Bergpredigt Matthäus 6
1 Regel: Nicht heucheln beim Spenden
Es geht in den folgenden Texten erst einmal um Fragen des religiösen Handelns – um die Spende – um das beten – um das Fasten. Man soll aufpassen, dass man sein frommes Handeln nicht zur Schau stellt. Da mag man nun Mt 5,13ff. im Blick haben und fragen: Wurde dort nicht das Gegenteil gesagt? Nein: Denn hier geht es darum, dass man sich und seine Frömmigkeit zur Schau stellt, das heißt, damit man selbst Ruhm und Ansehen erwirbt. Aber den Menschen, die Jesus nachfolgen, soll es nicht darum gehen selbst Ansehen zu bekommen, sondern so zu handeln, dass Gott gelobt wird. Diese Differenz muss man auch im Tun Jesu beachten. Es kann hier nicht vertieft werden, aber Jesus versucht nicht aufgrund seiner Wunder die Menschen zu „überzeugen“, sondern aufgrund seiner Worte. Das so genannte Schweigegebot, das Messias-Geheimnis – das wird in der Forschung intensiv diskutiert – aber ich möchte zur Bergpredigt zurückkehren.
Der erste Abschnitt handelt davon, dass man nicht spendet, damit alle Leute es sehen und man darum geehrt wird. Er wendet sich also gegen das, was wir auch heute vielfach finden: Wer spendet posaunt es in die Welt hinaus, damit man sieht: Wow, so sozial engagiert – und vielleicht gibt es dann auch neue Kunden. Wir hören hier, dass man das nicht tun solle. Im Gegenteil: Die linke Hand soll nicht wissen, was die rechte Hand tut.
Wir hatten schon häufiger das Thema „Übertreibung“. Auch hier übertreibt Jesus. Man mag ihm zurufen: Ei, Jesus, was soll das denn? Hast du denn keine Ahnung vom Menschen? Nun denn, dass kann man Jesus sicher kaum vorwerfen, dass er nicht wüsste, dass die linke nicht immer weiß, was die rechte tut. Aber warum sagt er das? Vermutlich auch hier aus rhetorischen Gründen: Das bleibt durch den Widerspruch, den man empfindet, im Kopf hängen! Alles andere geht ins eine Ohr rein und durchs andere wieder raus, wie man sagt – was ja biologisch auch nicht geht. Aber so etwas bleibt hängen.
Jesus bezeichnet die Menschen, die ihre Spenden hinausposaunen als Heuchler. Warum als Heuchler? Weil sie nicht geben aus reiner Gesinnung, sondern darum, weil sie damit Ansehen verbinden. Aber dann folgt eine Aussage, die auch Heuchelei sein kann: Man soll nicht geben, damit die Menschen einen sehen – sondern damit Gott einen sieht und ihm dann auch Gutes tut? Ist das reine Gesinnung? Vermutlich will Jesus damit nicht sagen, dass man gibt, damit Gott einem Gutes gibt, sondern dass man gibt, weil man sowieso Gutes geben möchte – und Gott sieht es. Aber wie dem auch sei: Deutlich wird wieder etwas: Jesus will Ehrlichkeit und nicht Heuchelei unter den Menschen. Wie das Verhältnis zu Gott aussieht, bleibt sowieso Geheimsache – aber unter Menschen soll es ungeheuchelt zugehen. Wenn einer vor Gott heuchelt, dann hat das sowieso keine Chancen, weil Gott ja das Herz sieht. Aber Menschen können nicht unterscheiden zwischen Heuchelei und reiner Gesinnung.
Eine Frage bleibt noch: Sollen Menschen nicht heucheln – sie tun doch damit etwas Gutes! Einer würde nichts geben, wenn er davon keinen Nutzen hat – gibt aber, damit er selbst und andere Nutzen hat. Ist das so schlecht? Diese Antwort sollte sich jeder und jede selbst geben.
2. Nicht heucheln beim Beten
Nach dem Almosengeben folgt das Thema Gebet in drei Abschnitten.
(a) Man solle nicht beten wie die Heuchler, um als besonders fromm zu erscheinen in der Öffentlichkeit – also das zuvor angesprochene Thema wird weitergeführt. Und auch hier: Soll man nicht öffentlich beten, um Menschen dazu zu animieren, auch öffentlich zu beten, damit dann das Gebet eine allgemeinere Akzeptanz bekommt, ein natürlicher Ausdruck einer Gesellschaft? Auch das möge jede und jeder für sich beantworten.
Deutlich wird aber noch etwas: Man betete in der Antike überwiegend laut, denn die Götter haben Ohren und können nicht ins Herz sehen. Aber Jesus sagt, dass Gott hört – und zwar auch im Häuschen, das man bewohnt. Nicht nur am Tempel, nicht nur, wenn man laut spricht usw. Gebet ist etwas zwischen mir und Gott – an jedem Ort – ein Herzensgebet. Also das leise Gebet – nicht für menschliche Ohren bestimmt, sondern nur für Gott.
Man solle aber nicht nur nicht öffentlich beten, sondern auch nicht viel herumreden. Gott weiß ja, was man benötigt. Also nicht versuchen, Gott durch Geplapper rumzukriegen usw. Aber warum dann überhaupt beten? Gott möchte, dass man mit ihm spricht, sich ihm auch verbal zuwendet. Das Gebet ist für Jesus wichtig. Aber eben: Richtig beten, aus einer guten Beziehung zu Gott. Was hier freilich auch nicht vertieft dargelegt werden kann. Als Beispiel für ein kurzes Gebet wird von Matthäus das Vaterunser angefügt:
(b) Es folgt das Vaterunser. Über dieses Gebet gibt es Bände – und man selbst könnte Bände schreiben. Ich beherrsche mich.
Matthäus hat das Vaterunser ins Zentrum seiner Bergpredigt gestellt. Es stammt von Jesus – aber zu beachten ist, dass wir im Lukasevangelium eine etwas andere Form haben. In der Version des Lukas fehlt unter anderem: Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden und erlöse uns von dem Bösen (Lukas 11,2-4). Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass Jesus es häufiger auch in Variationen gesprochen hat. Aber diese Diskussion soll jetzt nicht geführt werden. Das Gebet als solches ist schon spannend genug. Ich lege es mit Blick auf die Bergpredigt aus – nicht isoliert von ihr.
Vater = Abba = Väterchen. Auch wenn Gott als „Väterchen“ angeredet wird, so bedeutet das nicht, dass er in der Hand des Menschen ist, sondern er ist und bleibt dem Menschen entzogen (im Himmel) und der Mensch ordnet sich ihm in Demut unter, indem er Gott heiligt, das heißt: ihn nicht profanisiert, missbraucht. Gott möge seine Herrschaft aufrichten – eine zentrale Botschaft Jesu – aber bis Gott das vollbringt, soll der Mensch entsprechend handeln – also Gottes Willen tun und die Bitte spricht aus, dass Gott seinen Willen auf der Erde durchsetzen möge. Damit verbunden ist: Gott setzt seinen Willen noch nicht durch. Menschen wüten, leiden, zerstören. Wenn Gott seinen Willen durchsetzen würde, würde es nicht nötig sein, die leidenden Menschen selig zu preisen, die Erniedrigten in den Fokus zu rücken. Mit dieser dringend Bitte, sein reich aufzurichten und seinen Willen durchzusetzen ist noch etwas verbunden: Menschen, die Gott ehrlich darum bitten, werden alles dazu tun, den Willen Gottes schon umzusetzen. Dazu gehört eben auch das zu tun, was in den Antithesen formuliert wurde und nicht zu heucheln. In der nächsten bitte geht es um körperliche Belange: darum, dass Gott einen nicht hungern lassen möge (ich fasse die Bitte eher eng). Wenn ich in der Gemeinde das Gebet spreche, dann weiß ich: Wenn ich Brot habe, teile ich es mit dem, der kein Brot hat. Die daran anschließende Bitte geht es um seelische Belange: Gott möge mir die Schuld vergeben – denn Schuld, die einem bewusst wird, fesselt, hindert freies Wirken. Und wer wird sich angesichts der Antithesen nicht großer Schuld bewusst (Beschimpfung, Erniedrigung…) – bzw. um soziale Belange: Wir vergeben allen, die an uns schuldig wurden. Das heißt: ich fessele auch andere nicht an ihrer Schuld und sage: Du hast mich aber beschimpft! (siehe zur ersten Antithese.) Indem ich in der Gemeinde mit anderen das Gebet spreche, weiß ich, dass mir auch von den anderen vergeben wurde. Wir neu anfangen können. Das Thema „Vergebung“ ist für Jesus sehr wichtig – und es begegnet gleich noch einmal. Dieser Bitte folgt die sehr schwer zu verstehende. Und führe uns nicht in Versuchung – sondern erlöse uns von dem Bösen. Wie versteht Matthäus evtl. die Bitte? Ich sagte, dass das Vaterunser die Mitte der Bergpredigt darstellt. Die Bitte: dein Wille geschehe usw. korrespondiert mit den Antithesen, die Bitte um das Brot wird von Matthäus mit dem noch zu besprechenden Abschnitt 6,19-34 erläutert, vergib uns unsere Schuld… korrespondiert mit 7,1-5 und führe uns nicht in Versuchung korrespondiert mit: dem Text, der von der Entweihung des Heiligen spricht, 7,6: man solle das Heilige nicht den Säuen vorwerfen – was so verstanden werden kann: Verrate die gute Botschaft Jesu nicht in der Verfolgung (vgl. Mt 5,12-14) – Gott bewahrt mich vor der Versuchung; vor allem aber, es ist ja ein Gemeindegebet: Ich verrate die Gemeinde nicht in der Verfolgung – eben: Gott bewahrt mich vor der Versuchung. Sondern rette uns vor dem Bösen – korrespondiert mit: 7,7-11, das heißt: Erlösung vom Bösen dadurch, dass man Gott sucht – Gott sich finden lässt, die Tür zu sich öffnet. Suchen bedeutet: Hinwendung zu Gott, Abwendung vom Bösen. Vielleicht hat Matthäus das alles so verstanden. Aber wie hat es Jesus verstanden? Das bleibt offen. Ich denke an das Buch Hiob, das Jesus auch bekannt war: Der Satan bittet Gott, Hiob versuchen zu dürfen, zu schauen, ob Hiob Gott auch treu bleibt, wenn es ihm schlecht geht. Gott ermöglicht es dem Satan – und der zieht alle Register. Gott möge uns Menschen das ersparen. Hiob hat durchgehalten, klagend und in einer äußerst heftigen Form Gott – nicht den Satan – anklagend. Gott gibt Hiob Recht. Aber als Mensch möchte man doch von solchen Erfahrungen verschont bleiben.
Wir stoßen hier aber wieder auf ein Problem, das wir schon einmal hatten: Jesus übertreibt, er sagt etwas, das man nicht versteht, über das man nachdenken muss. Und durch das Nachdenken erarbeitet man sich eine Lösung (vgl. Gleichnis vom verlorenen Sohn).
Das Vaterunser zusammengefasst: Es zeigt uns einen Jesus, der in einer außerordentlichen Beziehung zu Gott steht (Väterchen), der den Nachfolgern ein Gebet lehrt, das sie in diese außerordentliche Beziehung hinein nimmt. Es entspricht seiner Reich Gottes Botschaft: Gott möge seine gute Herrschaft herbeiführen – aber ich als Beter werde schon jetzt entsprechend wirken, Gott möge den Menschen, die das tun, mit Brot versorgen – weil sie teilen (Körper), möge durch Schuldvergebung befreien (Seele) – ich weiß: er befreit mich und kitte im Sprechen das soziale Verhältnis (wie auch wir vergeben). Zudem möge er den Beter nicht in eine so schwere Zeit hineinführen, in der die Gefahr besteht, Gott / die Botschaft Jesu bzw. der Gemeinde untreu zu werden. Und ich weiß, er führt mich nicht in Versuchung, er stärkt mich. (Vielleicht ist das so zu verstehen, wie eben gesagt.) Gott erlöst mich von dem Bösen – was auch immer das für mich heißt.
Spannend ist: Dieser kurze zusammenfassende Absatz zum Vaterunser ist länger als das Vaterunser selbst. Wer es betet – ernsthaft betet – benötigt solche Erklärungen nicht. Es ist aus der Beziehung zu Gott selbstredend.
Übrigens: Wenn alle das gleiche Gebet sprechen, kann man sich damit nicht in der Öffentlichkeit beweisen – es sei denn, man spricht es prahlerisch laut.
Das Gebet schließt sehr abrupt. Mit der Bitte um Erlösung vor dem Bösen. Wie kommt es, dass es so abrupt endet? Wir wissen es nicht mehr. Ist etwas weggefallen? Hat Jesus eine Lehre angeschlossen? Das bleibt im Dunkeln. Dass sie sehr abrupt endet, hat man dann später so empfunden und dem noch die traditionell klingende Bitte angefügt: Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
(c) Matthäus fügt dem Gebet noch eine harte Lehre zum Thema Vergebung an, die er aus dem Markusevangelium (11,25f.) entnommen hat. Matthäus 18,21ff. betont noch einmal das Thema.
3 Nicht heucheln beim Fasten
Als dritter Text folgt dann die Ermahnung, dass man beim Fasten nicht heucheln solle – also auch hier: Man solle sich der Öffentlichkeit nicht als besonders fromm präsentieren, indem man sich zum Fasten herausputzt. Man solle Selbsterniedrigungsriten nicht durchführen, um sie allen zu zeigen. Im Gegenteil: Man soll frei und offen den Menschen begegnen. Auch eine Zumutung, die uns heute kaum mehr so bewusst ist, weil wir diese alten wichtigen Fastenregeln nicht mehr ausüben. Die Zumutung besteht darin, dass man sich, statt durch Fastenriten, in denen man sich zerlumpt und verdreckt, erniedrigt – wäscht und sauber strahlt. Vielleicht vergleichbar: Statt schwarze Trauerkleidung anzuziehen, wenn ein nahe stehender Mensch gestorben ist, sich weiß kleiden und feiern.
Aber auch hier die Frage: Aber was ist, wenn dem Fastenden wirklich sehr traurig zumute ist? Wenn er wirklich zeigen möchte: Meine Schuld, meine große, große Schuld… Auch das möge jede und jeder für sich selbst beantworten.
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Ich verweigere keine Antwort, wenn ich das drei Mal formuliert habe: Das möge jede und jeder für sich selbst beantworten. Es soll zeigen: Jesus meint, wir sind für unseren Glauben selbst verantwortlich – darum die Umkehr, die kann man nur als Individuum vollziehen – Heuchelei hat darin keinen Platz. Was letztlich dann wirklich Heuchelei ist, das wird jeder selbst erkennen. Man kann ja auch vor Stolz platzen, wenn man gespendet hat – weil man eben nichts sagt, wenn man leise gebetet hat – aber stolz darauf ist, es anderen verheimlicht zu haben, wenn man fastet – aber seine Traurigkeit verstellt und stattdessen eben stolz lacht.
Jesu Worte sind eine herausfordendernde Zumutung. Und damit stehen die Texte der Bergpredigt nicht allein – das ist also auf Jesus zurückzuführen, ob nun jedes einzelne Wort von ihm gesprochen wurde oder nicht, ist wissenschaftlich relevant, aber die Antwort ist nicht so dringend. Dringend ist eher: Wie begegne ich den Herausforderungen? Spenden – beten – fasten – grundsätzlicher: Heuchelei? Wer bin ich? Als wer zeige ich mich?
Die Herausforderungen werden heftig weitergehen. Wann ich zu weiteren Darlegungen der Bergpredigt komme, weiß ich noch nicht.
https://www.wolfgangfenske.de/impressum-datenschutz.html und www.blumenwieserich.tumblr.com