(Nachtrag: Eine russische Seite, die ich als Grundlage der Gedichte gefunden hatte, ist so nicht mehr online. Inzwischen bin ich auf eine deutsche „Gesamtausgabe“ gestoßen. Allerdings enthält sie nicht alle Gedichte: Ludolf Müller / Irmgard Wille [Hgs]: Deutsche Gesamtausgabe. Ergänzungsband: Solowjews Leben in Briefen und Gedichten. Erich Wewel Verlag, München 1977; auch eine russische Seite habe ich entdeckt: https://russian-poetry.ru/index.php)
Ich habe aber vor langer Zeit Gedichte von Solowjow von Deepl bzw. Google vorläufig übersetzen lassen, habe sie noch, kann sie jedoch nicht mehr überprüfen. Ein Gedicht möchte ich hier vorstellen. Vielleicht folgen weitere.
Solowjow war Religionswissenschaftler, Philosoph, Schriftsteller, und verschieden anderes mehr. Er beeinflusste als christlicher Philosoph viele weitere Philosophen, gilt als wichtiger Vertreter des russischen Idealismus. Er wandte sich gegen die Spaltung in den Kirchen, beeinflusste die Humanforschung/Psychologie. Aufgrund eines mystischen Liebeserlebnisses (Julie/Sophia [Weltseele]) wandte er sich enttäuscht vom Atheismus und Positivismus ab. Die Trennung von theoretischem und empirischem Wissen lag ihm nicht. Wahrheit auch in der Wissenschaft ist nur dadurch zu erlangen, dass der Wissenschaftler in christlicher Liebe frei ist von Selbstbehauptung, rein ist. Solowjow war ein Philosoph der Einheit, einer Einheit, auf die die christliche Liebe hinarbeitet, die in der Vereinigung von Gott und Welt durch die Sophia (Weltseele; würden wir heute sagen: durch den Geist Gottes?) begründet ist. Das heißt nicht, dass Gott und Welt eine Einheit sind, Gott bleibt Gott. Die Welt geht auf die Einheit, die Gottesherrschaft zu. Er war befreundet mit Dostojewski. Als Dozent forderte er den Zaren Alexander III. auf, aus christlicher Barmherzigkeit den Mörder von Alexander II. zu begnadigen – ab da durfte er an der Universität keine Vorträge mehr halten und die Universitätslaufbahn war beendet. Er hat Terpentin als heilende Flüssigkeit betrachtet – die ihn letztlich wohl das Leben gekostet hat. Sein in der Öffentlichkeit berühmtestes Werk ist: Die Erzählung vom Antichrist https://blog.wolfgangfenske.de/2019/11/24/antichrist/
| Wladimir Sergejewitsch Solowjow (1853-1900) Drache (Siegfried) Von jenseits der Kreise des unsichtbaren Himmels Enthüllte der Drache seine Stirn, – Und in der Finsternis unaufhaltsamer Bedrängnis Ist der kommende Tag verhüllt. Der Jubel wird nicht aufhören Und das ewige Lob der Welt, das freudige Lachen und die Ausrufe: „Das Leben ist gut, und es ist nichts Böses darin!“ Erbe der schwerttragenden Armee! Du bist dem Banner des Kreuzes treu, das Feuer Christi ist in deinem Damast und die Rede, die droht, ist heilig. Der Schoß Gottes ist voller Liebe, er ruft uns alle gleichermaßen… Aber vor dem Rachen des Drachen Hast du verstanden: Das Kreuz und das Schwert sind eins. |
Ein Gedicht, das auf die Apokalypse des Johannes zurückgreift. Der antigöttliche Drache, das Böse, wird dort beschrieben. Dennoch jubeln Menschen auf der Erde, – aber noch verdeckt der Drache den Tag der Befreiung, den Tag der Erlösung. Um den Drachen zu bekämpfen, ist das Schwert Christi nötig, das Kreuz ist das Schwert. Das Kreuz, Hinweis auf den Tod Jesu, Symbol für Sündenvergebung und die Auferstehung, bringt die Befreiung. Das Schwert ist nicht einfach ein Schwert aus Stahl, sondern in dem Schwert ist das Feuer Christi. Mit dem Kreuz – also dem Symbol des Opfertodes und der Auferstehung – muss die Armee Gottes vor dem Rachen des Drachen kämpfen – also sie kämpft in größter Gefahr, sie muss Opfer bringen – die Armee, die von Gottes Liebe lebt. Es geht um einen Kampf aus Liebe, es geht um eine heilige drohende Rede – es geht nicht um Zurückgezogenheit, sondern um Widerstand. Aber es geht um christlichen Widerstand, nicht um rohe irdische Schwertgewalt. Denn es geht nicht einfach um einen Kampf gegen Menschen, sondern gegen den Drachen, das Böse schlechthin. Am kommenden, enthüllten Tag, dann ist Jubel. Bis dahin aber…
Warum Siegfried? Auch vorchristliche Menschen sind in christlicher Tradition Vorbilder. Entsprechend auch die Sagengestalt Siegfried. Er ist ein mutiger, reiner Ritter, ein Kämpfer gegen das Böse. Er kämpft und besiegt den Drachen. Aber der Sieg über den Drachen bedeutet in der SiegfriedSage nicht, dass er nicht Menschen, die ihn verraten, zum Opfer fällt. Er besiegte den Drachen – aber den bösen Menschen nicht. Siegfried als vorchristliche Figur kämpfte freilich nicht mit dem Kreuz – dem Schwert im oben genannten Sinn. Aber auch diejenigen, die mit dem Feuer Christi kämpfen, kämpfen noch vor dem Rachen des Drachen.
Anzumerken ist, dass in der russischen Tradition der Kampf des Engels Michael mit dem Drachen sehr präsent ist. Erkennbar ist, dass Solowjow den Menschen als Kämpfenden in den Mittelpunkt rückt. Aber er nimmt auch nicht den Heiligen Georg, der ebenfalls in der russischen Tradition eine große Rolle spielt in seinem Kampf gegen den Drachen. Georg ist der christliche Mensch. Mit Siegfried nimmt Solowjow einen vorchristlichen Menschen, der das Schwert Christi ergreift, aber noch nicht weiß, dass er mit Gottes Hilfe das Böse bekämpft. Der es aber erfahren wird. Er ist der noch nicht Vollendete. Beim Erzengel und bei Georg ist das Erkennen schon abgeschlossen. Es geht um die Boten Gottes, um die Kirche. Solowjow geht es um den noch unwissenden europäischen Helden, der im Kampf und Leiden steht.
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In der Gesamtausgabe wird das Gedicht politisch gedeutet. Wilhelm II. ist Siegfried, der Kaiser warnte vor der „Gelben Gefahr“ – aufgrund des Boxeraufstands hat Solowjow seine apokalyptische Prophezeiung war werden sehen. (Ludolf Müller / Irmgard Wille [Hgs]: Deutsche Gesamtausgabe. Ergänzungsband: Solowjews Leben in Briefen und Gedichten. Erich Wewel Verlag, München 1977)
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