Gott im Gedicht (27): Gottfried Benn

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Gottfried Benn (1886-1956):

Benn war Pfarrerssohn, einer seiner Brüder war später Präsident im Landeskirchenamt. Gottfried Benn hat sich in der Auseinandersetzung mit seinem Vater und dessen Ansichten vom christlichen Glauben gelöst. Er begann auf Wunsch des Vaters unter anderem Theologie zu studieren, brach aber ab und studierte unter der Ägide des Militärs Medizin. 1912 starb seine Mutter, worunter er litt – und er veröffentlichte in demselben Jahr die Morgue-Gedichte, in denen er massiv vom christlichen Menschenbild abwich („Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch„, der dann auch nur als im Grunde verwesender Körper dargestellt wird) – dadurch wurde er sehr bekannt. Er war als Arzt tätig. In der Zeit des Nationalsozialismus konnte er sich erst mit dem „Glauben“ an den neuen Staat identifizieren, schon vorher zog ihn der Faschismus an, heftig verteidigte er einen Teil der nationalsozialistischen Ideologie – entfremdete sich aber wohl auch darum, weil er von diesem Staat, dem er dienen wollte, nicht anerkannt wurde. Er wurde aus der Reichsschrifttumkammer ausgeschlossen und bekam 1938 Schreibverbot. Er meldete sich als Arzt zur Wehrmacht, rechnete in dem Gedicht „Monolog“ vermutlich mit Hitler ab (1941, veröffentlicht 1950). Nach der Zeit des Nationalsozialismus wurde er vielfach geehrt. Er war neben Brecht und Hesse einer der einflussreichsten Dichter.

Bei Benn kommen wieder die alten Götter des 18./19. Jahrhundert ins Spiel – auch Odin. Auch in dem schönen Gedicht „Astern“: die Götter standen und lehnten und sahen den fort ziehenden Schwalben zu. Warum „Götter“ statt Menschen – klingt erhabener, aber sie sind nicht. Eigentlich wird das Gedicht selbst durch die Erwähnung der nicht existenten Götter selbst negiert. Götter gibt es nicht – Gott hat keine Bedeutung für das Leben der Menschen.

Ohne Gott ist es leer und kalt, wie es nicht allein an einem Wort deutlich wird, das als Quintessenz seines Denkens gilt: „Es gibt nur zwei Dinge: die Leere / und das gezeichnete Ich.“ („Nur zwei Dinge“) Diese Leere wird auch in anderen Texten deutlich. „In einer Nacht“  heißt es: „ach, diese Nebel, diese Kältlichkeit, / dies Abgefallensein von jeder Dauer, / von Bindung, Glauben, Halten, Innigkeit, / ach Gott – die Götter! Feuchtigkeit und Schauer!“ Wenn ein Wort verhallt, gibt es nur ungeheures Dunkel „im leeren Raum um Welt und Ich.“ („Ein Wort„).

An die Stelle Gottes tritt der Mensch. In „Olympisch“ bietet er an: „in deiner Ewigkeit aus Lust und Trauer – / erwartest du den Gott -? Erwarte Mich!“ Aber das ist nicht der Starke, der sich selbst sichere Mensch. Es ist der Mensch, der sich einem Schicksal (Gott?) ausgeliefert weiß: In „Auferlegt“ heißt es, dass „Er“ dem Menschen Unangenehmes auferlegt – Gott? Gott ist wohl im Sinn in dem Gedicht „Der Dunkle“: „Hier spricht der Dunkle, dem wir nie begegnen, / erst hebt er uns, indem er uns verführt, / doch ob es Träume sind, / ob Fluch, ob Segnen, / das läßt er alles menschlich unberührt.“ Der einsame Mensch ist der sehnsüchtige Mensch. Sehnsucht nach Gott klingt in „Verlorenes Ich“: „Ach, als sich alle einer Mitte neigten / und auch die Denker nur den Gott gedacht,  / sie sich den Hirten und dem Lamm verzweigten, / wenn aus dem Kelch das Blut sie rein gemacht, // und alle rannen aus einer Wunde, / brachen das Brot, das jeglicher genoß – / o ferne zwingende erfüllte Stunde, / die einst auch das verlorne Ich umschloß.“ Von Jesus schreibt er ehrend in „Gedichte“: „dem Ölberg, wo die tiefste Seele litt“. Aber „ein Wort des Glaubens, des Lichts“ kommt von der „Anemone„, sie ist Verheißung auf den irdischen Sommer. Dem dann aber wieder Nebel, Kältlichkeit… folgen.

Benn war kein Nihilist – und das trieb ihn auch dem Nationalsozialismus zu: Er sah hier Neues entstehen, der Mensch entwickelt sich über sich selbst hinaus, im Nietzsche-Sinn. Er entwickelt sich zu einem sprachlich-ästhetischen Wesen weiter. Religiös gesehen: Er benötigte – wie Werfel sah – eine Ersatzreligion. Als er merkte, dass der Nationalsozialismus nicht in diese Richtung zu bewegen war, im Gegenteil, ihn angriff, wandte er sich ab. Aber das geht dann über die Gedichte hinaus, die ich von ihm kenne.

Angemerkt sei noch: Während bei Gertrud von le Fort Gott durch den Dichter spricht, sieht Benn ihn aus einer anderen Perspektive: „heute ist er Zersprenger / mittels Gehirnprinzip, / stündlich webt er im Ganzen / drängend zum Traum des Gedichts / seine schweren Substanzen / selten und langsam ins Nichts.“

Zitiert nach: Gottfried Benn: Gedichte, Gesammelte Werke Bd. 3, hg. v. Dieter Wellershoff, Limes Verlag 1960/1978

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