Gott in Gedichten (23): Hermann Hesse

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Hermann Hesse (1877-1962)

Hesse wuchs in einem streng christlichem Elternhaus auf – die Eltern waren in Indien Missionare – und versuchte auszubrechen. Als er dann ruhiger wurde, suchte der in sich zerrissene und einsame Mensch, der als Künstler am Abgrund leben wollte, mit diesem christlichen Hintergrund Halt und Weisheit vor allem in asiatischen Religionen. So modifizierte er den christlichen Glauben in seinem Sinn – und modifizierte Fragmente hinduistischer/buddhistischer Religiosität. Allerdings werden, wie unten zu sehen sein wird, in den Gedichten andere Intentionen deutlicher. Was seine Jugend betrifft: Auch hier hinterlassen die Gedichte einen anderen Eindruck als andere Schriften: Sehr häufig kommt die Mutter als positive Person vor, so zum Beispiel auch darum: „Daß ich keinen Gott mehr wisse, / Hast du schon vergeben mir“ („Gedächtnis der Mutter“; sehr schön auch formuliert in „Rückblick“). Zudem wird in vielen Gedichten an die Jugend als erfüllte Zeit zurückgedacht. Das sei gesagt, weil in Hesse-Darlegungen immer wieder ein anderer Eindruck entsteht.

Ich denke, dass Hesses Glaube an diesem Text besonders deutlich wird https://www.deutschelyrik.de/dass-gott-in-jedem-von-uns-lebt.html :

Dass Gott in jedem von uns lebt,
dass jeder Fleck Erde uns Heimat sei,
jeder Mensch uns verwandt und Bruder ist,
dass das Wissen um diese göttliche Einheit alle Trennung in Rassen,
Völker, in Reich und Arm, in Bekenntnisse und Parteien als Spuk und Täuschung entlarvt —
das ist der Punkt, auf den wir zurückkehren,
wenn furchtbare Not oder zarte Rührung unser Ohr geöffnet und
unser Herz wieder liebefähig gemacht hat.

(Dieser Text kursiert in einer visuellen Gedichtform gebracht, ist aber, soweit ich das sehe, kein Text, der von Hesse als Gedicht konzipiert wurde. Die folgenden Zitate stammen überwiegend aus: Hermann Hesse: Die Gedichte, hg.v. Volker Michels, Insel-Verlag Frankfurt am Main/Leipzig, 8. Auflage 2019)

Sehr häufig kommt Gott in Gedichten in traditioneller Form vor: Er spricht von den „Augen Gottes„, die er wieder sieht („Genesung„), von „Gottes Hand„, in der alles friedvoll ruht („Landschaft„) bzw. die schwer auf seiner Seele lastet („Der Ausgestoßene„), ob Gott durch Himmel oder Hölle führt „Beides ist mir einerlei, / wenn ich seine Hand nur spüre.“ („Beides gilt mir einerlei„). Gott wird besungen in den Farben, in dem Licht („Magie der Farben„), der Schmetterling hat `tiefen paradiesischen Gottesglanz´, so sah er das als Kind („Der Schmetterling„). In seinem Gedicht „Wunder der Liebe“ heißt es, dass der Mensch sich selbst verhasst sei, „Anklagend sich und Gott in frevelhafter Frage!“ Das Wunder der Liebe ist eine Gnade, wenn sie nicht wäre, hätten wir „Uns ganz verirrt ins teuflische Revier / Und Licht und Gott in uns vernichtet.“ Er protestiert dagegen, „als Mensch, Christ, Patriot und Protestant„, dass sich Menschen nicht an Gottes Regeln halten. In „Jeden Abend“ stellt er dar, wie man in guter christlicher Tradition sein Abendgebet spricht. Dieses Gedicht von 1912 steht im Kontrast zu dem von 1901, in dem er Gott Vorhaltungen macht, ihn allein gelassen zu haben; die Mutter habe ihn das Beten gelehrt, und schließt überraschend: „Und der ich mehr als dir zu danken habe.“ („Gebet„) Er macht also der Mutter nicht zum Vorwurf, ihn sinnlos beten gelehrt zu haben, sondern das Beten-Können verdankt er seiner Mutter, aber die Reaktion Gottes lässt ihn klagen. Zu einem Geburtstag schreibt er ganz klassisch: „Doch ist es Ziel und Hoffnung jedes Frommen, / In Gott einst stark zu werden und vollkommen.“ 1933 formuliert er in „Besinnung„: „Göttlich ist und ewig der Geist. / Ihm entgegen, dessen wir Bild und Werkzeug sind, / Führt unser Weg; unsre innerste Sehnsucht ist: / Werden wie ER, leuchten in Seinem Sinn.“ In dieser Aufnahme der Schöpfungsgeschichte wird auch deutlich, dass er die Tradition modifiziert, aber noch im Alter nicht in Kategorien asiatischer Religiosität denkt – obgleich er statt Gott auch vom „Weltgeist“ spricht.

Er schreibt im „Gebet“: „Laß mich verzweifeln, Gott, an mir, / Doch nicht an dir!“ Es endet: „Doch sterben kann ich nur in dir“ (https://www.deutschelyrik.de/gebet-1921.html). Auch sieht er, dass er einst an Gott geglaubt, „den ich dann verriet“ („Tempel„). Das muss man bedenken, auch wenn man den Text: „Der Einsame an Gott“ liest, und dort die Zeilen findet: „Dich auch und Deine launischen Wege / Liebt mein Herz, indem es Dich trotzend höhnt. / Ja, ich liebe Dich, Gott, und ich liebe / Heiß die verworrene Welt, die Du schlecht regierst.

In so manchem Gedicht reißt die Theodizee-Frage auf und das ist spannend zu sehen, dass atheistische Ansätze massiv mit der Theodizee-Frage zusammen hängen. Es ist keine Frage der Logik – es ist eine, in der Menschen ihren Glauben an Gott nicht mit dem Leiden zusammenbringen können. In dem Gedicht „Im Leide“ stellt Hesse angesichts einer Lawine die Frage: „Hat das Gott gewollt?„, angesichts eigenen Leidens: „Kommt das von Gottes Hand?“ und das Gedicht schließt: “ – Ach, Gott ist tot! / Und ich soll leben?“ Aber er sieht auch: „Seele, nimm das Zeichen an, / Bade dich im Weiten! / Gott wird deine dunkle Bahn / Noch zum Lichte leiten.“ („Auf einem nächtlichen Marsch„) In „Klage“ wird auch über Gott gesprochen: „Wir wissen nicht, wie Gott es meint“ – das heißt, die asiatische Religiosität eignet sich nicht in der Theodizee-Frage. Es wird ein Gegenüber benötigt, dem man klagt – das kann nicht das allgemeine Karma sein. Er leidet unter der Gottesferne: „Alles weilt und hat Bestand, / Ich allein mit meinen Schmerzen / Treibe fern von Gottes Herzen / Weiter ohne Sinn durchs Land.“ („Gang bei Nacht„)

Gott in sich finden, ist nicht selten in Gedichten Hesses – aber gleichzeitig geht Gott nicht in dem Ich von Hermann Hesse auf. Der Mensch wird nicht vergottet – das Göttliche lebt als Urgrund allen Lebens auch in der Seele des Menschen: die Seele „Welche Welt und Gott enthält“ und zwar Gott und Welt als Bild und Gleichnis („Weg nach innen„). Im „Gang im Spätherbst“ heißt es: „Gott lebt in mir, Gott stirbt in mir, Gott leidet / In meiner Brust, das ist mir Ziel genug. / Weg oder Irrweg, Blüte oder Frucht, / Ist alles eins, sind alles Namen nur.“ Dass dann allerdings Blüte und Frucht sich unterscheiden, sagt er: „Harte fallen Früchte vom Kastanienbaum / Und lachen hart und hell.“ Es wird deutlich: Die Idee: Alles ist eins; die Realität: Es unterscheidet sich doch. Hesse liebt die Idee, und so muss sich der Mensch bewusst der Einheit mit dem Göttlichen bewusst werden. Dieses Bewusstwerden wird in dem Gedicht „Stiller Tag“ deutlich. Zunächst heißt es: „So bitt ich Gott, daß ich mein welkes Leben / In seines Wesens Urlicht mag ergeben“ schließt dann aber an: „Und nie vergesse: mir auch wohnt er inne.“ Das heißt: Traditionell bittet er Gott – aber korrigiert sich, indem er sich wieder entsprechend in den Vordergrund stellt.

Weil der Mensch göttlich ist, strebt er danach, göttlich zu leben, das heißt: sozial, Schönheit wahrnehmen, heilig sein. Sozial klingt zu trocken – im Sinne von liebend, womit er sich in christlicher Nähe sieht. Damit, wie auch obige Texte anklingen lassen, steht er christlicher Mystik in manchen Punkten eigenständig nahe. Christus-Mystik ist allerdings nicht im Blick, auch wenn Christus für ihn groß war („Wir Hungrigen wollen nichts von dir, Christ, / Wir lieben dich bloß, weil du unser einer bist.“ [„Jesus und die Armen„].

Wie oben gesehen: Die Idee ist wesentlich. So transformiert er das Sterben der Natur insofern, dass er weiter führt: „Sei bereit zum Tod – und hingerissen / Wirst du eingehn zu erhöhtem Leben!“ („November„) – ob der buddhistische oder christliche Ansatz im Hintergrund steht, mag dahingestellt sein (das diesem Gedicht folgende „Alle Tode“ weist eher in die buddhistische Richtung). Deutlich wird biologisch: Die Natur im Herbst stirbt – sie blüht im Frühjahr wieder neu auf – nicht aber zu höherem Leben. Natur wiederholt sich, ist kaum als Prozess anzusehen. Anders in der Perspektive von Hesse. Dass der Tod nicht im buddhistischen oder christlichem Sinn eine Art Weiterleben mit sich bringt, kann er auch formulieren: „Zur Stille gehst du ein, / Den traumlos tiefen Schlaf zu tun.“ („Media in vita„)

Hesse als Dichter kann unterschiedliche Positionen in seinen Gedichten einnehmen – vielleicht auch abhängig von den augenblicklichen Lebensempfindungen, vom Alter. Er kann sich auch über Jenseitsvorstellungen lustig machen und schließt: „Ich bleibe aber lieber im Schatten, / Bleibe im Nichts und ungeboren / Und ungeschoren, im Jenseits verloren, / Da kann man über alle diese Sachen / Lachen, lachen, lachen, lachen.“ („Sterbelied des Dichters„) Allerdings: „Wir blühen und verblühen gern / In Gottes großen Garten.“ kann er auch sagen („Rückdenken„).

1919 schreibt er von sich als „verlorener Sohn“ („Seetal im Februar„) in Aufnahme des Gleichnisses Jesu, das erzählt, dass der Sohn sein Erbe ausbezahlt bekommen hat, sich vom Vater abgewendet hat, dann jedoch, als es ihm schlecht ging, wieder zum Vater zurückgekehrt ist. In dem Gedicht „An einem Grabe„, 1941, sieht er nach dem Leiden dieser Welt: „Dann wird, so glauben wir, das Gleichgewicht, / Der Wert und Sinn der Welt uns wieder tagen, / Es wird des Menschen Bildnis wieder licht / Und wird des Vaters ewige Züge tragen.“

Oben schrieb ich, dass Christus-Mystik nicht im Blick ist. In „Der Heiland“ (1940) lesen wir:

Immer wieder, auch in diesen Tagen,
Ist der Heiland unterwegs , zu segnen,
Unsern Ängsten, Tränen, Fragen, Klagen
Mit dem stillen Blicke zu begegnen,
Den wir doch nicht zu erwidern wagen,
Weil nur Kinderaugen ihn ertragen.

Es wird an Hesse deutlich, dass er erkennt, nicht an Gott zu glauben. Gleichzeitig flicht er Gott in vielen Gedichten, damit in viele Lebenszusammenhänge ein. Manchmal modifiziert er „Gott“, manchmal wendet er sich ganz traditionell zu ihm hin. Was das Leben nach dem Tod betrifft, ist er nicht festgelegt auf die christliche Tradition, aber sie prägt seine Erwartung stark. „Gott“ – er hilft Hesse, Grenzen zu sprengen, etwas in sich zu spüren, das größer ist als er, göttlich ist. Das Wort hilft ihm, mehr wahrzunehmen, nicht im Menschen-Gegebenen stecken zu bleiben, es hilft ihm auch bei der Klage. Auch hier: Der Mensch bleibt nicht im Vorfindlichen stecken, sondern sprengt diese Grenze.

Nun wäre es aus meiner Perspektive spannend, einmal andere Texte von Hesse zu sichten. Aber ich vermute, dieses begonnene Projekt „Gott in Gedichten“ wird noch eine ganze Weile meine Aufmerksamkeit erfordern.

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