Der Artikel von Heinrich Vogel: Ich bin der Herr, dein Gott (zuerst „Wort Gottes und Mythos“) wurde 1935 in der Kirchenkampfschrift zur 2. Preußischen Bekenntnissynode veröffentlicht und sofort verboten. Heute ist er zu finden in Gesammelte Werke Bd 4, 263-287. Heinrich Vogel war in der Bekennenden Kirche aktiv – wandte sich gegen die Hitler-Fans unter den Christen und gegen Übergriffe des Staates. Weitere Informationen: http://gedichte.wolfgangfenske.de/heinrich-vogel-1902-1989/
Teil I.
Es geht nicht um einen weltanschaulichen Kampf, wenn Christen sich gegen menschliche Weltanschauungen wenden, da sie selbst weltanschaulich die Welt anschauen – es geht aber darum, die Sicht Gottes, die über Weltanschauungen steht, in die Fragestellung einzubringen.
Jede Weltanschauung steht unter Gottes Gericht und Gnade. Wenn die menschliche Weltanschauung sich selbst religiös überhebt, muss die Entweder-Oder-Frage gestellt werden: Glaube ich den Irrglauben oder an Gott.
Es folgt als Beispiel für Irrglauben eine „sogenannte Predigt der Deutschreligion“ aus einem Jugendgottesdienst. Ein Lobgesang auf Hitler, der auch die religiösen Konfessionen überwunden habe; Hitler wird mit Christus verglichen, der das Kreuz trägt, und die reaktionären Christen, die sich gegen Hitler wenden, erschweren ihm die Last des Kreuzes; er ist „der Richter in Deutschland an Gottes Statt“; Wer nicht an Hitler glaubt, der kann auch nicht an den Herrgott glauben“; wer Hitler folgt, folgt Christus; das sind keine neuen Glaubenssätze – das ist der wahre Glaube; Gott spricht durch Hitler: „Das Schicksal ist mächtig; allein mächtiger als das Schicksal ist der Wille, der es erträgt, um es zu überwinden“, das Opferblut Christi ist das Blut derer, die für Deutschland das Leben ließen, für die heilige Fahne des Führers gilt es als Auferstandene nicht nur zu leben, sondern auch zu sterben. (Menschen, die aus Glauben heraus der neuen Weltanschauung nicht folgen, werden diskreditiert, werden als Feinde dargestellt.)
Vogel spricht über einige Texte von Rosenbergs Mythos, weil dieses Buch diese neue Religion wiedergibt. Diese neue Religion wird von allen möglichen Leuten vertreten: „in Zeitungen und Zeitschriften, in Schulungskursen und Schule, in Partei und Staat“. Alles ist, so die neue Religion, dem Mythos der nordischen Rassenseele unterzuordnen: Kunst, Wissenschaft, Politik, Erziehung, Religion.
Der Mensch vergöttlicht seine Weltanschauung. Das ist Menschenwahn. Die neue Religion wird an die Stelle des Wortes Gottes gesetzt, das Hakenkreuz lässt das Christuskreuz verwerfen. Das Alte Testament wird abgeschafft, das Neue Testament wird gesäubert: Die Rede ist „vom Alten Testament als dem Buch der Viehtreiber- und Zuhältergeschichten, von dem Wüstendämon Jahwe, dem Wahnsinn der Schöpfung aus dem Nichts, von der Sündenbocktheorie, von dem ehrgeizigen und herrschsüchtigen Weltrevolutionär Paulus, dem sklavischen Halbafrikaner Augustinus, der jüdischen Fremdenreligion des Christentums, dem so ungefähr alle Schuld aufgebürdet wird, die sich in den letzten Jahrtausenden deutscher Geschichte aufweisen oder auch nicht aufweisen läßt. Mögen sie in ihrem blinden Haß alles zusammentragen, was sie an Anklagematerial beibringen können meinen“ – der Christ soll wissen, dass der Glaube an diese neue Weltanschauung (vom ewigen Deutschland, dem ewigen Wesen des Volkstums, der Rasse, des Blutes) und der Glaube an Christus unvereinbar sind. Der christliche Glaube, dass Gott Menschen zur Rechenschaft ziehen wird, wird durch die neue Religion abgelehnt und durch einen Gott ersetzt, den Menschen sich selbst erschaffen, Gott als sittliche Idee, als schöpferische Naturkraft. Der Glaube an Gott, der Menschen die Sünden vergibt, wird als Angriff auf „Menschenwürde und Menschenehre“ angesehen. Der Angriff auf die Christen wird als „positives Christentum“ deklariert, womit die Christen gleichzeitig als Anhänger eines negativen Christentums abgelehnt werden.
Dagegen Vogel: „Ein Christentum, das das Kreuz verwirft, verwirft Christus selbst“ und damit ist das so genannte „positive Christentum“ Antichristentum. „Wir haben uns nach Gottes Wort zu richten, nicht aber Gottes Wort nach uns.“
Im Teil II
geht er nun darauf ein, dass der Staat die neue Religion vertritt, da er alle auf diese einschwören will. Der Reichsminister und Bauernführer Darré hat das Vorwort zu einem Bauernkalender geschrieben, in dem 1935 Karfreitag erklärt wird als: „Gedenken an die 4500 von Karl dem Schlächter ermordeten Sachsen und an die 9 Millionen anderer ermordeten, tot gefolterten und verbrannten Rechtskämpfer, Glaubenshelden, Ketzer und Hagdiesen (Hexen).“ Vom Leiden Jesu ist nicht mehr die Rede. Aufgabe der Kirche ist es, die Christen, die überall in dieser „neuen Religion“ geschult werden, naiv dieser neuen Religion ausgesetzt sind, vor so etwas zu warnen.
Kirche hat ein Wächteramt. Und auch dann, wenn sie selbst immer wieder schuldig geworden ist, darf sie nicht verstummen. Sie ist auch darin schuldig geworden, dass sie nicht rechtzeitig die Menschen darauf hingewiesen hat, dass das Evangelium nicht vom jeweiligen Zeitalter so umgedeutet werden darf, wie es den Menschen gerade passt. Kirche hat das Evangelium den Menschen angenehm verkündigt, hat es darum verbogen. Damit ist sie in ihrem Wächteramt schuldig geworden. Wegen dieser Schuld ist es dazu gekommen, dass die Menschen nun eine ihr angenehme neue Religion entwickelt haben und den christlichen Glauben verdrängen. Nicht nur die Menschen sind in Gefahr, der Staat selbst steht in Gefahr, der neuen Religion zu verfallen.
Der Staat hat seine Macht und Autorität von Gott. Wenn er sich absolut setzt, verliert er „seinen Auftrag, seine Hoheit, die Glaubwürdigkeit seiner Vollmacht“. Das Recht wird aufgehoben. Kirche hat das Wächteramt. Sie darf den Staat nicht ersetzen, sie hat aber zu warnen, wenn er seine Kompetenzen überschreitet. Ein Staat überschreitet seine Kompetenzen, wenn er die Gewissen bestimmen will, das heißt, totalen Anspruch auf den Menschen erhebt.
Teil III
Im Teil III konkretisiert er manches.
- Während der Staat die neue Religion überall verkündigen lässt, wird den Christen untersagt, ihren Glauben öffentlich zu bekennen. Dagegen muss die Kirche protestieren. Kirche darf sich nicht in einen privaten Raum zurückdrängen lassen und tut es nicht, da sie den Missionsbefehl Jesu zu befolgen hat. Es „schrecken uns nicht jene, die das Christentum schon aussterben zu sehen vermeinen. Auch die Rechnung, die für die neue Religion im voraus auf die Jugend zählt, indem man meint, den alten Glauben mit den alternden Menschen einem tolerierten Absterben überantworten zu können, beantworten wir mit einem getrosten Hinweis darauf, daß Gott im Regimente sitzt.“
- Die Kirche hat bis in ihr Verhalten hinein Christus zu folgen und Gottes Ehre zu bezeugen. Das gilt auch für den Friedhof. (Einfügung von WF: Das bedeutet: Die Hakenkreuzflagge und andere nationalsozialistische Handlungen und Worte haben in der Kirche und bei der Beerdigung nichts zu suchen; diese Auseinandersetzung brachte letztlich den Pfarrer Paul Schneider ins KZ, der sich gegen nationalsozialistische Ideologie auf einer Beerdigung verwahrte.)
- Christen dürfen schwören, auch mit Blick auf die Bergpredigt, nicht, wenn es um persönliche Dinge geht, aber um den Staat. Der Eid, den ein Christ schwört, ist aber allein an Gottes Wort gebunden. Gegen Rosenberg, der meinte, dass Christen, die den Eid auf das deutsche Volk ablehnen, die Staatsbürgerrechte verlieren müssen.
- Kirche hat die Verantwortung für die Christen. Sie darf sie nicht allein lassen und das gilt auch für die Frage der Schule. Gegen Rosenberg, der meinte: „kein einziger deutscher Staatsmann (hat) das recht, die Erziehung der Jugend einer Kirche zu übergeben“, die Kirche hat die Aufgabe, im Dienst des Staates das nationalsozialistische Lebensgefühl und die germanischen Charakterwerte zu vermitteln. Warum? Diese Tatsache sei anzuerkennen, „daß nicht das Christentum uns Gesittung gebracht hat, sondern daß das Christentum seine dauernden Werte dem germanischen Charakter zu verdanken hat“. Dagegen Vogel: Gott hat den Eltern die Erziehung der Kinder übergeben. Eltern haben das Wächteramt über die Seelen der Kinder. Kirchen müssen das Gewissen der Eltern schärfen, sie haben die Kinder im Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes zu erziehen. Darin „findet der Anspruch des Staates auf die Erziehung der Kinder seine Grenze“. Das gilt auch für die Ausbildung der Lehrer. Untragbar ist es, wenn der Staat die Lehrer nach Maßstäben der neuen Religion aussucht.
- Kirche steht betend für Staat und Volk ein. Es ist aber fatal, wenn man meinte, Gott müsste dem Volk zu Diensten sein. Die Kirche in ihrem Wächteramt steht an der Grenze, zu warnen: Ein Übertreten dieser Grenze ist tödlich. Das prophetische Amt der Kirche lässt warnen: Gott lässt sich nicht Spotten (Galater 6,7).
Damit endet der Beitrag von 1935.
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