Gott im Gedicht (9): Ernst Moritz Arndt

Weil Ernst Moritz Arndt im Augenblick umstritten ist, habe ich einen etwas vertiefteren Beitrag über ihn geschrieben. Aus: http://gedichte.wolfgangfenske.de/18-19-jh-2/

Ernst Moritz Arndt (1769-1860)

Er ist berühmt – wird in der Neuzeit von den Nachgeborenen negativ beurteilt – auch in seiner Zeit hatte er es freilich nicht immer leicht. Er wandte sich massiv gegen die napoleonische Besatzung. Der patriotische nationale Ansatz, mit Blick auf Deutschland, ist intensiv mit ihm verbunden. Er musste vor Napoleon fliehen. Als die Preußen von Napoleon gezwungen waren, gegen Russland zu kämpfen, hat er als Privatsekretär des Freiherr von Stein versucht, England und Russland gegen Napoleon zu koalieren. Er hat sich aber auch gegen die Leibeigenschaft eingesetzt. Nach der Niederlage Napoleons wurde er Professor – wurde dann aber aufgrund der Restaurationspolitik, die Freiheitsbestrebungen unterbinden wollte (Demagogenverfolgung), suspendiert. Jahre später wurde er rehabilitiert. Ich habe ihn ausführlicher behandelt, weil er gegenwärtig besonders umstritten ist.

Im neuen Gesangbuch wurden nur zwei Texte übernommen. Das Abendmahlslied: „Kommt her, ihr seid geladen, der Heiland rufet euch“ (EG 213) und das Lied „Ich weiß, woran ich glaube, ich weiß, was fest besteht“ (EG 357). In dem Gesangbuch von 1878 finden sich zwei Lieder, die den nahen Tod ankündigen und dazu auffordern, dass man nach seinem Sterben nicht klagen und weinen solle, denn Jesus Christus spricht zu ihm: „Komm!“ – und der Himmel tut sich auf („Abschied von der Welt“).

Die folgenden Texte sind den „Gedichten“ (2015) entnommen. Im „Abendlied“ besingt er seine unaussprechliche Not, die er Gott vorbringt und: „Ja, deine süße Liebe, / Die tröstet mir den Schmerz, / Ja, deine süße Liebe, / Die stillet mir das Herz.“

Er schrieb sehr detaillierte Naturbetrachtungen (Blumen vor allem) und verband diese mit Glauben. Die Vögel singen: „Und ich? Ich sollte schweigen, / Ich, Gottes reiches Ebenbild? / Durch das mit Liebesneigen / Der Feuerstrom der Gottheit quillt“ („Morgengebet„) und auch die Lerche ist Vorbild: „Fort, Heidenklang! Verklinge! / Verkling, uraltes Weh! / Komm, Christenlerche, singe / Ein Lied aus höhrer Höh´, / Ein Lied vom schönern Glauben…“ („Gesang der Christenlerche„). „Der Vogel predigt hier, die Imme*, / Der Blütenzweig wie Gottes Buch.“ (* Imme = Biene; „Waldgrutz„) – das zeigt die Bedeutung, die Arndt der Natur gibt: sie ist Gottes Buch – wie die Bibel. Das Gedicht endet mit Bitte an die predigende Natur: „Singt mir das Herz in Frieden ein“. Im „Abendgebet“ spricht er aus, dass einer, bevor er schlafen geht, vor seine Hütte tritt: „Sich christlich erst bereiten muß / Mit Liebesdank und Liebesgruß, / Muß sehen, wie die Sterne blinken, / Und noch den Odem Gottes trinken.“ Aber dennoch kannte auch er das Gefühl der Traurigkeit: „Denn ach! Mein Gott hat mich verlassen, / Weil ich zuerst mich selbst verließ“ („Ich bin so traurig in dem Herzen“). Warum Leiden? „Er (Gott) rollt Geheimnis durch des Lebens Kreise, / Auf daß du lernest nach dem Licht dich sehnen.“ („Gerechtigkeit Gottes„)

Glaubens-Gedichte spielen nicht nur in seiner jungen Zeit eine Rolle, sondern auch im Alter (z.B.: „Immer Liebe“; „Jesusgebet“). Er hat zum Teil eine sehr emotionale Sprache: „Auf! Mit stolzem Angesichte / Zu dem Lichte! / Zu dem Lichte alles Lichts, / Wo die tausend Sonnen brennen! / Lern´ erkennen: / Gott ist alles, du bist nichts.“ („Traum der fliehenden Minuten“). Und diese Sprache verwendet er später auch in anderen Zusammenhängen.

Arndt hat sehr schöne Glaubens-Gedichte geschrieben. Manches ist aus christlicher Perspektive unerträglich, seine enge Verbindung von Nation und Gott: „So, deutscher Mann, so, freier Mann, / Mit Gott dem Herrn zum Krieg! / Denn Gott allein kann Helfer sein, / Von Gott kommt Glück und Sieg.“ („Wer ist ein Mann?“ [1813]), „Deutsche Freiheit, deutscher Gott, / Deutscher Glaube ohne Spott, / Deutsches Herz und deutscher Stahl / Sind vier Helden allzumal.“ („Deutscher Trost“) „Betet, Männer, heiligstes Gebet! / Gott im höchsten Himmel gebe Segen / Diesem freien Mann und seinem Degen, / Daß er Blitz in deutschen Schlachten sei.“ („Lieder bei besonderen Fällen“ 2) „Gott, der Eisen wachsen ließ, / Der wollte keine Knechte.“ („Vaterlandslied“) Diesen Zitaten können sehr viele an die Seite gestellt werden, in denen Gott mit Freiheit verbunden wird – mit dem Ziel, einen gerechten Freiheitskampf zu fördern, in dem auch die Soldaten sich an Menschenrechte halten, nicht im metaphorischen Sinn, sondern in einem realen Bürger-Krieg der Schwachen gegen die Starken. Aber auch die Sicht, dass es Volk gegen Volk geht, statt gegen den Herrscher und seine Zuträger, ist ihm wohl nicht bewusst gewesen, wobei ich freilich nicht sagen kann, ob eine solche Trennung in der damaligen Zeit überhaupt schon allgemein denkbar war (siehe unten). In seinem Friedensgebet von 1837 bittet er: „Gib Frieden, Herr, gib Frieden“.

Er bekennt seine Schuld: „Zuviel hab´ ich geduldet, / Gekämpfet überlang. / Gesündigt und verschuldet, / Drum ist mir weh und bang; / Ich weiß nicht aus noch ein / Auf diesen düstern Straßen, / Ich wäre gar verlassen, / Wär´ Jesus Christ nicht mein.“ („Trost in Christo“; 1818)

Er hat nicht genügend wahrgenommen, was christliche Denker seit Augustinus erarbeitet haben: Wenn Kriege unausweichlich sind, dann müssen sie klagend geführt werden. Natürlich gab es noch keinen Tolstoi, keinen Gandhi, keinen Martin Luther King, die versucht haben, Unrechtssysteme mit intelligenter Feindesliebe zu stürzen, zumindest Situationen positiv zu verändern. Von daher ist es unangemessen, seinen Freiheitskampf aus heutiger Perspektive zu beurteilen. Aber er hatte das Wort Jesu von der Feindesliebe, das ihn hätte korrigieren können. Soweit ich sehe geht er in den Gedichten darauf nicht ein. Zudem zieht er Gott, der im christlichen Glauben nicht auf eine Nation konzentriert werden kann, auf die nationale Ebene herab. Damit macht er das, was in den Konfessionskriegen des 30jährigen Krieges konfessionell geschehen ist: Gott ist katholisch oder evangelisch – auf anderer Ebene: Bei Arndt ist Gott nationalisiert und germanisiert. Hinzu kommt, dass bei ihm auch schon Ansätze des Antisemitismus – also des rassischen Ansatzes – erkennbar werden. Was aus Glaubensperspektive neu ist: Zuvor war in Gedichten immer die Bitte an Gott gerichtet, den Feind zu bekämpfen. Mit Arndt ist einer gekommen, der den Menschen auffordert, mit Gott den Feind aktiv zu bekämpfen. Wir kommen damit in die marx´sche Moderne – aber auch mit dem folgenden Ansatz: Er nimmt die Errungenschaften der französischen Revolution auf, indem nicht mehr der Adel und die Könige die Kriege führen, sondern das Volk ist gerufen, sich von ungerechten Herrschern zu befreien.

Ob allerdings die Verhaltensweise richtig ist, die Goethe bevorzugte, mit Blick auf den Besatzer Napoleon, ist mir die Frage. Das wird heutzutage nicht thematisiert. Menschen, die sich den Mächtigen anpassen, sind meistens willkommener. Aber es gibt Handlungsweisen zwischen den Extremen. Und Goethe ist ein Extrem, der über allem zu stehen meint. Damit hat er heute – anders als Arndt – gute Verbündete. Napoleon selbst konnte allerdings auch als ein Befreier hin in die neue Welt angesehen werden, der die alte überlebte Welt zerstört (vgl. Hegel, „List der Vernunft“). Arndt konnotiert Gott oft mit Freiheit und Recht: „Gott, der Tyrannei zerbricht, / Gott ist unsre Zuversicht.“ Freiheit – was bedeutete sie für den hohen Staatsbediensteten Goethe? Eine rhetorische Frage. Kant starb vor der Eroberung Napoleons. Seine Sicht mit Blick auf Freiheit: Wenn der Mensch die Möglichkeit bekommt, frei zu sein, kann er auch zur Freiheit reifen. Das verhindern zu wollen bedeutet, in Gottes Handeln, der den Menschen zur Freiheit erschuf, einzugreifen. Kampf um Freiheit lehnt er ab, aber wenn ein Kampf stattgefunden hat (Französische Revolution), dann muss man sich wieder der neuen Ordnung, die im Idealfall der Vernunft entspricht, unterordnen.

An Arndt ist zu sehen, dass er Grenzen der Unfreiheit mit Gottes Hilfe durchbrechen möchte. Dabei übersieht er aber die Grenze, die Gott dem Menschen setzt. Diese Art Kampf, die Arndt vor Augen steht, ist im Neuen Testament nicht vorgesehen. Allerdings in der Natur. Von daher muss die predigende Natur dem predigenden Neuen Testament untergeordnet werden.

(Anzumerken ist, dass viele hochrangige Kirchenvertreter Deutschlands während des zweiten Weltkrieges den Kampf gegen andere Mächte ähnlich religiös legitimierten.)

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