Alexander Blok war ein großer russischer Dichter, der die Revolution begrüßte, dann aber von ihr enttäuscht und depressiv wurde. Er starb wohl aufgrund von Unterernährung verbunden mit einer Herzerkrankung.
Er schrieb ein Gedicht, sein berühmtestes: Die Zwölf (1918). Hier finden wir die Übersetzung: https://ruverses.com/alexander-blok/the-twelve/10828/ Alfred Edgar Thoss / Planet Lyrik) Allerdings, und das ist spannend: wird der Jesus-Christus-Bezug, werden also die letzten wesentlichen und umstrittenen Verse weggelassen. Diese letzten Verse finden wir hier https://d-nb.info/127037513X/34 (Elisabeth von Erdmann-Pandzic´: Zur Christusfigur in Aleksandr Bloks „Die Zwölf“, in: F. Prcela (Hg.): Dialog, Mainz/Zagreb 1996, 311-322) samt Interpretation:
So gehen sie mit mächtigem Schritt –
Hinterher – ein hungriger Hund,
Vorne – mit blutiger Fahne,
Und durch den Schneesturm unsichtbar
Und von den Kugeln unversehrt
Mit zartem Schritt übers Wirbelwehen,
Perlschnee streuend (andere Ü: Gekrönt mit einer Krone aus Schneeflockenperlen)
In einem weißen Kranz aus Rosen
Voraus – Jesus Christus.
Soweit ich das Gedicht verstehe, ist es revolutionskritisch (Februar- und Oktober-Revolution: 1917 – vorher (1905) aber schon Vorläufer der Auseinandersetzung mit dem Zaren): Ein großes Tuch rühmt die Revolution – und eine alte Frau denkt, daraus könnte warme Kleidung hergestellt werden. Aber insgesamt ist in dem Gedicht alles schillernd, nicht ganz eindeutig. Der eine Revolutionär erschießt seine Freundin, ist traurig, aber die anderen fordern ihn auf, sie nicht mit seiner Trauer zu plagen, weil sie Schwereres zu tragen haben. Es ist eine düstere, zerstörte Welt im Schneetreiben, die geschildert wird. Alles ist im Niedergang. Und dann endet das Gedicht damit, dass Jesus Christus den Revolutionären vorausgeht. Jesus spielte allerdings schon im gesamten Gedicht eine Rolle – kann auch an der Zahl 12 erkannt werden. Die Jünger Jesu als Revolutionäre.
Blok wird dem Symbolismus zugeordnet. Er selbst war, so lesen wir im genannten Beitrag, mit diesem Ende des Gedichts unzufrieden. Aber es war für ihn notwendig. (Der weiblich gezeichnete) Jesus lebte unter den Sündern – mit Jesus bricht eine neue Zeit an. Blok, so in dem Beitrag von Elisabeth von Erdmann-Pandzic´, war Anhänger der Altgläubigen, die als Sekte mit apokalyptischer Erwartung angesehen wurde – und die besonders mit dem russischen Volk und den Sozialrevolutionären verbunden worden waren. Und Christus, mit dem sich der Künstler identifiziert. Im Gegensatz zur Staatsideologie der Zaren-Tradition, in der der Zar ganz eng mit Christus verknüpft wurde, er hatte die Aufgabe, die Pravda, die Wahrheit in der Welt durchzusetzen. Die Altgläubigen hatten sich von der Zaren-Orthodoxen Kirche abgespalten – dem Antichristen – und sahen nicht den Zaren im Zentrum, sondern den durch Russland verborgen herumziehenden Jesus. Und Lenin konnte mit dieser Vorstellung vom verborgen herumziehenden real werdenden Erlöser – der nun die Pravda durchsetzt – verbunden werden. Und Blok hebt den Künstler hervor, der eben das sieht: dass Christus der Revolution vorangeht.
Nun das „Aber“ (weitere, sich widersprechende Aspekte siehe: der genannte Beitrag): Dieser unsichtbare Christus, den der Künstler sieht, ist nicht verfügbar. Der Realität der im wirbelnden Schnee mordend dahinstampfenden Kommunisten / Rotarmisten / Bolschewiki wird der Weiße-Rosen-Christus entgegengestellt. Sie suchen ihn zu töten, sie ahnen, dass da vor ihnen etwas ist, was ihnen nicht geheuer vorkommt – das Gewehr im Anschlag, es wird geschossen. Christus stirbt nicht, er wird die Zukunft herbeiführen, denn er ist nicht verwundbar. Die Rotarmisten sind, wie Blok in seinem Tagebuch schreibt, Christus nicht würdig, aber er geht mit ihnen, es sollte aber ein anderer mit ihnen gehen, wie Kasack 105 schreibt, wobei nicht geklärt ist, wen Blok als „anderen“ meinte. Die Rotarmisten bekämpften Christus, die Kirche, die Vertreter auf Erden massiv. Sperrten sie in Gulags, brachten sie um, plünderten Kirchen und Klöster, haben sie abgebaut, zweckentfremdet, geschändet. Aber Christus war nicht umzubringen. Und die Zeit der Übel ging vorbei. Der Glaube bekam wieder Freiheit.
Ich sehe das Gedicht auch als Kritik an der Kirche – nicht nur an der Orthodoxen Kirche, sondern mit Blick auf die „Zwölf“ auch an den Jüngern. Sie folgen – wie alle – Jesus, den sie nicht erkennen – und gegen den sie agitieren. Blok sieht Jesus Christus der Revolution vorangehen – aber die Kommunisten bekämpfen Jesus Christus. Es ist ein schillerndes Gedicht, wie gesagt. Und darum konnte es noch 1918 veröffentlicht werden. Und so sahen Gegner der Revolution in diesem Jesus Christus von Blok den Antichristen. Der, der Jesus Christus und die Kirche bekämpft – eben als Führer der Rotarmisten. Hatte er sich gewünscht dass der Satan vorangehe – der andere? Oder, so die Diskussion: War es Satan, der sich als Jesus Christus ausgegeben hat?
Schillernd ist es wohl auch aus diesem Grund: Es entstand in einer Zeit des Übergangs, in der er vom Anhänger der Revolution zu einem Zweifler wurde. Er wusste wohl selbst noch nicht so ganz, wie er alles in sich selbst sortieren sollte. Und so bekam das Gedicht eine große Eigenständigkeit. Allerdings muss ich sagen, wie so häufig, dass ich kein Alexander Blok Fachmann bin.
Um noch einmal auf den Eingang zurückzukommen: Es ist schlimm, wenn bei Übersetzungen der wesentliche Teil weggelassen wird. Die Frage stellt sich: Warum?
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Noch eine Anmerkung zum Gedicht von Blok „schamlos zu sünd´gen und begierig“ (1914). Es beschreibt die Spannung des Menschen: er besäuft sich – geht in die Kirche, verbeugt sich – und liegt in seiner Kotze, opfert ein Geldstück – um das er dann einen anderen betrügt usw. Der fromme Mensch – der sich nicht gottgemäß verhält – dann in Schlaf fällt wie ein Tier. „Allein auch so, mein Russland, fühle, / Bist du der Länder liebstes mir.“ Betrifft aber nicht nur Russland: Wir Menschen sind als Menschen störrische Wesen.
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Blok selbst hat, wie Kasack zeigt, ein ambivalentes Verhältnis zu Christus. Es werden auf Seite 104 Zitate aus Briefen angeführt, die eine Distanz zeigen: er kennt ihn nicht – quält sich mit ihm ab. In Gedichten mit Christusvisionen sieht er sich von Christus getrennt. Er überlegt sich, wie er diese Trennung überwinden könne. In den Jahren der Revolution wurde Christus immer wieder erwähnt: das Proletariat sei der Messias, Russland sei der kommende Messias, der Bauer ist der auferstandene Christus. Und auch das Gedicht „Die Zwölf“ beschreibt er selbst als Ergebnis einer Vision: er sieht hin, wer den Rotarmisten vorangeht, er kann es nicht glauben, was er sieht: Christus ist es. (105) http://Christus in der russischen Literatur. Ein Gang durch die Literaturgeschichte von ihren Anfängen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Verlag Otto Sagner, München 1999 file:///D:/Downloads2/1003913.pdf
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