Digitalisierung + Ethik

4. Christliche Ethik

a) Privat: Zeit für Gott und Mensch und Informationen

In der christlichen Tradition gibt es Zeiten, die für Gott bestimmt sind. Die kann sich heute jeder individuell festlegen (traditionell: Morgens vor Arbeitsbeginn, Mittags in der Mittagspause, Abends, nach der Arbeit), In dieser Zeit mit Gott hat niemand anderes etwas zu sagen. Ich bin für niemanden erreichbar.

Das Besondere an Jesus war, wenn er es mit einem Menschen zu tun hatte, dann war er ganz für diesen Menschen da. Und das sollte auch heute ein Maßstab sein: Wenn ich mit Menschen esse, rede, zusammen bin, dann haben technische Geräte außen vor zu bleiben.

Entsprechend kann man sich auch eine Zeit einrichten, in der man sich um die Kommunikation mit anderen kümmert – Kommunikation technischer Art.

b) Privat: Raum schaffen

Ohne Digitalisierung: Wenn man jemanden zu Hause besuchen möchte, klingelt man an dessen Türklingel. Wenn der andere nicht öffnet – okay, dann geht man weiter. Heute steht man mit WhatsApp und co. sofort im Haus des anderen, der andere steht überall bei mir. Darum ist es wichtig: Räume zu schaffen, in dem man den Menschen hereinlässt. Ich selbst bin ein Raum – ich möchte nicht alle zu jeder Zeit in mich hereinlassen. Sie sind nicht Gott, sondern Menschen. Privates Leben und eine gewisse Distanz müssen bleiben, damit ich selbst gesundheitlich fit bleibe. Darum einen Raum in der Wohnung aussuchen, in dem allein ich mein Smartphone usw. willkommen heiße. 

c) Privat: Freiheit, Mut, Verantwortung

Wenn ich mich für einen bestimmten Umgang mit der Digitalisierung entscheide, dann bin ich frei, ich nutze meine Freiheit, die mir Gott als ein Grundwert gegeben hat. Aber zur Freiheit benötigt man Mut und Verantwortung. Letztlich darf man auch nicht Verantwortung abgeben – denn damit gibt man auch Freiheit ab.

d) Menschlichkeit / Würde

Zur Würde des Menschen: https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/mensch/menschenwuerde-1/

Im Teil B wurden immer wieder Werte angesprochen: Hilft der jeweilige Aspekt der Digitalisierung dem Menschen oder schadet er ihm. Dieser Blick, der den Menschen Maßstab sein lässt, ist in unserer Kultur aus christlicher Perspektive relevant. Der Mensch sah sich als Philosoph als Maßstab aller Dinge – aber Menschen an sich wurden von Stärkeren ausgebeutet. Das gilt für alle Kulturen – die Sklavenhalterkulturen – bis auch hin zum Kolonialismus, Kapitalismus. Dem setzt Jesus von Anfang an eine andere Sichtweise entgegen: Der Mensch ist als Mensch zu achten – Geld ist für den Menschen einzusetzen nicht egoistisch. Von daher sind auch digitale Unternehmen adäquat zu besteuern, weil sie Teil der Gesellschaft sind, für die sie mit verantwortlich sind. Politik muss hier mit Blick auf die soziale Verantwortung Modelle schaffen. Vor allem auch, weil die digitalen Unternehmen durch ihren unermesslichen Reichtum die ahnungslosen Menschen in Richtungen zwingen, die sie nur „unbewusst“ mitgehen. Reichtum verführt zur Macht. Macht muss kontrolliert werden.

Entsprechend stellt sich die Frage in Übergangszeiten zur Digitalisierung: Entlässt man Mitarbeiter – und setzt an ihre Stelle Roboter ein oder sucht man mit den Mitarbeitervertretungen / Gewerkschaften Wege, die dem Individuum auch von Nutzen sind. Vor allem auch: Ist Digitalisierung an dieser und jener Stelle wirklich wichtig, finanziell vorteilhaft… – oder einfach nur Prestigeobjekt?

Wieweit lässt man es zu, dass Menschlichkeit unter der Digitalisierung leidet: Mitarbeiter werden unter permanenten Leistungsdruck gesetzt, damit unter Stress (Folgen: Burnout), sie werden dazu gezwungen, einander als Konkurrenten anzusehen, es bleibt kein Raum für Gemeinschaft, für Miteinander, für Solidarität. Wenn Digitalisierung gegen den menschen eingesetzt wird, ist das die Folge.

Der Menschlichkeit bleibt kein Raum, weil Digitalisierung erzwungene Vorgaben im Umgang mit Kunden macht: Man kann nicht einfach ein Brötchen verschenken, wenn einer keine 50 Cent dabei hat. Es wird alles finanziell kontrolliert. Man wird zum Sklaven der digitalisierten Kontrolle.

Die Würde des Menschen wird angetastet, wenn er ohne es zu wissen oder es verändern zu können, anderen preisgegeben wird. Das gilt für Shit-Storm/öffentliche Pranger genauso wie dafür, dass seine Daten dem Arbeitgeber, dem Staat, bestimmten Firmen überlassen werden. Ein Recht auf Privatheit muss dem Menschen gelassen werden. Er ist Ebenbild Gottes – er ist kein Wesen von der Stange – auch wenn Interessen geleitete Soziologie, Biologie, Psychologie anderes behaupten.

In der Apokalypse des Johannes wird geschildert: „Und es wurde ihm (den GegenGott) gegeben, Geist zu verleihen dem Bild des Tieres, damit das Bild des Tieres reden und machen könne, dass alle, die das Bild des Tieres nicht anbeteten, getötet würden. 16 Und es macht, dass sie allesamt, die Kleinen und Großen, die Reichen und Armen, die Freien und Sklaven, sich ein Zeichen machen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn 17 und dass niemand kaufen oder verkaufen kann, wenn er nicht das Zeichen hat, nämlich den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. 18 Hier ist Weisheit! Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tieres; denn es ist die Zahl eines Menschen, und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.“ (Apk 13)

Das heißt aus moderner Perspektive gesagt: Menschen machen sich ein Zeichen – das heißt eine Art Barcode bzw. RFID, vgl. Gesichtserkennung: China (mit Bonuspunkten / Scoring-System / Social-Credit-Programme: https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/china-social-credit-system-ein-punktekonto-sie-alle-zu-kontrollieren-a-1185313.html) – freiwillig, weil sie dann alles billiger bekommen. Menschen werden kontrollierbar, sie werden disziplinierbar. Die Freiheit wird angetastet.

Der Mensch als Ebenbild Gottes darf sich nicht von seinen eigenen Geschöpfen (Robotern…) beherrschen lassen, er darf auch nicht zulassen, dass Tests Menschenleben kosten könnten.

Arbeitgeber achten die Würde des Menschen, wenn sie den Mitarbeitern Zeit (Fortbildungen) und Raum geben, sich in die neue Materie einzuarbeiten, damit keine Versagensängste entstehen – damit eben grundlegende Ängste, den Job zu verlieren, wenn ich die Neuerungen nicht verstehe. Zudem müssen sie genügend Experten einstellen, die helfen, die Digitalisierung in den Griff zu bekommen. Das Zerschlagen von Arbeitsgruppen ist zu vermeiden. Bekanntlich erhöht eine solche Gruppenzerschlagung nicht unbedingt die Produktivität, wie man inzwischen weiß. Freilich besteht auch die Angst der Arbeitgeber im „Disruptiven Wandel“ – das heißt: Von Jetzt auf Gleich muss alles umgestellt werden, wenn wir nicht vom Markt verdrängt werden wollen (Uber: Taxi; Amazon: Buchhandlungen; Airbnb: Hotels/Pensionen). Gleichzeitig muss der Arbeitgeber Verantwortung abgeben können, da er selbst nicht alles überblicken kann. Christlicher Tradition entspricht es, Verantwortung zu tragen, die Arbeit wert zu schätzen, sich für andere einzusetzen. Gott durch sein Tun zu ehren (1Thess 4). Aber gleichzeitig müssen gerade Christen aufpassen, dass sie sich selbst auch achten.

e) Individualismus/Utilitarismus

Unsere Gesellschaft ist immer stärker utilitaristisch ausgerichtet: Das Individuum nutzt nur dann, wenn es der Allgemeinheit Nutzen bringt. Das bedeutet dann auch – wenn sie nicht aus der Perspektive der Menschlichkeit organisiert wird – neue Formen der Ausbeutung: Homeoffice und anderes: Man muss ständig bereit sein, um der Belegschaft, der Firma, dem Büro… zu nutzen. Gegen den puren Utilitarismus setzt die christliche Ethik die Bedeutung des Individuums. Alle totalitären Systeme der Neuzeit (Nationalsozialismus, Kommunismus, Scientology) versuchen, den Menschen in den Griff zu bekommen, ihn der Allgemeinheit zu unterwerfen. Christen müssen an dieser Stelle besonders hellhörig sein.

f) Sich nicht kaufen lassen

Die Digitalisierung hat nicht eine solche Gewalt, weil sie einfach da ist. Sie hat eine solche Macht, weil ich mich kaufen lasse: Es kostet nichts – also mach ich mit. Was im Hintergrund abläuft, das interessiert mich nicht. Und dieses: Ich profitiere – alles andere ist mir egal – , wird freilich auch von Firmen ausgenutzt, durch psychologisch ausgeklügelte Anreize – bis hin (so in China, in dem Frauenmangel herrscht): Ich verhalte mich staatskonform, damit ich eine höhere Punktzahl für das Wohlverhalten bekomme, um damit eine Frau zu bekommen. Ich lasse mir einen NFC-Chip implantieren, um ein paar finanzielle Vorteile zu haben. Wie oben im Text der Apokalyptik: Ich selbst bin für das verantwortlich, was ich mache bzw. mit mir machen lasse. Als Ebenbild Gottes, das den Geist Gottes hat, muss man sich immer wieder fragen: Werde ich meiner Verantwortung mir und der Gesellschaft gegenüber gerecht?

g) Alles prüfen – Reich Gottes – alles hat seine Zeit

Christen sollen sich von nichts vereinnahmen lassen, alles überprüfen – und das Gute behalten. Das lehrt Paulus. Das bedeutet: Man muss sachlich bleiben, darf sich nicht durch Hypes emotionalisieren lassen, muss Gefahren abschätzen können. Als Maßstab steht die Jesus-Vision des Reiches Gottes vor Augen: Was tut dem Menschen gut (Goldene Regel) – das muss man so gut es geht umsetzen (aber demütig bleiben: Der Mensch kann nicht das Reich Gottes auf Erden durchsetzen – auch nicht durch Digitalisierung). Christen haben mit dem Neuen Testament gelernt, allen gegenüber skeptisch zu sein, die die heile Welt versprechen. Man ist sich bewusst, dass alles seine Zeit hat – auch die gegenwärtig dominanten Sichtweisen – und die dominanten Firmen.

Aus der Lehre Jesu – und den 10 Geboten – lernen wir: ehrlich zu sein, Wort zu halten, nicht über andere verbal herfallen.

Zudem gibt es Bereiche im menschlichen Zusammenleben, die mindestens genau so wichtig genommen werden müssen, wie die Digitalisierung: Diakonie / Caritas zum Beispiel.

Für Christen ist es wichtig: Selbstreflexion (wer bin ich vor Gott, wie verhalte ich mich richtig…) – das gilt auch mit Blick auf die Digitalisierung.

h) Digitalisierung als neuer Gott

Woran du dein Herz hängst, ist Gott – und: Der Mensch möchte seit alters so sein wie Gott (Genesis 3,5). Der Turmbau zu Babel gibt das Motto vor: Gott aus dem Himmel holen, damit wir uns selbst an dessen Stelle setzen können (Genesis 11).

Digitalisierung ist nicht zu vermeiden, weil sie Ausdruck dessen ist, was der Mensch möchte: Vereinfachung des Lebens, es geht alles schneller, preiswerter… Sie muss jedoch immer geerdet bleiben. Sonst heben wir ab und stürzen tief.

Siehe den Teil 1: https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/digitalisierung-1/

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