(Fortsetzung:)
Spannend an diesen Gedichten ist aus christlicher Sicht, dass sie das Ungeborene bzw. das dann Geborene mit Jesus Christus verbindet und die Mutter mit Maria (vgl. auch „Bestimmung“; „Kalvarienberg der Mutter“). Es wird nicht in jedem Gedicht gesagt, aber durch die Einbettung der Gedichte, durch die geplante Reihenfolge wird das ganz deutlich. In dem Gedicht „Du allein“ wird ausgesprochen, dass der Mutterschaft das göttliche Siegel aufgedrückt wird – und sie allein geht auf dem Weg, den Gott des Lebens vorschreibt, um „der Welt die Erlösung zu bringen“. Was diese religiöse Verbindung des Lebens mit Maria/Christus erklären könnte.
In dem Gedicht „Die hundertjährige Greisin“ beschreibt sie das lange und erfüllte Leben einer Frau, die allerdings jetzt vor dem Tod schon in gewisser Weise tot ist. Allerdings wird die Aussage betont: „Sie betet“. „Sie erinnert nicht. – Denkt nicht mehr. – Betet.“ Was ist das für ein Beten? Gebet öffnet, Gebet ist bewusst, Gebet denkt… – denkt die Autorin an das Rosenkranzgebet, das wie automatisch gebetet, durch die Finger gleitet? Ist es das Beten, dass sich in der Gegenwart Gottes weiß – also nicht mehr redet, denkt? Die letzte Zeile des Gedichts könnte es aussprechen, was sie damit meint: „Die Ahnin träumt von Himmelsfrieden nur, / vom Flügelschlag, der sanft zu Gott sie bringt.“ Das Gebet wird zu einem Kontinuum vom Diesseits zum Jenseits. Die lebendig Tote ist nur ein „Abbild des Lebens“ – aber durch das Gebet nur ein Abbild des Lebens oder schon Abbild des ewigen Lebens?
Ich weiß nicht, was im Hintergrund des Gedichtes steht, das die Überschrift „Erlösung“ hat. Es schildert das Leiden und das üble Tun von Frau und Mann. Der Mann sagt der Frau: „Auf, folg´ mir nach.“ (Der Ruf Jesu) Es geht um ein neues Leben. Sie gehen und die Seele erleichtert sich durch Weinen, sie beten und der Regen tauft sie. Langsam erhellt sich ihr Gesicht, sie treffen auf Arbeiter auf dem Feld. Diese strecken die Arme nach beiden aus, und singen das Loblied auf Christus (cantico di Cristo): „Willkommen sei, der nackend litt und bang, / und der aus Not vom rechten Wege wich / der büßen musste Andrer Freveltat / und das Gesetz brach um ein dürftig Brot, / der ganz erkannt´ der Menschheit Schmach und Not / und heiß beweinte, was zermalmt ihn hat!…“. Jedes Leben wird verwandelt, Gerechtigkeit der Liebe bringt Erlösung allen. Spielt das an auf eine ideale Kirche – Gemeinschaft der Heiligen? Was ist das „Land auf Erden, wo man büßt, um neu zu leben“? „Credi: àlzati: andiamo.“ Glaub! Steh auf! Los geht´s!
In dem Gedicht „Die Mutter Erde“ spricht die Erde, was sie den Menschen alles gibt. Dann wird das unterbrochen durch die Strophe: „Von Wollust und von Gold / gebläht, zu ries´gem Trümmerhauf zusammenkracht / der Städte aufgehäufte Wahnsinnspracht, von ihrem Stolz gefällt.“ Einsam bleibt die Mutter Erde zurück. Doch dann ein schönes Bild: Menschen ziehen durch die schöne Landschaft, eng an der Erde Herz geschmiegt, „wird ihnen Gottes heil´ge Wahrheit klar, / die Trug und Wahn besiegt.“ Und aus der Erde keimt Neues und sprudelt die Lebensquelle „klar / und frisch wie in der Früh, von der die Bibel spricht, / als auf ein göttlich Zeichen, kraftvoll, rein und licht, / das Leben sich gebar.“ (Soweit ich sehe, entspricht die deutsche Übersetzung nicht ganz dem Text: polla d’acque / fresche come nel biblico mattino, / quando, vergin di forze, ad un divino / cenno, la Vita nacque.)
Der Gedichtband endet mit einem Segensgedicht: —Dio ti salvi, ora e sempre—e così sia.—
(Fortsetzung folgt)
Quelle: Ada Negri: Mutterschaft (Maternità), Ins Deutsche übertragen von Hedwig Jahn, Berlin, F. Fontane & Co. 1905; italienisch: https://www.gutenberg.org/cache/epub/36061/pg36061-images.html#madre-terra
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