Jesuanismus

In letzter Zeit sind Statements in christlichen Leserbriefen zu finden, die versuchen, einen Jesuanismus durchzusetzen: Jesus war ein guter Mensch – basta. Rechtfertigung, Opfer, Gottessohn, Menschwerdung Gottes, Auferstehung, Wunder – alles nachjesuanischer Dogmatismus. Aber die Rigorosität, mit der das vertreten wird, ist wissenschaftlicher Dogmatismus geboren im 19. Jahrhundert: Das, was Exegeten meinen, über den Menschen Jesus herausgearbeitet zu haben, das wird als sakrosankt erklärt. Es ist schön, wenn Jesus als Mensch bewundert wird. Aber das ist nicht Glauben. Das ist ein Bewundern, wie ich Cicero, Horaz, Sophokles, Aristophanes, Sokrates – bzw. Luther, Goethe, Tagore, Rilke, Beatles… bewundern kann – aber das ist kein Glaube.

Glaube heißt: Vertrauen, dass Gott den Menschen erhöhte, ihm Würde gab, indem er Mensch wurde; dass Gott selbst mich annimmt, obgleich ich Sünder bin, weil er mir durch das Sterben Jesu Sünden vergeben hat; dass Gott den Tod besiegt hat, wie an dem auferstandenen Jesus Christus zu sehen, dass er im Abendmahl mir so nah kommt – wie nichts und niemand mir nahekommen kann. Das ist alles rational nicht verständlich. Aber muss unser kleines Gehirn alles verstehen – oder macht es sich auf den Weg, verstehen zu wollen? Gott selbst – vollkommen unlogisch, eine solche Größe anzunehmen – aber macht sich unser kleines Hirn auf den Weg, Gott zu suchen?

Freilich kann ich Jesus bewundern auch ohne eine Besonderheit Jesu anzunehmen – aber Gott ist nun einmal diesen Weg gegangen, um uns Menschen in den tiefsten Tiefen unseres Wesens zu berühren und zu verändern. Zudem darf der lebendige Geist Gottes nicht vergessen werden, der durch seine Apostel und Boten in der Bibel gesprochen hat und bis in die Gegenwart zu uns sprechen möchte. Alle neutestamentlichen Glaubenden haben Jesus auf einer neuen Ebene erkannt, sogar Johannes, der Jünger Jesu. Ohne diese neue Ebene wäre der gute Mensch Jesus von Nazareth sicher in der Geschichte einfach vergessen worden. Wie so viele gute Menschen. Er ist es nicht, er ist noch gegenwärtig, eben weil er von einer neuen Ebene her verstanden werden muss.

Der Mensch Jesus, der in seinem Geist weiter wirkt, bleibt allerdings Maßstab.

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