Euthanasie

Nacht

Der Sozialdarwinismus ist der Versuch, das, was Darwin als Evolution des Lebens erkannt hat, auf das Miteinander der Menschen auszudehnen. Das Überleben des Stärkeren (so klassisch verstanden – obgleich es nicht um das Überleben des Stärkeren geht, sondern um das Überleben des Angepassten) wurde gesellschaftspolitisch angedacht und später umgesetzt. Wer Details lesen möchte, kann das Folgende als Einführung lesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus

Der Sozialdarwinismus, der so manche Gruppe in Westeuropa und in den USA (Planned Parenthood) beeinflusst hat, wurde dann zu einer grundlegenden Weltanschauung des Nationalsozialismus. Er greift das auf, was vorher schon mit Blick auf Rassen und „unwerten Lebens“ gedacht wurde und setzt es um. Der Mensch muss nun selbst das in die Hand nehmen, was in der Tierwelt die Natur tat – was dann freilich auch als wissenschaftlich begründet angesehen wurde: “Unwertes Leben” und Menschen nichtarischer Rasse müssen vernichtet werden, “wertvolles Leben” und die Rasse der Arier muss durch Züchtungen aufgewertet werden.

Der Euthanasie – wie die Ermordung von Menschen aufgrund ihrer Behinderungen, psychischen Krankheiten genannt wurde – fielen zig-tausende – wohl 100 Tausende Menschen zum Opfer: http://www.pflegewiki.de/wiki/Euthanasie_im_Nationalsozialismus_1939-45 – aber nicht einfach so: Tausende waren Täter – auch medizinisches Personal, das dem Leben dienen sollte, unterwarf sich der Kultur des Todes.

Und so ist es äußerst wichtig, dass Erinnerungsorte errichtet werden: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Gedenkst%C3%A4tten_f%C3%BCr_die_Opfer_des_Nationalsozialismus

Auch in Groß-Gerau wurde eine Gedenk-Stele enthüllt: http://www.gg-online.de/html/gedenkstele_euthanasie_opfer.htm . In dem Artikel heißt es: >Der Gedenkort soll einen Beitrag dazu leisten, jene Menschen aus der Anonymität zu holen, die im Zuge der zynisch "Euthanasie" genannten Mordaktionen ihr Leben ließen. Es war und ist das Ziel, den Toten ihre Namen, ihre Identität und ihre Würde zurück zu geben und zu mahnen, dass sich solche Verbrechen niemals wiederholen.<

Beim Verhör von Sophie Scholl entwickelt sich folgender Dialog mit dem Ermittler Mohr (aus: Sophie Scholl. Die letzten Tage. Hg. v. Fred Breinersdorfer, IV. Der Film, Fischer Taschenbuch, Frankfurt/M 2005, 246):

Sophie Was glauben Sie, wie entsetzt ich war, als ich erfahren habe, dass die Nationalsozialisten geisteskranke Kinder mit Gas und Gift beseitigt haben! Mir haben Freundinnen unse­rer Mutter erzählt, wie Kinder bei den Diakonissinnen in der Pflegeanstalt mit Lastwagen abgeholt wurden. Da haben die übrigen Kinder gefragt, wo die Wagen hinfahren. Sie fahren in den Himmel, haben die Schwestern gesagt. Da sind dann die übrigen Kinder singend in die Lastwagen ge­stiegen.

Sophie kämpft mit Tränen der Wut und der Rührung, sie be­hält sich aber im Griff.

Sophie Meinen Sie, ich bin falsch erzogen, weil ich mit diesen Menschen fühle?

Mohr Das ist lebensunwertes Leben. Sie haben Kinderschwester gelernt, da müssen Ihnen doch auch Geisteskranke be­gegnet sein.

Sophie Ich weiß deswegen genau, dass kein Mensch, gleich­gültig unter welchen Bedingungen, berechtigt ist, ein Ur­teil zu fällen, das allein Gott vorbehalten ist. Niemand kann wissen, was in der Seele eines Geisteskranken vorgeht. Niemand kann wissen, welches geheime innere Reifen aus Leid entstehen kann. Jedes Leben ist kostbar.

Mohr Sie müssen sich daran gewöhnen, dass endlich eine neue Zeit angebrochen ist. Was Sie sagen, ist romantisch und hat mit der Realität nichts zu tun.

Sophie Was ich sage, hat natürlich mit der Wirklichkeit zu tun, mit Sitte, Moral und Gott.

Mohr reagiert emotional und faucht sie an.

Mohr Gott gibt es nicht.

(Einer der bekanntesten Gegner der Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus war der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen: http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/widerstand/galen/ )

*

Die nationalsozialistische Ideologie rumort noch in verbohrten Köpfen herum und gelangt durch dumme Parolen und finstere Schmierereien an die Öffentlichkeit. Auf der Suche danach, dem Leben einen Sinn zu geben, landet man bei einem Popanz und bei der Menschenerniedrigung. Entsprechend gibt es aus dieser Ecke Versuche, diese Tatsachen zu leugnen, zu verharmlosen, herunter zu rechnen. All das hilft jedoch nicht, der ideologischen Schande zu entkommen, sondern macht sie nur größer, denn das holt sie in die Gegenwart.

Ich befürchte jedoch, dass der Sozialdarwinismus, der Behinderten und psychisch Kranken die Würde abspricht, in sehr viel mehr Köpfen unserer Gesellschaft verankert ist. Vor allem hat er neben der gesellschaftspolitisch missbrauchten Evolutionslehre – aufgrund ihres wissenschaftlichen Anstrichs – für viele noch einen starken argumentativen Partner: Behinderte würdig zu behandeln, das kostet viel Geld und Kraft.

Aber am Umgang einer Gesellschaft mit den schwächsten Menschen erkennt man, ob sie verroht ist oder Menschenrechte achtet.

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