Dass Deutschland kulturell flach blieb – stimmt das? Ich denke, auch das kann man sehen wie man will, wie es heute so schön heißt. Deutsche Kolonien hatten keinen so großen Einfluss auf die Literatur wie sie auf die britische und französische hatten. Das ist natürlich sehr zu bedauern. Wir hatten keine, die ihre Heldentaten in den Wüsten erlebten, die schwitzend im Urwald saßen und ihr Chinin getrunken haben, die liebreizende Frauen fremder Völker kennen lernten, ihre Liebe zu fremden Frauen ins herz träufelten – und das eben auch literarisch festgehalten haben. Und dann wollten wir auch: und es gab keine Wüste, keinen urwald, keine fremden Frauen. Niemand hat bei uns so schöne Geschichten geschrieben wie die von Mogli und uns auf diese Weise Indien vorgestellt. Aber immerhin, liebe Autorin des Artikels, wurden diese Bücher ins Deutsch übersetzt, so dass auch die trägen Deutschen ein wenig von dem Weltwissen der Kolonialherren mitbekommen konnten. http://www.cicero.de/berliner-republik/deutschland-liegt-am-meer/59569
Und weil wir so in uns gekehrt waren, kann man die ganze Sache weiterspinnen, nennen manche in Deutschland den einen großen Künstler, der alles auf den Kopf malte und Butter an die Wand kleckste. Man sieht: es fehlt uns das wunderbare Weltwissen auf ganzer Linie. Und statt Weltweite kamen die Grünen, die die deutsche Heimat wieder naturhaft halten wollten: Bäume durften nicht sterben, Vater Rhein musste wieder blau werden, die Luft über Deutschland muss rein bleiben, und an Kriegen wollten wir dann auch nicht mehr Teil haben. Wir haben nämlich die Kriege ins Land geholt, zumindest weitgehend im europäischen Umfeld bewahrt und nicht weltweit ins Ausland getragen. Mit wenigen Ausnahmen – aber die kann man angesichts des Kolonialismus anderer Länder vergessen. Und das hat uns natürlich kulturell furchtbar verarmen lassen.
Dann kamen die Touristen. Haben sie literarisch etwas gebracht? Nun, die größten kamen bis nach Italien: Goethe, Ingeborg Bachmann (oh, sorry, sie war Österreicherin)… und ein paar Maler reisten auch dahin. Aber all die anderen Touristen? Nichts.
Zum Glück kamen dann die Chinesen zu uns, sodass wir lernten, mit Essstäbchen zu essen. Curry kennen wir inzwischen auch und den brasilianischen Schnaps, den Cachaca – Dank des Welthandels. Statt dass aber die Deutschbrasilianer eine Deutsch-Brasilianische Kultur aus Brasilien nach Deutschland bringen, feiern sie in Brasilien das Oktoberfest. Ich bin auch Deutschbrasilianer – was habe ich der Deutschen Kultur an Brasilianischem mitgegeben? Schande über mich – nichts. Wie verarmt sind wir in Deutschland geblieben. Und so kann ich nur schamvoll hauchen: Jorge Amado, Jorge Amado! Und was machen die Deutschamerikaner? Ist da einer, der unsere Kultur bereichert hätte? Aber Amerikaner – die sind zu europäisch. Die zählen nicht, weil sie die indigene Bevölkerung fast ausgerottet haben. Uns ähnlich sind die Russen. Auch so träge. Immer noch die orthodoxen Gesänge statt das erfrischende Reggae.
Einer rettet uns! Einer! Humboldt – Humboldt sei Dank! Aber fremde Kultur hat dieser Herr uns auch nicht neu vermittelt. Wieder nichts. Und die Missionare? Sie haben eher deutsche Kultur ins Ausland gebracht, statt Völker-Kultur nach Deutschland. Wim Wenders drehte einen Film über Berlin! Texas ist zu europäisches, wie auch Herzog mit seinem Fitzcarraldo.
Aber geht es der Artikelschreiberin darum, dass Deutsche ausländische Kultur übernehmen? Nein, es sind Ausländer, die die deutsche Kultur bereichern, so hat Thomas Mann eine nichtdeutsche Mutter, Fatih Akin – der hat den deutschen Film revolutioniert!
Ach ja, und wir zugeknöpften deutschen Protestanten köcheln vor uns hin – Deutschland fixiert. Hätten wir doch auch einen Gaugin! Nein: Hätten wir doch einen Frédéric Bruly Bouabré oder einen Goto Jin oder einen Tammam Azzam.
Rettung naht! Das Einzige sind: Tänze! Und wir tanzen einen Tango…
Darf ich nun noch etwas Ketzerisches anfügen? Natürlich, mache ich doch gern: Das Christentum – ist ursprünglich nichts Deutsches – kommt aus dem Orient – und es hat die Deutschen geprägt, so sehr, dass sie kaum noch Deutsches kennen. Sie haben es dann dummerweise auch geprägt. Bei anderen Völkern nennen wir es Inkulturation und freuen uns riesig, dass andere Völker den christlichen Glauben rezipieren und integrieren. Aber damit haben es die Deutschen – vor allem die Lutheraner doch zu weit getrieben. Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum… – Stille Nacht… – oh, das ist auch österreichisch…
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Lange Rede kurzer Sinn: Dieser Ansatz des Artikels setzt der Betonung deutscher Kultur nur die Kreolosierung entgegen. Was Kultur betrifft, ist das falsch. Wenn ich Zeit habe, werde ich in den nächsten Tagen weiter darüber schreiben.
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