Darwin hat anhand der Natur beobachtet, dass sich die fitteste Art besonders gut anpasst und darum auch überlebt – wobei das freilich ohne das individuelle Tier nicht denkbar ist, das sich besser als andere Artgenossen anpassen kann. In dem Zeitalter des Sklavenhandels und des Kolonialismus hat das so sein rassistisches Geschmäckle: Die Weißen, die sich in der Welt ausbreiten, über Afrikaner, amerikanische Ureinwohner und Asiaten herrschen – sind eben die fitteste Art.
Dawkins hat dieses alte Darwin-Denken an unsere Zeit der Individuen angepasst: Er sieht, dass nicht die Art sich anpasst, um zu überleben, sondern das fitteste Individuum überlebt. Und das fitteste Individuum wird von seinen egoistischen Molekülen bestimmt. Der Körper ist eine Art Hülle für die nach Weiterverbreitung gierenden Gene/Moleküle. Und der Körper eines Individuums mit den fittesten und somit egoistischsten Genen/Molekülen wird sich durchsetzen: Du bist nichts, dein Gen ist alles.
(Wie steht Dawkins zur Monogamie? Laut Darwins Konkurrenten Wallace sind es nicht gerade die moralisch Höherstehenden, die überleben. Er hatte auch so seine Zweifel daran, dass es die Intelligenteren sind, sondern doch eher diejenigen, die ohne Rücksicht auf Verluste vorgehen. Und die sind dann natürlich auch diejenigen, die ihre Gene am weitesten versprühen können, die zumindest dazu keine moralischen Hemmungen haben.)
Das wird von Dawkins auf die Kultur übertragen. Im Hirn des fittesten Individuums regieren die egoistischen Meme. Sie werden nicht, wie im Körper die Gene, durch Spermien übertragen, sondern sie verankern sich in den imitierenden Hirnen. Und die fittesten egoistischsten Meme werden überleben, weil sie sich am besten durchsetzen.
Ist Dawkins Sozialdarwinist? Er hat Nähe zum Naturrecht (Natur schreibt vor, wie man sich zu verhalten hat, bzw. wie man sich verhält.) Naturrecht ist aber nicht notwendigerweise mit Sozialdarwinismus verbunden. Ich denke, es fehlt Dawkins etwas zum Sozialdarwinismus: die ideologisch brutale Ausschaltung des Minderwertigen bzw. die Höherzüchtung des Wertigen. Zum Sozialdarwinismus gehört auch eine sanftere Form: Staat und Kirchen sollen sich heraushalten – sie sollten die Menschen sich selbst überlassen, und dann würde sich schon zeigen, wer überlebt und wer (wie Nietzsche sagt) zugrunde geht. Zumindest kann ich es nicht eindeutig nachvollziehen, ob Dawkins sozialdarwinistisch denkt. Er denkt egoistisch/hedonistisch (Lust-Glück)/utilitaristisch (Nutzen). Das lässt diese Diskussion um seine Stellungnahme zur Abtreibung eines ungeborenen Menschen mit Down-Syndrom erkennen: „Wenn deine Moral, so wie meine, auf dem Wunsch begründet ist, die Summe an Glück zu vergrößern und das Leiden zu verringern, könnte die Entscheidung, absichtlich ein Down-Baby zur Welt zu bringen, obwohl die Möglichkeit einer Abtreibung in der frühen Schwangerschaft besteht, im Hinblick auf das Wohlergehen des Kindes sogar unmoralisch sein.“ Die Entscheidung, es abzutreiben sei moralisch und vernünftig. http://de.richarddawkins.net/articles/abtreibung-und-down-syndrom-eine-entschuldigung-dafur-dass-ich-die-hunde-des-twitterkrieges-entfesselt-habe Zumindest was ungeborene Behinderte betrifft ist es eine Ausschaltung dessen, der nicht erwünscht ist, der mein Glück zerstört (Peter Singer geht weiter) – denn nach der Geburt sollte es nicht getötet werden, so schrieb er: die Mutter wird sich verdammen, das Ungeborene nicht getötet zu haben, weil sie immer für es sorgen müsste. Zudem schreibt er – und das macht die Sache sehr verdächtig: „Wieder andere glaubten, ich würde der Eugenik das Wort reden, und verglichen mich deshalb mit Hitler. Dieser Gedanke kam mir niemals in den Sinn, und zwar aus gutem Grund: Das DownSyndrom ist so gut wie nicht erblich. Obwohl es sich um eine angeborene Behinderung handelt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Anfälligkeit für Trisomie genetisch vererbt wird, also äußerst gering.“ – Denn, so fragt sich der normale Mensch: Was ist, wenn es vererbbar wäre, würde er dann der Eugenik das Wort reden?
Dass in der Natur der Fitteste überlebt, ist überall zu sehen – und sei es der fitteste Angsthase, weil er am schnellsten der Gefahr entkommen kann. Nur wenn das als Maßstab für das Handeln der Menschen gelten soll, dann gerät das Denken in sozialdarwinistische Schieflage. Dawkins meint übrigens, dass Altruismus und Mitgefühl Fehlfunktionen, darwinistische Fehler, seien – aber er meint, sie seien kostbar, segensreich(!) und erfreuen uns.
Dawkins sieht sich zwar als Konsequentialist (vertritt eine Folgeethik) aber – so konsequent denkt er dann doch nicht immer, wie man am Vorangehenden vielfach sehen konnte.
Und was die Meme betrifft: Ob sich die atheistischen Dawkins-Meme durchsetzen werden, da habe ich so meine Zweifel – denn es ist ja, so Dawkins selbst, der Glaube, der sich wie ein Virus verbreitet. (Stellt Euch mal vor, irgend ein bekannter Christ würde schreiben, der Atheismus verbreite sich wie ein Virus! – Ein Aufschrei! Wörterbuch des Unmenschen und so. Dawkins darf das. Er ist ja schließlich Atheist.) Er versucht zwar alles Mögliche, die Meme durch atheistische Mission und durch ein dickes Buch, das sich inhaltlich-ideologisch nicht durchsetzen wird – zumindest bei denen, die Bescheid wissen, – zu verbreiten, aber die Fittesten werden die Atheisten nicht sein. Und er versucht auch durch ein kopflastiges Kinderbuch die Kinder vom Virus Glauben zu heilen, nun, das tut auch sein atheistischer Kollege Schmidt-Salomon weniger kopflastig. Welche Folgen das für Kinder hat, wenn sie diese bitteren Pillen schlucken – das zu wissen, entzieht sich mir. (Lassen wir Dawkins im Glauben, dass die Atheisten zumindest die Intelligentesten sind.) Und die atheistisch-kommunistischen Meme stehen stark unter Druck – auch in China verbreitet sich die christliche Religion massiv. Es sei denn, die chinesische Regierung wird wieder durch Mord und Totschlag zur Verbreitung der kommunistischen Meme beitragen – aber sie werden letztendlich nicht siegen. Wer steht zurzeit nicht unter Druck? Der Schwarm der intelligentesten Kapitalisten. Aber das ist ein anderes Thema. Oder doch nicht? Der stärkste Kapitalist wird überleben – und die anderen alle als dienstbare Sklaven unterordnen, in seine kapitalistische Struktur zwingen.
Man mag überall irgendwie Parallelen zur Natur sehen – aber ich denke, dass der Mensch doch auch anders ist. Das sieht man daran, dass er Verantwortung trägt und zur Rechenschaft gezogen werden wird. Von daher wird das christliche Prinzip ständig von allen Seiten angegriffen werden – aber das ist egal. Es hat seine Gesetze des Überlebens, die nicht in ihm begründet sind.
Aber unabhängig davon: Wer ist stärker? Das Individuum? Wir haben Beispiele für große Leader. Oder ist doch die Masse stärker? Wir haben auch dafür Beispiele. Sind Intelligente stärker als Kraftvolle? Natürlich. Sind Kraftvolle stärker als Intelligente? Natürlich. Sind Schwache und Nicht-Intelligente stärker als Kräftige und Intelligente? Wenn Christen im Hintergrund stehen natürlich. Ist eine Idee stärker als eine andere? Natürlich. Aber nur für eine kurze Zeit und dann kehrt sich wieder alles um. Werden die moralisch Verwahrlosten siegen oder die moralisch Guten? Mal die, mal jene.
Und so bin ich von Dawkins abgeschweift… Oder nicht?
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