Durch die Beschäftigung mit den Geschwistern Scholl (Weiße Rose) bin ich auf das Buch gestoßen: Wladimir Solowjew: Kurze Erzählung vom Antichrist, erschienen 1900 kurz vorm Tod des Autors.
Die Scholls haben den „Antichrist“ auf Hitler bezogen. Er hat auch manches mit ihm gemeinsam, zum Beispiel ist auch er Veganer. Nun denn, das Buch ist spannend, weil man viele Bezüge herstellen kann.
Der Titel greift das Werk von Nietzsche auf (1888) – eine bessere Darstellung Nietzsches habe ich bislang nirgends gelesen. Er hielt viel von Christus – sah sich selbst aber als größer an – wandte sich darum gegen Christus. Und dieser Antichrist wird im Buch von Solowjew dann berühmter und berühmter.
An politischen Ereignissen: Die Japaner erobern Asien aus rassistischen Gründen: Die Weißen sollen entfernt werden (man bedenke 1900 geschrieben! und nicht 1946). Sie erobern auch Europa. Deutschland versucht sich zu wehren, hat aus dem Osten die Japaner/Chinesen und die von denen besiegten Russen gegen sich, wird gleichzeitig von den Franzosen angegangen, die sich mit den Japanern verbündet haben. Deutschland muss aufgeben. (Solowjew hat im Vorblick nicht „verstehen“ können, dass Deutschland mit Japan eine Achse bildete – und dass Deutschland diese Grausamkeiten verursacht hat – woraufhin sich die Alliierten-Mächte zusammentaten, um die Unmenschlichkeiten zu bekämpfen. Die Macht des Kommunismus hat er auch nicht wahrnehmen können. Allerdings: Er sah schon die Zeit nach dem Zaren, sah sie allerdings als liberale – und nicht als kommunistische Zeit in Russland an.) Dann wenden sich alle Mächte des Westens gegen die japanische Oberherrschaft, drängen diese zurück. Diese Einheit im Kampf führt zu einem vereinten Europa. Als die Mächtigen merken, dass die Einheit aufgrund von Einzelinteressen zu zerbrechen droht, wird ein Führer gesucht: der Antichrist. Er will allen Menschen Gutes, Kriege sind nicht mehr, weil er alle beherrscht, Armut gibt es nicht mehr, weil er allen Brot gibt, Tiere sind geschützt… Auch die USA folgt diesem. Allein die Christen sind ihm ein Dorn im Auge, weil sie Christus und nicht ihm folgen. Darum beruft er ein Ökumenisches Konzil ein. Er bringt einen großen Teil der Christen auf seine Seite (Priester, Theologen, Kardinäle, Laien…), weil er ihnen mit frommem Vokabular alles verspricht. Sie müssen nur anerkennen, dass er der Herr ist. Und ihn bejubelnd laufen viele der Christen zu diesem Friedensstifter und seinem Wundertäter (der alle Religionen in sich vereinigt) über. (Was die Deutschen Christen mit Hitler machten – bzw. Hitler mit den DC. Eine Haltung, vor der Christen auch in Zukunft nicht gefeit sind.) Auf dem Konzil widersteht jedoch der Papst dem Ansinnen des Antichristen, ebenso der Orthodoxe Leiter und der deutsche protestantische Theologe – nur noch umgeben von einem kleinen Häufchen Gleichgesinnter. Alles will ich hier nicht erzählen. Was Juden betrifft: Sie sind auf der Seite des Antichristen, wenden sich dann aber massiv gegen ihn, der dann mit heidnischen Heeren gegen die Juden in Israel zieht. (Israel wird von dem Autor schon 1900 als Land der Juden angesehen.) Ebenso begegnet uns die Frau mit den 12 Sternen aus der Apokalypse des Johannes – die Europaflagge (nur in anderem als uns bekanntem Kontext. Diese Frau [Maria als Himmelskönigin mit dem Kind] wird von Solowjew nicht als die Flagge der EU erwähnt, sondern sie geht den letzten Christen voran.).
Das ist wirklich ein erschreckend erstaunliches Buch. Vor allem auch: Er zitiert laut Anmerkungen aus einem Buch von Nietzsche, das dieser noch gar nicht veröffentlicht hatte.
Nachtrag: Zu dem Buch: https://www.hfph.de/hochschule/lehrende/prof-dr-peter-ehlen-sj/solowjow/ehlen_solowjow_krieg_fortschritt_weltgeschichte.pdf