Kosegarten: Vögel

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Wer war Kosegarten? Kosegarten (1758-1818) war ein Pfarrer, Geschichts- und Theologieprofessor und Schriftsteller, der zu seiner Zeit mehr gelesen wurde als Goethe bzw. Schiller. Er war auch Übersetzer der “Ethik” von Adam Smith (Theorie der Ethischen Gefühle). Vor allem: Er beeinflusste Caspar David Friedrich. Aus einer Predigt von Kosegarten:

>Sehet an die Vögel unter dem Himmel und lernt von diesen immer fröhlichen Geschöpfen Zufriedenheit und Frohsinn.

Haben niederschlagende Zufälle euren Geist um­wölkt und eure Stirne verfinstert – so sehet an die Vö­gel unter dem Himmel. Mit Gesang erwachen sie; mit Gesang versüßen sie sich die Mühen des Tages; mit Ge­sang und Jubel begrüßen sie noch die letzten Abschied nehmenden Strahlen der Sonne – und ihr, die ihr so viel mehr Ursache, so viel mehr Kräfte, so viel mehr Sinn und Aufforderung zur Freude habet, wenn ihr euers hohen Adels und eurer herrlichen Bestimmung gedenkt, ihr wolltet trauern? – Ängsten euch die Sor­gen der Nahrung, quält ihr euch um die Schicksale einer aussichtslosen Zukunft? Sehet an die Vögel unter dem Himmel: Sie säen nicht. Sie sammeln nicht in die Scheuern. Und euer himmlischer Vater nährt sie doch! – Seid ihr einsam auf Erden, und habt ihr auf der weiten Welt kein vertrauliches Plätzchen, auf dem euer müder Fuß ruhen könnte? Sehet an die Vögel unter dem Him­mel. Sehet die mauernde Schwalbe. Sehet die webende Drossel. Sehet die flechtende Grasmücke. Sehet den bauenden Storch. Der diese schwachen Thierlein sich so kunstreich ansiedeln lehrte, sollte der euch nicht helfen, einen kleinen eigenen Herd euch zu gründen? Nun bitt‘ ich euch, meine Brüder, beeifert euch auch, die Tugenden dieser unschuldvollen Kreaturen nach­zuahmen. Ahmet nach ihre unverdrossene Emsigkeit. Ahmet nach ihre dankbare Genügsamkeit. Wetteifert mit ihnen in der Häuslichkeit, in der ehelichen Treue, und in der zarten elterlichen Liebe. – Thut ihr dieses, so werdet ihr bald eben so fröhlich werden, wie die immer fröhlichen Vöglein. Ihr werdet dem erwachen­den Tag entgegen jubeln, wie die liederreiche Lerche. Ihr werdet jauchzen bei eurer Arbeit, wie die Schwal­be und die Grasmücke bei der ihrigen unauslöschlich zwitschern. Ihr werdet frohlocken in den Umschattun­gen des Unglücks, wie die Nachtigall in der Dunkelheit am schönsten singt. Ihr werdet, wenn einstens Gottes Bote euch heim ruft, gleich dem sterbenden Schwane mit Gesang und Jubel niedersteigen in das stille Bette des Grabes. Amen.

(zitiert nach dem lesenswerten Büchlein von Katharina Coblenz-Arfken (Hg): Gott in der Natur. Aus den Uferpredigten G.L.Th. Kosegartens, Edition Themmen, Bremen 2012, 58f.; Gedichte z.B. hier: http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/kosegarten_poesieen01_1798?p=47)

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