Christliche Dichter und Nationalsozialismus

Es fällt auf, dass christliche Dichter in der Zeit des Nationalsozialismus nicht die Nation und den Nationalsozialismus thematisieren (höchstens indirekt, am Rande und beiläufig), sondern den umfassenden christlichen Glauben. Das ist insofern spannend, dass uns das auffällt, weil wir doch international sein wollen – und den Christen diese Internationalität in einer Nation trunkenen Zeit vorwerfen. Wir Nachgeborenen erweisen uns darin nationaler als die Christen, die allgemein menschliche Probleme geschildert haben.

Wenn Siegbert Stehmann, zitiert nach Wolfgang Jung: „Erzählung als Verkündigung“. Der Auftrag der geistlichen Dichtung in „dürftiger Zeit“; dargestellt an Leben und Werk Siegbert Stehmanns 2016 (https://d-nb.info/1151446653/34) Nr. 1301, schreibt:

Herr! Die Zeit vergeht vor dir. /
Welt verbrennt in eigner Glut. /
Menschen wandeln sich zum Tier, /
Und das Tier verlangt nach Blut. /
Werden Menschenherzen Stein, /
Rüstest du zum Hammerschlag, /
Und es wird der erste Tag /
Deines letzten Wortes sein!

Dann sehen wir die Nationalsozialisten dahinter angesprochen. Aber Stehmann sagt nicht: Die NSDAP und die nationalsozialistische Regierung sind diese Tiere. Aus christlicher Sicht gab es schon immer Sünde, Menschen, denen nach Blut verlangt, und es gibt sie heute und wird sie immer geben. Damit wird nicht die Grausamkeit, das „industrielle“ Töten von Menschen durch die Nationalsozialisten und ihre Steigbügelhalter relativiert. Es wird davor gewarnt: Wenn die Menschenherzen zu Stein werden, kommt Gottes Hammerschlag. Darum soll man auf sich aufpassen – zu allen Zeiten.

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Natürlich: Wenn alle Christen sich zusammen getan hätten und sich dem Nationalsozialismus verweigert hätten, dann… – aber das ist kindliche Utopie. Christen sind nie eine Einheitsmasse. Das sieht man ja auch im Kontext anderer Ideologien – bis hin zur Gegenwart. Gerade die Kirchen als Kirchen wurden politisch usurpiert – und es ist die Schuld vieler Christen, dass sie nicht nur mitgemacht haben, sondern das auch noch forciert haben, sodass Christen gegen den Nationalsozialismus mühsam eine eigene Struktur des Widerstands aufbauen mussten. Auch Christen werden nicht vor politischer Verblendung automatisch geschützt. Ihre Verantwortung als Christen bleibt bestehen. Man darf nicht die Augen vor Realitäten verschließen. Auch das Gute benötigt Macht. Einzelne haben gekämpft – das sieht man an den zahlreichen Widerstandsgruppen und an Haushofer als Einzelner in den Machtstrukturen. Sie waren als Einzelne zu schwach. Das ideologische Virus hatte schon lange die Hirne befallen. Ideologen benötigen eine längere Vorlaufszeit – und dann bekommen sie eine Gesellschaft wie eine reife Frucht. Nicht nur rechts und links – sondern das gilt für alle Ideologien.

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Wo sind bei uns heute Ideologien am Wachsen – beginnen, Hirne, Gesinnung, Haltung zu beherrschen und andere zu drangsalieren? Das wird sich steigern – und dann nach einer neuen von Menschen verursachten Katastrophe fragt man sich: Wie konnte das geschehen? Ganz einfach: Man untergräbt, Demokratie, Meinungsfreiheit, denkt, manche müssten die Gesellschaft führen, man möchte keine gesitteten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, sondern sucht einen, der sagt, wo es langgeht, Medien schalten sich gleich, die Menge weiß, was richtig ist, man passt sich an, weil man Angst hat, nicht anerkannt zu sein… – und natürlich: immer zum Guten. Immer.

Ideologen kommen nie daher und sagen: Wir wollen euch verführen, wollen Böses. Es geht immer um das Gute. Sehnsucht der Menschen nach Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit, Wohlergehen wird ausgenutzt, in bestimmte Bahnen gelenkt – und missbraucht.

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