Ein paar unkonzentrierte Überlegungen:
Heute können wir als Weltbild erkennen: Die Moderne begann mit dem 18./19. Jahrhundert, mit der Französischen Revolution – und wurde dann ganz modern in den 1960ern. (*)
Mit Moderne wird Säkularisierung verbunden: Der moderne Mensch warf allen religiösen Ballast ab – und begann nun als freier Mensch in die Menschheitsgeschichte zu laufen. Ganz marxistisch: Wenn der Ballast des Kapitalismus und der Religion abgeworfen wurde, beginnt die heile Welt. Mit dem Kapitalismus klappt es noch nicht so ganz – aber mit der Religion ist man auf gutem Wege.
(*) [Nachtrag: Hegel ist vermutlich ein wesentlicher Faktor – als Interpret der Zeit in der Moderne: These – Antithese – Synthese. Alles entwickelt sich immer höher in eine bessere Zukunft. Was Marx dann als eine Entwicklung durch Revolution interpretierte – evolutionäre Revolution zu einer höheren sozialen Spezies – sag ich mal so salopp.]
Modern sind also alle, die dem europäischen und Nordamerikanischen Way of Life folgen. Wer dem nicht folgt, ist nicht modern. Viele Kulturen in der Welt greifen Teile des Modern Way of Life auf – aber passen ihn ihrer Kultur an – und sind damit aus Sicht der fortschrittlichen US-EUler nicht mehr modern. Sie definieren Demokratie anders. Das Individuum spielt keine so große Rolle, sondern stärker die Gesellschaft/der Stamm. Das Recht ist abhängig von den traditionellen Kulturen, damit auch von den traditionellen Religionen und Weltanschauungen.
Das mögen Menschen aus anderen Kulturen nicht so gerne hören, dass nur die Europäer und die Nordamerikaner modern sind – alle anderen sind es nicht und stecken im Sumpf ihrer Tradition. Sie essen in ihren verkorksten Ländern zwar MacDonalds-Essen, kleiden sich nach berühmten europäischen Modemarken, bauen ihre Häuser höher und größer als die Europäer usw. – aber eigentlich ist das nur moderne Fassade. Moderne Fassade an die alte Kultur angeklebt.
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Aber diese Sicht auf die Moderne ist nicht die einzige. Ich selbst habe eine andere. Die Moderne unseres Europas, damit auch Nordamerikas hat ihre Wurzeln in der Religion. Die Religion ist Wurzel und Stamm, der die Krone der Moderne trägt. Die Moderne hat sich schrittweise entwickelt. Manches langsam transformiert, manches gedankenlos und schnell, dadurch, dass man die Moderne abrupt von der Tradition trennte, säkularisiert. Die Tradition nicht berücksichtigen, ist einfacher: Man muss in der Geschichte nichts wissen, denn nun fängt alles mit uns Modernen an. Man kann höchstens sagen: Die Blöden in der Vergangenheit wussten dies und das nicht – wobei ihnen Unwissen einfach untergeschoben wird (z.B. Flache Erde).
Schöne Beispiele für eine Transformation ins Säkulare, die mir gerade einfallen, ist zum Beispiel die Apokalyptik. Religiös: Gott wird die Welt zu ihrem Ende führen und Mensch wie Schöpfung in die Vollkommenheit. Der Mensch muss sich angesichts des kommenden Eingreifens Gottes an Gottes Willen ausrichten. Was blieb in der säkularen Zeit? Apokalyptische Vorstellungen, die die jeweiligen Generationen entwickeln: Atom, Baumsterben, kein Wasser, Eiszeit,… – der Mensch macht alles kaputt, wenn er sich nicht an die Vorgaben der jeweiligen Experten, Gruppen, Wissenschaften ausrichtet. Ein anderer Strang: Gott wird vollenden bedeutet säkularisiert: die Geschichte entwickelt sich immer höher, immer weiter, der Mensch wird vollenden. Was wird er vollenden? Menschenrechte? Er wird wieder Teil der Schöpfung? Technik wird alles zum Guten führen? Weltweite Wirtschaft wird sich so vernetzen, dass Kriege nicht mehr möglich sind? UN wird zu einer Weltregierung mit Weltpolizei, der es kein Entrinnen gibt? Einheitliche Weltfinanzen? Egal – es gibt auch hier unterschiedlichste Vollendungs-Vorstellungen. Hier haben wir auch die alttestamentliche prophetische Sicht im Blick: Gott wird sein Volk (unabhängig von Apokalyptik) zur Vollendung führen. Altgriechischer Pessimismus ist eher allgemein-menschlicher, nicht religiöser Art: Nichts ändert sich. Es geht wie es geht mit dem, was Menschen als positiv empfinden oder negativ. Geschichte ist nicht zielgerichtet, ist eine ständige Wiederholung in einer alternden Welt. Oder: Leben wird immer angenehmer – mit vielen Rückschlägen. Als weiteres Beispiel für Säkularisierung religiöser Aspekte: Die Evolution schafft, die Evolution wollte, usw. – statt Gott wird einfach „Evolution“ eingesetzt. Und das Handy – das ersetzt den allwissenden Gott. Und Moral ist sowieso von Menschen gemacht, auch wenn sie seit Menschen Gedenken von Gott/Göttern hergeleitet wird.
Eine weitere Sicht: Seit der Aufklärung steht der Mensch im Blick. Vorher war der Mensch abhängig von den Theologen und von Gott. Jetzt ist der Mensch frei. (Er war in der Moderne freilich erst abhängig von den Philosophen, heutzutage abhängig von Naturwissenschaftlern. Wenn es heißt: der Mensch ist frei – dann ist mit „Mensch“ nicht jede/r gemeint, es sind diejenigen im Fokus, die definieren, was das bedeutet.)
Nur eine kleine Frage: Wer steht Jesus im Blick – also in den Evangelien? Der Mensch. Gott liebt den Menschen, wendet sich dem Menschen zu. Wegen der Rettung des Menschen starb Jesus am Kreuz. Und wie ist es bei Luther in seiner Wormser Rede im 16. Jahrhundert, der darauf pocht, seinem Gewissen folgen zu können, darauf pocht, dass man ihm Beweise vorlegt… Das Gewissen ist nichts Neuzeitliches. Säkulare Menschen berufen sich heute darauf als eine anerzogene Größe, andere Säkulare versuchen das Gewissen vollends in die Absurditäten-Ecke zu stellen.
Aber welches Menschenbild auch immer vorherrscht: Es geht um den von Gott losgelösten Menschen. Doch wer ist dieser Mensch? Welches Menschenbild steht im Fokus? Der egoistische? der neidische? der aggressive? der, der sich aufgrund seiner Macht und seines Geldes durchsetzt? Oder steht das Individuum im Blick? Stehen machtvolle Gruppen im Blick? Das Individuum im Wechsel mit der Gemeinschaft und Gemeinschaft im Wechsel mit dem Individuum? Welche Rechtskriterien haben wir? Gesetze einfach so geworden – seit dem 18./19. Jahrhundert? Wieso haben die unterschiedlichen Weltkulturen darauf unterschiedliche Antworten gefunden? Aufgrund ihrer Tradition. Und sind die anderen Kulturen darum weniger modern? Manche Säkulare flüchten aus Angst vor der Anthropodizee, dem Leiden am guten Menschen dahin, dass sie sagen: die Religion(en) machen den guten Menschen bösartig! Also verlasst die Religion, die Welt wird gut! (So eine Art Feuerbach und Marx light.) Religionen schätzen den Menschen in seiner – ich sage: Unzulänglichkeit und Zerrissenheit – realistischer ein.
Also auch hier wieder: Im Fokus, wie ich Geschichte verstehe, steht die Transformation des Religiösen ins Säkulare unserer US-EU-Moderne. Wir leben auf den alten Wurzeln, am Stamm der Religion – und deuten dies und jenes um. Natürlich kommt dadurch auch Neues zustande: Hoffnung auf Weltrettung durch Technik. Welche Maßstäbe nehmen wir, um Altes ins Neue zu transformieren? Die der christlichen Tradition, die wir als gut empfunden haben.
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Wie oben geschrieben, gibt es auch andere Sichtweisen, die pessimistische: Alles wiederholt sich. Es wiederholen sich auch der traditionellen christlichen Moral entgegenläufige Sichtweisen – und werden als modern-säkular angepriesen. Aber auch sie sind zum Teil schon sehr alt, vorchristlich: Man darf Ungeborene töten, man sollte Kinder bis zu einem bestimmten Alter töten dürfen, der Mensch darf in der Forschung machen was er will, auch eingreifen in die Vorgänge der Natur, in den biologischen Menschen, Tiere verändern – der Mensch darf alles. Mancher Mensch will sich verändern in Bereichen, die nicht veränderbar sind. Hauptsache Geld, Karriere und in einem bestimmten Rahmen: Macht. Und sei es nur die Macht über Frauen. Und Menschenwürde? Wird neu definiert. Nicht Wesenswürde, sondern Gestaltungswürde. Unter der offiziellen Oberfläche der Gesellschaft gibt es immer auch Gruppen, die durch ihre aggressiven Machtstrukturen auffallen: Tyranneien, Mafia, und die kleinen Dorf- und Familientyrannen, erschreckende Internet-Tyrannen, Gruppen, die das Internet säubern wollen usw. Das sind alte Verhaltensweisen von Menschen. Säkulare wollen sich von der Religion lösen, von der alten Kultur, aber rasen dabei gefüllt mit Modern-Testosteron in die falsche Richtung.
Einen Aspekt habe ich vergessen: Die Religion wird nicht gänzlich transformiert. Säkulare Transformationen können nie die Religion ersetzen. Säkulare haben keine Begründungen für Moral und Menschenwürde, was das alles ist und dazu zählt, muss erst diskutiert werden, ihr ist es nicht möglich, letztlich Sinn und Halt zu geben, sie kann nicht die Angst vor Krankheit, Sterben, Tod nehmen – kann höchstens sagen: ist alles Natur – also nicht schlimm. Sie kratzt damit allerdings nur an der Oberfläche der menschlichen Tiefen. Sündenvergebung? Klappt säkular nicht – man kann Sünde leugnen und zur bloßen Aggression erklären oder eben verharmlosen und verdrängen. Aber sie nehmen? Was dem Menschen doch so wichtig ist. Das alte Rachemuster und Bestrafungsmuster dringt immer wieder durch: Menschen, die nicht angepasst leben, müssen ausgegrenzt werden. Es könnten noch eine Menge Aspekte genannt werden. Die säkulare Welt ist, wenn sie für alles eine Erklärung bieten soll, überfordert.
Lange Rede kurzer Sinn: Weil Religion durch die Moderne transformiert und nur streckenweise transformiert wird, bleibt Religion immer als Wurzel und Stamm da. Unwissende und Ideologen lehren, den Zweig an dem sie gerade hängen, als autonom anzusehen. Bloß nicht weiter schauen! Nicht nach Stamm und Wurzel fragen!
Die so genannte säkulare Welt hat manches Gute gebracht. Zum Teil wieder alte gute christlich-religiöse Traditionen erkennen lassen – die Macht von missbrauchender Religion gebrochen, einer Religion, die sich selbst von Gott entfernt hat, um die negativen Seiten des Menschen durchzusetzen. Gottlosigkeiten in den Religionen müssen immer wieder aufgespürt und angeprangert werden. Aber die Säkularen selbst müssen aufpassen, nicht zu einer Pseudoreligion zu werden, die sich von guter Tradition löst und Handlanger der Unmenschlichkeit wird.
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Und mit Blick auf andere Kulturen? Ich freue mich in der säkular-religiösen Kultur zu leben, wünschte mir nur, die Säkularen würden religiös aufgeklärt. Aber nicht Arroganz wird unsere Kultur in andere Kulturen bringen, sondern ein vorbildliches Leben. Ich betone: Ein Leben aus dem Glauben heraus, dass Gottes Geist in allen Menschen und Kulturen wirkt, sie wie unsere zum Guten drängt. Ich denke schon, dass sich Menschen nach Befreiung sehnen. Aber vieles sie daran hindert, im Sinne Gottes frei zu sein.
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