Theodizee 6: Sophie und Werner Scholl

Theodizee 1-5 siehe die vorangegangenen Tage. Dort ebenso die Literaturangaben.

Sophie Scholl versuchte seit ca. 1938 ihrem Freund/Verlobten Fritz Hartnagel (1917-2001), der im (Vor-)Kriegseinsatz steht, von sicherem Ort aus mit Glaubensthemen herauszufordern (B. 249; 250f.). Er versteht es erst nicht – arbeitet sich aber dann doch zu einer Lösung aus christlicher Perspektive durch, die für ihn wichtig ist und wird fester im Glauben. Und als er mit seiner Truppe in Stalingrad war, schrieb er: „Und wenn wir unsere Hoffnung nicht an dieses Leben hängen, was kann uns da schon genommen werden? Ich will beten in diesen Tagen und nochmals beten, und auch Du und alle Lieben sind darin innigst eingeschlossen…“ (17.1.1943; B. 413). (Siehe auch unten.)

Dann, als Sophie Scholl selbst leiden musste, weil sie nach der Schule in den Reichsarbeitsdienst „eingezogen“ wurde und durch die Umstände Unfreiheit spürte, kommt sie mit den alten Antworten ihres Lebens – damit zusammenhängend auch zum Thema Gott und Leiden – nicht mehr klar. Sie ringt und kämpft, sie zweifelt (B. 318) – und erkämpft sich vorläufige Antworten. Sie kämpft gegen die Sicht: Gott ist fern, er ist ungerecht – er darf nicht zulassen, dass der Mensch sich an der Natur – eines lebt vom anderen – ein Beispiel nimmt (O.A. 83). Sie erkämpft sich die Erkenntnis, dass sie früher den Geist betonte, den Verstand, während ihre Seele verhungerte (10.12.1941). Sie suchte ihre Seele in ihrer Traurigkeit an Gott anzulehnen (O.A. 76). Ihrer Seele gab sie, so gut sie konnte Nahrung, indem sie in die Kirchen ging und Orgel spielte (und malte) – und Augustinus las. Ihr Problem ist nicht nur die Theodizee, sondern die Anthropodizee: Menschen fügen allem Leiden (Natur und Menschen) zu – und aufgrund dieses Leidens und Mitleidens spürt sie Gott nicht mehr (10.10.1942). Gott ist für sie Realität – die sie spürt – aber das, was sie von ihm glaubt, von ihm zu wissen meint, passt nicht mit der Realität zusammen. Sie kann das als richtig Erkannte nicht in ihrem Leben umsetzen (6.8.1942). Hier Übereinstimmung zu finden, darum ringt sie: „Warum sollte ich an einer Wahrheit zweifeln, bloß weil sie mir noch verborgen ist?“ (9.10.1942 – zu dem Ringen: B. 357) Glaube und Denken standen für sie am Ende des Ringens nicht im Widerspruch (B. 403). Es geht um eine Verinnerlichung Gottes (O.A. 76). Das Wort des Augustinus begleitete sie: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir“ (B. 404). Sie schrieb am 18.11.1942 – in einer Zeit, in der die Flugblätter konzipiert und verteilt wurden und alles, was damit an Bedrohung, Aufregung zusammenhing – : „Ich will mich an das Seil klammern, das mir Gott in Jesus Christus zugeworfen hat“ – selbst dann, wenn sie mit ihren erstarrten Händen nichts mehr fühlt (B. 385). Gleichzeitig ist aber Gott ganz normaler Teil des Alltags (M.G. 181, 190). Das letzte gesprochene Wort, das wir von Sophie Scholl kennen ist: Ihre Mutter sagte ihr beim Abschied am 22.2.1943: „aber gelt, Jesus“ – und Sophie antwortete: „ja – aber Du auch“. Das heißt wohl: auf Jesus schauen, angesichts des Todes – aber die Mutter soll auch in ihrer Trauer auf ihn schauen. Die Mutter Lina beurteilt den letzten Kontakt unter anderem so: „Das Göttliche war ihnen [Hans und Sophie] Tröstung und Willkommen.“ (M.G. 240)

Werner Scholl der jüngere Bruder, hatte sich geweigert, in die HJ einzutreten, wurde darum auch nicht zum Abitur zugelassen. Er war es, der schon 1939 (also mit 17 Jahren) in einer Nacht der Justitia in Ulm eine Hakenkreuzbinde über die Augen gebunden hat. Er war eingezogen worden und kam nur sehr schwer mit dem, was er erlebte, zurecht. Sein Halteseil war der Glaube an den „großen Tröster“, der alles Ungemach „durch ein überirdisches Licht tausendmal aufgehoben hat.“ (B. 374) Er sieht sich in der Tradition der Pilgerschaft der Heiligen drei Könige, „die ihren Stern erblickt haben“ (B. 393). Werner Scholl wird in seit Juni 1944 in Russland vermisst.

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