Im Namen des Christentums und aus dem Christentum heraus wurden viele schlimme Taten verübt. Dem ist ohne Zweifel so. Und wir müssen das auch immer im Hinterkopf behalten, damit wir Christen nicht wieder in Versuchung kommen, unseren Glauben als Ideologie zu benutzen, der andere in die Hand bekommen will.
Zu diesen Taten gehören die Kreuzzüge, die Eroberungen in Südamerika (Kolonialismus), die Hexenverfolgungen und die Verfolgungen von andersglaubenden Christen (Inquisition), die Erniedrigungen und gar Tötungen von Juden, die Sklaverei.
Manche dieser Taten wurden – so schlimm diese Taten selbst waren – durch Gegner der Kirche benutzt um Propaganda gegen die Kirche zu treiben und dazu wurden sie auch massiv aufgebauscht – oder hatten direkt gar nichts mit den Kirchen zu tun. Das muss man verurteilen, weil auch das schlimm ist. Opfer dürfen nicht benutzt werden, um die eigene Meinung hervorzuheben.
Heute sind wir durch Forschung in der Lage, vieles richtig zu sehen: Was war schlimm, was wurde aufgebauscht (bleibt aber dennoch schlimm), wie verhielt es sich tatsächlich. Wir können erkennen, wie lange es dauert, bis die Erkenntnisse sich weiter herumsprechen. Forschung geht freilich weiter – und zu welchen Ergebnissen sie morgen kommt, weiß man selbstverständlich nicht vorher. Man sollte sich vor Geschichtsklitterung hüten. Geschichtsklitterer sind auch heute noch vielfach am Werk. Und: Wir sind heute in der Lage, diese Taten ohne Geschichtsklitterung in den Kontext der Zeit zu stellen – aber auch mit unserer Zeit zu vergleichen.
Was die Kreuzzüge betrifft, können wir inzwischen sehr genau erkennen, was war. Jeden einzelnen dieser Kreuzzüge können wir einordnen und sehen, dass die einfachen Einordnungen der Vergangenheit zu revidieren sind. Wenn davon die Rede ist, dass die Kreuzzugsfahrer im Blut der Feinde wateten bis zum Bauch der Pferde – dann sehen wir: Das gehörte in der Antike zum Topos, um zu zeigen, wie tapfer man war, wie ruhmreich – wie Schrecken erregend man ist. Und dass es keineswegs der Tatsachen entsprach (diesen Topos finden wir auch im Kontext der Eroberung Konstantinopels durch die Muslime und in alter griechischer und römischer Literatur). Wir können die politischen Intrigen und wirtschaftlichen, die sozialen Aspekte beachten… – und erkennen eben auch, warum die außenpolitisch wichtigen Taten religiös begründet wurden. Der Kreuzzug begann als Entlastung der Außengrenzen von Byzanz, die durch muslimische Heere ständig angegriffen wurden und zur Befreiung Mitteleuropas von unkontrollierbaren jungen Männern.
Wir können erkennen, dass die Sklaverei, die Hexenverfolgung, die Eroberungen in Südamerika in der Neuzeit geschahen, dass diese Handlungen nachträglich religiös legitimiert wurden, weil die Gier, die Machtgelüste, die nationale Überlegenheit legitimiert werden mussten. Gleichzeitig sehen wir jedoch, dass Christen mitgemacht haben, nicht nur das, sondern sich trotz jesuanischer Botschaft, auch nicht selten als treibende Kraft erwiesen. Und es gab auch immer Christen, die im Namen Jesu dagegen angegangen sind – aber dann selbst vernichtet wurden, weil eben der Name Jesus von Machtgierigen Gruppen usurpiert wurde.
Wir müssen jedoch in die Gegenwart gehen: Wie sehr ließen sich Christen vom Nationalsozialismus um den Finger wickeln, wie sehr haben sie dem Kommunismus die Hand gereicht – und es gibt noch Lebende unter uns, die das miterleben mussten bzw. als Täter und Verbreiter der Ideologie Schuld auf sich geladen haben. Nicht nur in Deutschland. Und manche geben sich immer noch diesen menschenverachtenden Ideologien hin.
Und heute? Wo laden wir Schuld auf uns, weil wir den Namen Jesu missbrauchen, weil wir christliche Legitimation für Untaten benötigen? Im Augenblick sieht es so aus, als benötige man den christlichen Glauben nicht mehr zur Legitimation von Untaten. Im Gegenteil: Man kämpft für Untaten, indem man die Untaten als positiv bezeichnet, weil sie gegen christliche Ethik angehen. Kommunisten und Nationalsozialisten haben sich auch nicht vom Christentum hergeleitet – aber in der Zukunft wird man die gegenwärtigen Untaten, so die aus der Gier des Kapitalismus heraus geschehenen, genauso den Christen in die Schuhe schieben, wie vergangene Taten den Christen in die Schuhe geschoben werden. Zumindest was den Nationalsozialismus betrifft, sehen manche Christen das Christentum als schuldig an. Man fühlt sich schuldig – muss aber bedenken, dass viele Strömungen – auch der Aufklärung – zur Ideologie des Nationalsozialismus führten. Und das haben schon hellsichtige Menschen 1930 erkannt.
Und wir Christen? Wir nehmen die Schuld auf uns. So ist es zum Beispiel auch interessant zu sehen, wie sehr manche darauf bestehen, dass Christen an der Verfolgung von Juden im so genannten Dritten Reich verantwortlich waren. Dazu wird Luthers Schrift herangezogen, die gegen die Juden gerichtet ist. Wir wissen heute, dass der Antijudaismus (die Erniedrigung und manchmal Pogrome gegen Juden aus christlichem Grund) sehr schlimm war – aber dass der Antisemitismus (die Vernichtung von Juden aus rassischen/rassistischen Gründen) eine Erscheinung der Moderne ist, nicht auf Luther zurückzuführen ist. Wir wissen auch, dass die Schrift Luthers gegen die Juden überhaupt nicht rezipiert wurde, somit nicht antijudaistisch wirken konnte, sondern erst durch Nationalsozialisten wieder ausgegraben wurde, um Christen über Luther zu Antisemiten zu machen. Das soll Luther nicht entschuldigen, soll auch die Christen im Nationalsozialismus nicht entschuldigen, zeigt aber, dass Christen historisch falsch liegen, wenn sie eine zu einfache Linie vom Antijudaismus zum Antisemitismus auf sich beziehen. Zudem wissen wir heute, dass die Judenbedrängnis nicht erst mit dem Christentum (Hass, weil Juden Jesus ermordet haben – so die gängige Erklärung) begonnen hat, sondern auch vorher im heidnischen Bereich schon da war. Man kann das historisch mit dem sich absondernden Verhalten von Juden interpretieren, theologisch aber auch so, dass Menschen es nicht ertragen, dass Gott sich ein Volk erwählt hat. Und dagegen gehen ja bis heute Menschen aus unterschiedlichsten Gründen an. Sie kämpfen gegen Juden – aber es ist ein Kampf gegen Gott. Und entsprechend ist auch Mohammeds Kampf gegen Juden einzuordnen: Sie nahmen seine religiösen Visionen nicht als von Gott gesandte Visionen an.
Kirchengeschichte ist spannend – wie Säkulargeschichte insgesamt. Einfache Herleitungen sind zu misstrauen. Und wenn wir aus der Geschichte etwas lernen, dann nicht nur aus den Ereignissen von 1933-1945. Wir sollten lernen zu differenzieren, zu hinterfragen, zu überprüfen, sich nicht irgendwelchen weltrettenden Ideologien in die Arme werfen, auch wenn sie in der jeweiligen Zeit noch so verlockend anzuschauen sind, die eigene Schuld wahrnehmen. Wir wissen ganz genau, wo heute in der Welt Menschenrechte mit Füßen getreten werden – und das massiver als im gesamten Mittelalter – und als Christen sollten wir äußerst wachsam sein und aktiv, im Namen und Geist Jesu Christi. Das meinte ich gestern damit: Christen haben die Aufgabe, das schlechte Gewissen einer Gesellschaft zu sein. Aber auch das nicht undifferenziert und pauschal, sondern aus verantwortetem Glauben heraus. Und verantworteter Glauben hat nichts mit Gesinnungsethik zu tun, sondern eben mit: Verantwortungsethik.
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