
- Thomas von Aquin hat, wie alle Alten zum Thema Wahrheit gesehen, dass Wahrheit die Übereinstimmung des Verstandes mit der Wirklichkeit ist. Was freilich nur begrenzt möglich ist. Denn: die menschliche Erkenntnis kann irren, weil menschliche Vorstellungen usw. sich immer zwischen Denken und Wirklichkeit schieben. Ich bin kein Thomas von Aquin Experte, aber soweit ich sehe, setzt er weitere Schwerpunkte:
- Gott selbst ist die Wahrheit – er ist somit auch der Maßstab für Wahrheit.
- Und weil Gott die Wahrheit ist, spiegelt auch das Geschaffene Wahrheit wider, auch wenn der Mensch das nicht erkennt bzw. sich irrt ist Wahrheit „vorhanden“.
- Die irdische Realität ohne den Glauben an Gott zu sehen, erfasst immer nur einen Teil der Wahrheit.
- Mit Blick auf die Ethik bedeutet das: Unser Verhalten nähert sich dann der Wahrheit an, wenn es mit Gottes Willen übereinstimmt. Das heißt: Wenn es dem Guten dient. Wer bewusst lügt, wendet sich also nicht nur gegen Menschen, sondern auch gegen Gott, gegen Gottes Ordnung, gegen die Ordnung, die Gott in die Gesellschaft gelegt hat, Lüge verfälscht Gottes Ordnung. (Lügen ist also verboten – Kant hat im Grunde die Vorstellung von Thomas von Aquin säkularisiert.) Ich kenne mich, wie geschrieben, nicht so gut mit Thomas von Aquin aus. Aber lässt dieser Aspekt nicht Notlüge zu? Am Beispiel von Kant: Wenn einer den Freund umbringen will, der sich bei mir versteckt hat, muss ich meinen Freund ausliefern? Mit Blick auf den Ansatz von Thomas müsste man doch auch sagen können: Es widerspricht Gottes Ordnung, einen Menschen einem Mörder auszuliefern. Aber für Thomas gilt vermutlich: Wahrheit steht über anderen moralischen Zielen – kurz: Man darf auch nicht zur Erlangung eines Zieles lügen. Aber: Man darf, wenn ich das recht sehe: schweigen.
Was also Wahrheit ist, ist nicht nur der jeweils isolierte Punkt 1-5, sondern alle Punkte greifen ineinander.
Gegenwärtige Wahrheitskonzeptionen sehe ich zum Teil als gefährlich an. Wenn man akzeptiert, dass Wahrheit einfach nur gesellschaftliches/kulturelles usw. Konstrukt ist, wenn Wahrheit das ist, was gute Folgen mit sich bringt, Wahrheit nur Machtkonstrukt ist, dem Menschen unterworfen werden – die Aufgabe also darin besteht, diese Wahrheit zu bekämpfen (und durch eigene Machtkonstruktion zu ersetzen), Wahrheit nicht mehr universell gilt, Wahrheit das ist, was in einem Diskurs der Nichtlügner als wahr anerkannt wird; nur die sprachliche Formulierung logisch sein muss, usw. Es klingt natürlich gut, wenn man so wunderbar flexibel und gesellschaftspolitisch dynamisch ist – aber das ist schädlich für das Zusammenleben, weil es im Grunde Wahrheit zum Spielball irgendwelcher mächtigen Gruppen macht. Sinniger ist es, Wahrheit zumindest mit Tugenden zu verbinden. Aber das ist wahrscheinlich für manche wieder zu metaphysisch.
Spannend finde ich, dass durch die Säkularisierung, die Kant dazu führte, allein den gesellschaftlichen Zusammenhang als Maßstab für den Umgang mit Wahrheit zu machen, von säkularen Nachfolgern nicht durchbrochen wurde (außer in dem Ansatz, der sagt, wahr ist nur, was sprachlich logisch nachvollziehbar ist – aber das hat ja nur darin Relevanz, dass Menschen sich bemühen, logisch zu argumentieren – auch wenn es sich um Blödsinn handelt).
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