Gott in Gedichten (22): Gertrud von le Fort

Weitere Darlegungen: http://gedichte.wolfgangfenske.de/

Gertrud von le Fort (1876-1971)

Die le Forts waren ein berühmtes Geschlecht mit einem großen Gut am Müritzsee. Gertrud wurde standesgemäß erzogen – des Vaters Maßstab war der Philosoph Kant. Sie studierte unter anderem Theologie, hat sich einen Namen dadurch gemacht, dass sie ihre Mitschriften eines Kollegs von Ernst Troeltsch als Glaubenslehre herausgab. Das Gut wurde konfisziert, weil der Bruder ein führender im Kapp Putsch war. Nachdem sie das Gut verloren hatten, zog Gertrud von le Fort nach Bayern. Auf einer Reise nach Rom war sie sehr beeindruckt, konvertierte und schrieb die Hymnen an die Kirche. Aus ihren vielen Werken sei eines erwähnt, dass 1931 veröffentlicht wurde: Die letzte am Schafott. Es geht um Ordensfrauen, die während der Französischen Revolution öffentlich hingerichtet wurden, die Hauptperson wird vom Volk gelyncht. Die Kraft Gottes ist im schwachen Menschen mächtig, denn diese Frauen suchten nicht das Martyrium. Ich finde spannend, was Carl Muth schon 1931 dazu sagte: „Mit dieser ergreifenden Dichtung haben Sie gerade für unsere Tage und was ihnen vielleicht an großen Zeitschicksalen und Prüfungen folgen wird, ein seltsam tiefgesehenes, stärkendes und den Kleinglauben besiegendes Werk vollbracht, dem ich kein anderes an prophetischer Intuition … zu vergleichen weiß…“. In Novellen setzte sie sich mit den Strömungen der jeweiligen Zeit auseinander. Es sei auf diesen Beitrag hingewiesen: http://www.gertrud-von-le-fort-gesellschaft.de/Lebensbild.pdf

Die Muse spielte schon einmal in dieser meiner Darlegung eine Rolle. Die Musen wurden von heidnischen Autoren der Antike angerufen. Gregor von Nazianz (4. Jh.) bat Gott selbst darum, ihm das Lied in den Mund zu legen, hat also die Tradition der Musen überwunden. Gertrud von le Fort geht anders mit der Muse um: Sie erklärt sie zur Schwester der Sibylle (s. Sibyllinen – 3./4. Jh.), also einer Prophetin, und zur „heimlichen Christin“ („Lob der Muse“) von deren himmlischer Stimme Dichter abhängig sind („Gnade des Dichters“). Schon im Lob der Muse und anderen Gedichten wird deutlich, dass sie sich um die Leidenden kümmert, die Kleinen, die Gescheiterten, Verfemten, Gefallenen, auch um die Erhabenen, die Knie senken, um ihre Worte zu verwenden. Ihr Bild von einem Dichter: „Denn christverwandt ist der Dichter, ganz nahe ist er / Den Bekennern jenes erlösenden Gottes, / Der das Gefallene küßt, und dem Bespienen / Die Schmach von der Stirne windet“. Ein Weheruf gilt denen, die das Wort entgöttlichen („Tragische Dichtung“) Aber sie als Dichterin nimmt den „großen Weltengesang“ wahr: „O diese Stimmen des Alls, / o diese gewaltgen / Liturgien der Schöpfung: Das leuchtende Credo der Sonnen, / das Gloria der Sterne, / Das bräutliche Liebesgebet der blumenempfangenden Erde / Und die Mutterlieder, die lallenden, lullenden Quellen.“ („Stimme des Dichters“) Es gibt in diesen Texten viele inspirierende Formulierungen – so zum Beispiel „O faltet die Flügel für mich, ihr meine Lieder“.

In „Die Heimatlosen“ https://www.deutschelyrik.de/die-heimatlosen.html (in Gertrud von le Fort: Gedichte und Aphorismen werden die Texte mit „Die Vertriebenen“ überschrieben) sieht sie: Gott hat die Menschen aus ihrer Heimat gerissen, nun sind sie verfolgt, haben nichts mehr, haben die Hölle gesehen, Schmach erlebt. „Ziel eines Hasses oder Spottes, / Was liegt daran? / Wir sind die Heimatlosen uns´res Gottes – / Er nimmt uns an.“ Ins Gericht geht sie mit denen, die nicht die neue Zeit erkennen, die am Alten festhalten, die Vertriebene nicht aufnehmen: „Sie schlafen in fremden Betten / Sie tragen geschenktes Gewand – / Und du willst dein Dach erretten, / Christloses Abendland.“

Anders als die heidnischen Götter gibt es kein blindes Schicksal im christlichen Glauben, so die Autorin. Der Engel befragt jeden und stellt jeden vor „die königliche freie Wahl: / Heil oder Verderben?“ Und wie die jeweiligen Geschlechter wählen, so wird es geschehen. („Verhängnis“)

Die leidende Natur wird personifiziert: „Große, mütterliche Allnatur“. Der Mensch zerstört die Natur und durch die Zerstörung erkennt er erst, „daß du die göttlich eingesetzte / Mächtige Tochter des Allmächtgen bist.“  Die Erde wird als „Gottesbraut“ bezeichnet: „Könntest du untergehen, / Wenn dieser Äon zerstiebt? / Wirst du nicht auferstehen, / Weil dich der Ewge geliebt?

Es gibt Zeiten, da erkennt der Mensch nicht mehr das Schöne der Natur, sie verliert ihren Glanz, der Mond, die Sterne weinen – erst dann, wenn Gott ihnen die Tränen abwischt, wird Frieden auf Erden sein („Die Stunde des Menschen versank“). In den Zeiten der Not beschreibt sie nicht nur die Not, sie will auch aus dem Glauben heraus trösten: „Als das Verhängnis erschien, / Waren wir längst geborgen“ schreibt sie in den Jahren 1933-1945 („Verwandlung“), oder: „Schwestern, von Gott verlassen / Ist man auch bei Gott!“ („Die Begine“) In vielen Gedichten dieser Zeit verbindet sie das Leiden der Menschen mit dem Glauben an Gott. (Hinweisen möchte ich nur auf die Seligpreisungen der leidenden Frauen anlässlich der Einweihung der Frauenfriedenskirche in Frankfurt/Main 1929.)

Mächtig beschwört sie die Engel am Grab des Auferstandenen. Sie haben den Felsen gesprengt – aber nun liegt Christus „versargt in den eisigen Grabeskammern / Einer verlorenen Welt – / O naht euch, ich beschwöre euch, ihr mächtigen Engel, / Und weckt den begrabenen Christ!“ Dann gibt ihr ein Engel die Antwort: „Nein, wecke du ihn, Kind, / denn wisse, aus diesem Tod kann nur die Seele ihn retten – / geh in dein eigenes Herz / Und wälze den Stein von der Türe des Grabesdunklen: / Du selbst mußt auferstehen – Christ ist erstanden.

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Die Hymnen an die Kirche (1924) sind etwas Besonderes – wie die einige Jahre später entstandenen Texte von Wolfskehl: Die Stimme spricht (1934). Auch in den Hymnen spricht eine Stimme – die Stimme der Kirche als Kirche Gottes. Die Seele des Menschen befindet sich in einem Zwiegespräch.

Eingeleitet wird das Werk mit einem „Prologos“. Gott wird angesprochen: „Herr, es liegt ein Traum von dir in meiner Seele, aber ich kann nicht zu dir kommen, denn alle meine Tore sind verriegelt.“ Der Mensch erreicht Gott nicht, der Mensch selbst kommt immer nur zu sich selbst: Hoffnung, Verzweiflung, Liebe, Ruhe – der Mensch landet immer bei sich. Die Kirche, so wird dann in den Hymnen dargestellt, ist der Weg, über sich hinaus schauen zu können. Sie lehrt den zu sehen, der in der Seele an Sehnsucht angelegt ist: Gott. Aber die Kirche ist kein „Gottesbeweis“. Denn Gott verbirgt sich auch in der Kirche und entbirgt sich nicht: „Er verbirgt seinen Geist unter ihren Herzen, er verbirgt seine Liebe unter Brot und Wein. / Siehe, ich bin unterworfen den Schleiern meiner Schwachheit, ich bin unterworfen den dunklen Schleiern der Verkennung, / Ich bin unterworfen den Schleiern meiner Brautschaft, ich bin unterworfen den weißen Schleiern meines himmlischen Erbes. / Denn an dem, was du nicht siehst, sollst du mich erkennen, und an dem, was dir bange macht, soll mich seine Seele glauben.“ (Die letzten Dinge III)

Dass die Kirche von dem um sich kreisenden Menschen nicht einfach so als Gottes Vertreterin erkannt werden kann, liegt auch daran, dass sie rigoros ist: den Zweifelnden sagt sie: „Schweigt“, den Fragenden: „Kniet nieder!“, den Flüchtigen: „Gebt preis“, den Flügelnden: „Laßt euch fallen“ – aber ihr entkommt man nicht, trotz dieser unmöglichen Forderungen, weil Gott mit diesen verbunden sind. Diese Forderungen sind dem Menschen zu viel, sie lassen dann auch zweifeln: Ist die Stimme der Kirche wirklich die Stimme Gottes? Sie gebietet „mir Blindheit, daß ich sehe, / und Taubheit, daß ich höre!“ Und sie bittet die Kirche, die Mutter, sie vor der Kirche, der Mutter, zu schützen („Heimweg zur Kirche“ II und III). Aber, weil die Kirche die Stimme Gottes ist, hilft das alles nichts: „Aber es geht noch Kraft aus von deinen Dornen, / und aus deinen Abgründen tönt Gesang… Ich will dich noch lieben, wo meine Liebe zu dir endet.“ Die Stimme reagiert: „Was ich zerbreche, das ist nicht zerbrochen, / und was ich in den Staub beuge, / das hebe ich empor /… / Ich bin zum Hohn geworden an deinem Verstand und zur Gewalt an deiner Natur, / Daß ich dich aufkettete wie einen Kerker und dich vor die Tore deines Geistes risse.“ (V und VI)

Wenn die Seele befreit wurde und Frieden mit Gott hat, dann stellt sie die Frage: „Wer errettet meine Seele vor den Worten der Menschen?“ Menschen fordern, dass die Seele ihnen folgt, ihre Straßen enden nie, sie lassen verdursten, führen in die Irre, sie sind heute Wahrheit, morgen Tod. Die Seele ist verwaist, wird verachtet, von Klugen verraten, denn sie verweisen die suchende Seele an den Menschen selbst, doch sie ist ja nicht Teil des biologischen Menschen, sie ist auch nicht bloßer Gedanke. Die Kirche nimmt die Seele sehr wichtig, legt sie vor Gott, die Seele weiß sich endlich ernst genommen (VII-VIII).

In den Texten „Heiligkeit der Kirche“ wird bekannt, dass die Kirche schon immer da war: „Siehe, in mir knien Völker, die lange dahin sind, und aus meiner Seele leuchten nach dem Ew´gen viele Heiden! / Ich war heimlich in den Tempeln ihrer Götter, ich war dunkel in den Sprüchen aller ihrer Weisen… Ich war die Sehnsucht aller Zeiten, ich war das Licht aller Zeiten, ich bin die Fülle aller Zeiten. / ich bin ihr großes Zusammen, ich bin ihr ewiges Einig.“ (I). Das heißt nicht, dass sie von allen anerkannt wird, im Gegenteil: „Denn du trägst Liebe um alle, die dir gram sind, du trägst große Lieben um die, welche dich hassen /…/ Denn um deinetwillen lassen die Himmel den Erdball nicht fallen: alle, die dich lästern, leben nur von dir!“ Und diejenigen, die zu ihr gehören, sind ganz anders als die Menschen der Welt: „Deine Heiligen sind wie Helden aus fremden Ländern, und ihre Gesichter sind wie eine unbekannte Schrift…. Sie sind wie ein Jauchzen an den Tod, sie sind wie ein Leuchten unter dunkler Marter.“ (V) Entsprechend kann sie in dem Gedicht zur Passion schreiben: „Alles Leid der Erde lobe den Herrn!“ Der christliche Glaube stellt alles auf den Kopf. Und so glauben Christen auch nicht an den Tod: „Wehe dir, Welt, die du an den Tod glaubst, weil du kalt bist: du wirst einen Tod finden, den du dir nicht träumst!“ („Die letzten Dinge“ II)

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Es wird in diesen Texten deutlich – und weitere könnten genannt werden – , dass der Glaube Grenzen sprengt: „deine Grenzen sind ohne Grenzen, denn du trägst im Schoß das Erbarmen des Herrn!“ („Heiligkeit der Kirche “ II). Er sprengt im Grunde alles, was dem Menschen daran hindert, zu Gott zu kommen: „Ich will euer Herz zur Freiheit aufrichten wider alle Sklaven der Vernunft!“ („Die letzten Dinge“ II)

Le Fort greift viele Aspekte aus der Tradition der Kirche auf, die auch sonst in Gedichten vorkommen: Märtyrer, Gebete, Feiertage – es werden Worte gesucht, um den Glauben adäquat darzustellen, wie zum Beispiel: „Nun weiß ich, daß der Herr aus dir redet, denn du bist seines Schweigens mächtig!“ Grenzen des Verstehens werden gesprengt, weil die Sprache begrenzt ist. Aber die Sprache wird aufgebrochen, um ein neues Verstehen zu ermöglichen, dass das allerdings für Menschen aus der Welt unverständlich ist, versteht sich von selbst. (Gerade in Gedichten der Moderne versuchen Menschen ihr Gefühl so darzustellen, dass man kaum mehr versteht, was sie eigentlich sagen wollen. In dieser christlichen Tradition stehen sie, blenden nur diese Tradition aus, um auf sich selbst das Licht zu richten. Le Fort richtet das helle Licht auf die Kirche.)

Im Grunde sind die Texte eine Überhöhung der Kirche – gerade aus protestantischer Sicht. Man muss sich allerdings konsequent in le Fort hineinversetzen: Sie lässt nicht die Kirche als die Kirche sprechen und sehen, die vor Augen ist, sondern eben: als Kirche Gottes, als die Kirche als Werk des Gottesgeistes. Als die Kirche, durch die Gott handelt – aber in der Gebrochenheit des Menschen. Gott handelt in dieser Gebrochenheit durch den Menschen, weil der Mensch den wahren Gott, die Herrlichkeit an sich, die Ewigkeit, nicht verstehen kann, somit immer bei sich selbst landen würde. Die Kirche, in der Menschen als Menschen wirken, ist auch so eine Größe, die den Menschen provoziert, ihn reizt, aber gerade auch darum – also in ihrer Gebrochenheit – einen Spalt in die Mauer reißt, der Gott ahnen lässt: „wir lagen im Schoße der Gottheit, einer im andren, wir lagen unerweckt im Geheimnis unsres Schöpfers“ – doch „Du bist ein ein´ges Durchströmen. Du bist wie ein Umfangen in Tiefen der Seligkeit.“ Menschen sind verlassen, sie leiden, „küssen sich von Einsamkeit zu Einsamkeit“ – „Aber du bist wie eine Stimme mitten in der Seele.“ („Corpus Christi Mysticum“)

Bei Gertrud von le Fort finden wir ein Bekenntnis zu einer Kirche, die akzeptiert, anders zu sein als die Welt. Das nicht, weil sie anders sein will, sondern weil sie sich zu Gott bekennt, Gott gehört.

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