophe wird das innige Verhältnis der Mutter Jesu zu dem Kind deutlich. Es ist keine glorreiche Schilderung eines göttlichen Kindes, sondern eine des zärtlichen Schmerzes, der Liebe, der wankenden Gewissheit: „Er ist mein!“ – doch muss sie ihn abgeben: Der Schmerz, den sie ertragen wird, wenn ihr Sohn am Kreuz hingerichtet wird, wird in der 4. Strophe vertieft: Sie „wird dich sterbend schauen“ – also so wie Manzoni selbst das Sterben seiner Frau sah.

Das Gedicht endet wohl nicht mit dem Ruf: „Allmächtiger…“ – sondern mit dem Satz: Cecidere manus (*) – die Hände sanken nieder. Und wenn die Hände niedersinken, sinkt auch der Kopf nach unten. Bedeutet es Kapitulation – oder angesichts des Allmächtigen eine Erfahrung, Offenbarung Gottes? Wie Thomas von Aquin angesichts einer Gottesoffenbarung nicht mehr zu schreiben vermochte – so kann Manzoni dieses Gedicht nicht mehr weiterschreiben? Oder interpretieren diese zwei Wörter den Satz aus der zweiten Strophe: „befrag unser Wollen / und entscheide nach deinem Willen“ (il voler nostro interroghi, / e a tuo voler decidi) – in Aufnahme des Gebetes Jesu: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe? Der Kampf, der in den ersten 2. Strophen geschildert wird, wird beendet: Ein resigniertes Verstummen und Hände sinken lassen – oder ein demütiges sich Beugen angesichts der Erkenntnis des Allmächtigen?

Ich denke, dass es als letzter Teil des Gedichts eine Steigerung beinhaltet. Erst die Klage angesichts eigenen Leids, angesichts des Schweigens Gottes, dann die Vermischung der eigenen Klage mit dem Leiden der Maria angesichts des Leidens ihres Sohnes, die Solidarität des weinenden göttlichen Kindes mit den leidenden Menschen – und zuletzt weist der Ruf: Allmächtiger! und: Cecidere manus auf eine dritte Ebene der Erkenntnis Gottes hin, die als Geheimnis nicht mehr aussprechbar, nicht mehr in Worte zu fassen ist.

(*) Das Cecidere manus ist ein Zitat aus Vergil: Aeneis, XII, 952–953.

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