Anmerkungen zur Geschichte 4

Fortsetzung

Geschichte aus der Perspektive christlichen Glaubens

  1. Vor allem ist Geschichte eine Beschäftigung mit dem, was vergangen ist, tot – und wir gehen in der säkular Geschichte nach vorne – also ebenso in den Tod. Aber in diese Geschichte des Todes ist schon Gottes Leben hinein gekommen: in Jesus Christus. Und seitdem geht Geschichte nicht mehr auf den Tod zu, sondern die Menschen haben die Chance, auf Leben zuzugehen. In der Todesgeschichte begegnet ihnen der lebendige Gott. Geschichte wird so eine, die Chance zum Leben ermöglicht. Christlicher Glaube beschäftigt sich in erster Linie mit dem Leben in der Nachfolge des lebendigen Jesus Christus in der Geschichte. Und so versuchen Christen (wenn alles gut geht) die Menschen, die auf den Tod zugehen, zum Leben zu rufen, das in der Geschichte beginnt und über sie hinausgeht, in Gott mündet. Das Wort des Lebens – es wird heute hoffentlich in zahlreichen Predigten ausgesprochen. Oder lassen sich viele Christen von der Geschichte des Todes fesseln? Erst Gottes Existenz in der Geschichte qualifiziert diese als eine, die wahre Zukunft hat – allerdings über die Geschichte hinausgehend.
  2. Die Gegenwart basiert auf der Vergangenheit, auf das, was in der Geschichte geschehen ist. Allerdings basiert die jeweilige Gegenwart nur bedingt auf die Vergangenheit, weil sie nur einzelne Stränge aufgreift, verschiedene Stränge miteinander verbindet – somit auf Gedanken kommen kann, auf die Menschen der Vergangenheit noch gar nicht gekommen sind.
  3. Geschichtsforscher versuchen das, was zum Tod verurteilt ist, dem vergessen, dem Sterben zu entreißen. Aber sie entreißen es aus der Perspektive der Gegenwart – und dadurch kann das, was war, nur bedingt noch selbst zu Wort kommen, was auch damit zusammenhängt, dass man viele Einzelheiten gar nicht weiß, sondern erst phantasievoll – und möglichst begründend – kombinieren muss. Geschichte ist gedachte Geschichte, konstruierte Geschichte. Die zufälligen Ereignisse werden in einen kausalen Zusammenhang gebracht. Die Konstruktionen werden immer vielfältiger, begründeter, vernetzter. Die Perspektive der Gegenwart ist manchmal dominant, so bei ideologischer Geschichtsdarlegung, die einseitig bestimmte Aspekte ausschaltet, andere hervorhebt. So ist zum Beispiel bei manchen heute beliebt, die Rolle des christlichen Glaubens für unsere Gegenwart möglichst zurückzudrängen.
  4. Das, was die Menschen der Vergangenheit gesagt und geschrieben haben, kann weiterhelfen, weil man dann das Rad nicht immer wieder neu erfinden muss – das heißt im Rahmen der Geschichte: Man sieht, was falsch gelaufen ist (aus der jeweiligen Interpretationsperspektive der jeweiligen Gegenwart), man lernt, wie Menschen der Vergangenheit Probleme angepackt haben usw. Von daher ist Geschichtswissenschaft auch in die Gegenwart bzw. Zukunft gerichtet, das in sich zufällige und ziellose Geschehen wird sinnhaft. Vor allem ideologische Interpreten können sich aber einfach über die Vorlebenden und Vordenkenden hinwegsetzen, arrogant, meinen, es wäre auch alles ohne sie gekommen und außerdem haben diese alles schlecht gemacht. Ihre Weltbilder waren katastrophal, gemessen an unseren usw. Diese Arroganz gegenüber Menschen der Vergangenheit liegt uns nahe – ist aber unprofessionell und dumm, weil sie verhindert, Gefahren zu erkennen.
  5. Geschichte ragt auch über die Tradition in die Gegenwart und Zukunft. Diese ist zum Teil nicht reflektiert, sie wird übernommen. Wir leben in einer Zeit, in der man alles, was man wahrnimmt, einem Diskurs unterwerfen mag: Wollen wir das weiter übernehmen, wollen wir Neues machen usw. Diese Diskurse sind zwar nicht autonom, aber eben Versuche, sich von der Vergangenheit abzukoppeln, vor allem auch von der religiösen Vergangenheit. Der Mensch möchte sich emanzipieren – Geschichte als Emanzipationsvorgang und als Selbsterhebung bzw. Selbstvergewisserung. Vergewisserung der eigenständigen, von den Vorfahren abgekoppelte Identität.
  6. Das heißt: Geschichte will das Todverfallene, das, was vergessen wird, dem Vergessen entreißen, will es auf der populären Ebene mit Blick auf die Zukunft wirksam werden lassen – und dadurch dem Leben im säkularen Sinn dienen. Allerdings eben aus christlicher Perspektive ein säkulares Leben, das nicht mehr das vergangene Individuum zum Leben erwecken kann, und somit mit dem ewigen Leben bei Gott, der die Individualität des Menschen aufrecht erhält, nicht vergleichbar ist (Paulus: Unsere Heimat/Zukunft – außerhalb der menschlichen Geschichte – ist im Himmel/bei Gott). Freilich ist säkulare Zukunft immer auch geprägt von Vergänglichkeit – auch mit Blick auf das Vergehen der Erde.
  7. Geschichte will der Gegenwart und der Zukunft in gewisser Weise Sinn vermitteln, weil sie den Menschen in einen gedanklich nachvollziehbaren Zusammenhang stellt. (Was Tradition macht – eben nur rational nachvollziehbar.) Gott, der dem Glaubenden durch sein Wort in der Geschichte begegnet, gibt dem Menschen einen anderen Sinn – eben nicht geschichtlich bedingten oder traditionsbedingten Sinn, sondern einen Sinn, der mit Gott zu tun hat, der dann Nachfolge bedeutet, also Geschichtswirksamkeit des Glaubens.
  8. Die Geschichtswirksamkeit des Glaubens ist nicht zu leugnen – allerdings des Glaubens dessen, der auch als Glaubender frei ist und entsprechend von Gott losgelöste Wege gehen kann. Wenn es gut geht, geht er in seiner Zeit die Wege Gottes, prägt sie im Sinn Gottes. Wenn es nicht gut geht, missbraucht er Gottes Namen, lässt Gott „verschwinden“. (Das wird im AT und NT schon so gesehen.) Auch Glaubende sind Kinder ihrer Zeit und wirken als solche. Positiv innovativ wirken sie über ihre Zeit hinaus, wenn sie dem Willen Gottes angemessen folgen.

Fortsetzung folgt.

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