Wir leben in einer Übergangszeit: Weg von christlicher Tradition – hin: wozu? Zum Atheismus? Zum Islam? Zur Esoterik? Zu was auch immer?
Dass eine Kultur sich als säkulare, areligiöse Kultur sieht, dürfte in dieser Form neu sein. Natürlich neu im Sinne der letzten 200 Jahre.
Und nun müssen Philosophen einen gemeinsamen Weg finden, die Letztbegründung der Ethik – also Gottes Wort – fallen zu lassen und neue Begründungen zu finden – nur: wer wird ihnen folgen, den unterschiedlichsten Stimmen?
Feuerbach fand die Liebenswürdigkeit im Menschen selbst, wenn er sich nur derer bewusst wird.
Marx sah es anders, sah, dass die Arbeiterklasse die brutale Ausbeuterklasse bekämpfen muss. Dann erst kommt nach blutiger Zeit die Liebenswürdigkeit.
Nietzsche wollte einen anderen Weg: Die Überhöhung des sich überhöhenden Individuums, gegen all das MenschenGekrabbele, um das sich die blöden Christen kümmern. Kurz: Die Liebenswürdigkeit hielt sich sehr in Grenzen.
Kant sah die Pflicht, die preußische, und die Vernunft, die allerdings laut Luther doch eher dem Trieb hörig sein kann. Und Freud schloss sich irgendwie an Kant an, auch hier: die Erhebung der Vernunft, allerdings schon etwas unsicher angesichts ihrer Fähigkeit. Zumindest war sie ein wenig benebelt durch Koks.
Gegenwärtige Säkularisierende meinen unter anderem, es seien Aspekte der Religionen aufzunehmen, ohne an Gott zu glauben, irgendwie war das doch alles nicht so schlecht, während andere das ganze Religiöse eher als lächerlich ansehen. Sie wenden sich lieber dem Buddhismus oder anderem zu. Nicht ganz so begeistert sind viele von dem, was der Islam zu bieten hat oder der Kommunismus Nordkoreas, Chinas – wobei: im Augenblick nicht. Es war schon anders.
Singer hat eine sonderbare Sicht von der Würde des Menschen, aufgegriffen von vielen – aber andere sagen: Wir sind auch für das Lebensrecht behinderter Neugeborener, obgleich wir Atheisten sind. Wieder andere meinen, es müsse an manchen religiösen Traditionen festgehalten werden, bis neue Verhaltensweisen begründet die Oberhand gewinnen.
Ganz andere Wege gehen diejenigen, die sagen: das, was jüdisch-christlich religiös durchgesetzt wurde, hat gar nichts mit der Religion zu tun, sondern ist allgemein menschliches Verhalten, das nur ein wenig religiös gefärbt war. Doch dürften sie sich wundern, wenn sie sehen, wohin die Reise unserer Gesellschaft ohne diese religiöse Basis gehen wird. Alle berufen sich auf den Verstand – der irgendwie zwischen den unterschiedlichen Interessen einen Ausgleich schaffen kann. Kant mit seinem Friedenswerk hat hier ein wenig vorgearbeitet.
Und so geht es hin und her mit dem Versuch, sich irgendwie von der als bösartig gedachten religiösen Tradition zu lösen, neue moralische Wege zu finden, sie zu begründen. Bewundernswert. Einfach auch nur menschlich: Sich vom Traditionellen abzuwenden, um Neues auszuprobieren. Das geschah übrigens auch schon zu Zeiten, in denen der christliche Glaube dominanter war. Die Folgen waren – nun, das weiß jeder – nicht sehr rühmlich – und so fällt manch philosophische Idee auch auf christlichen Boden. Negatives muss natürlich nicht immer so sein. Hoffe ich. Warum hoffe ich begründet? Weil Gottes Geist uns Menschen nicht im Stich lässt, weil er wirkt, auch wenn wir von ihm nichts wissen wollen. Und so geht es durch tiefe, finsterste Täler wieder in etwas hellere Bereiche.
Ich frage mich manchmal: Sind die Bestrebungen „weg von der christlichen Tradition“ nicht Wege „hin zum christlichen Glauben“? Denn Glaubende müssen so manchen atheistischen Denkern dankbar sein, weil sie ihnen die Augen geöffnet haben. Allerdings übertrieben sie dann. Wie dem auch sei. Das geht dann so lange, bis Gott seine Herrschaft aufrichten wird. Und alle werden sich die Augen reiben und sich fragen: Was jetzt?
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