Emotionale Menschen contra sachliche Menschen

Ein Arzt muss manchmal einem Menschen wehtun, um ihm zu helfen – er muss ganz cool bleiben – wenn er sehr mitleiden würde, müsste er die Hilfe unterlassen. Ein Polizist muss sein Mitleid überwinden, wenn es darum geht, einen Kriminellen zu stellen. Ein Lehrer muss sein Mitgefühl mit einem Schüler, dem er schlechte Noten geben muss, unterdrücken, denn alles andere würde dem Schüler nicht wirklich helfen. Man könnte diese Reihe noch endlos lang fortsetzen: Menschen, die Helfen zum Beruf haben, können nicht vor lauter Mitleid zerfließen, sondern müssen sachlich bleiben, einen klaren Kopf behalten, Menschen, die zum Nutzen anderer arbeiten, müssen manchmal ihre Emotionen zurückstellen.

Wenn Nichtfachleute hinzukommen, dann mögen sie den Arzt als Unmensch bezeichnen, gegen die Polizisten, die den Kriminellen dingfest machen, kämpfen, die Lehrer als kalt und gemein hinstellen. Und das passiert ja nicht selten, zumindest bei Polizisten und auch bei Lehrern. Ärzte arbeiten in einem geschlossenen Raum, in dem andere nicht Zutritt haben, sie sind somit besser vor den gefühlvollen Laien geschützt.

Aber nicht nur auf diesen Gebieten gibt es Fachleute, gibt es Menschen, die ganz sachlich analysieren, sondern auch soziologisch, gesellschaftspolitisch, soziopsychologisch. Da kann man die IS, die Nationalsozialisten, die Kommunisten ganz sachlich analysieren: Wie kam es dazu, was machen sie, woher kennen wir Vergleichbares, was unterscheidet sie usw. Die Brutalitäten muss man nicht emotional verbalisierend hervorheben – man benennt, vergleicht, klassifiziert. Laien mögen voll empört sein: Diese Brutalitäten, man muss dagegen wenigstens emotional sprachlich vorgehen, man muss sie emotional fertig machen, man muss ganz schlimme Bilder zeigen – und wenn sie nicht vorliegen, muss man welche manipulieren! – um andere mit möglichst viel Emotion überzeugen, dass das ganz schlimm ist! Natürlich ist das ganz schlimm, was die machen, mit einzelnen Menschen und auch mit ganzen Gesellschaften – aber das Schlimme muss auch sachlich untersucht werden, damit man versteht und möglichst für die Zukunft warnen kann. Das geschieht mit allem: In unserer Zeit sind es in der westlichen Welt (zumindest USA und Deutschland) vor allem das Thema Trump und AfD, Wilders, Le Pen, Wirtschaftsverträge, Anbau von Genpflanzen usw., Umgang mit Tieren… Eben auch diese Themen können vollkommen emotional das Hirn von Menschen bestimmen. Sie werden quasi Opfer dieser Themen, weil sie mit Ängsten und sehr vielen Gedanken daran hängen. Das mag ja alles schlimm sein oder werden… Aber auch hier gibt es Fachleute, die sachlich und kühl analysieren. Was geht vor, warum geht es vor, was kann man an Strömungen erkennnen, an gesellschaftspolitischen Konflikten, die sich lange aufgestaut haben, wie kann alles kanalisiert werden, damit die Gesellschaften nicht zersprengt werden… – das geht alles ganz sachlich, wie beim Arzt, Polizisten, Lehrer, ohne dass man da emotional vollkommen zerfließen muss. In anderen Ländern interessieren diese Themen, die in unserem Land (das manche Emotionalisierte für den Mittelpunkt der Welt halten) überhaupt nicht. Sie haben Probleme mit moderner Sklaverei, mit Epidemien, mit Hunger und Dürre, mit Ausbeutung des Landes durch westliche Firmen, mit korrupten Regierungen und Beamten… – also mit etwas, was in unserem Land kaum jemand aufregt, obgleich es äußerst schlimm ist, so schlimm, dass wir lieber nichts davon wissen wollen, um noch schlafen zu können.

Und das verstehen manche eben nicht. Auch, was meine Person betrifft: Ich bin von Mormonen schon für einen der ihren gehalten worden, weil ich sachlich mit ihnen redete. Ich bin gerne von Zeugen Jehovas besucht worden, nicht, weil sie dachten, ich würde bald konvertieren, sondern weil ich sie sachlich verstanden habe. Ebenso hielt man mich für einen Muslim, weil ich den Koran und den Islam ganz sachlich, freundlich darstellte, ohne irgendwelche emotionale Aufwallungen. Als religiöser Mensch kann ich sehr vieles, was Muslime betrifft, auch verstehen – weil ich eben auch das Christentum analysiert habe, erkenne ich Parallelen, Differenzen… Aber nicht nur Religiöse kann ich verstehen, sondern auch Atheisten – warum? Weil ich eben als Mensch sachlich auch andere Menschen analysiere, verstehe… Das geht alles – wenn man eben in der Lage ist zu abstrahieren, zu analysieren, cool zu diskutieren (obgleich cooles diskutieren nicht so meine Art ist – cooles schreiben eher). Das kapieren manche nicht. Sie sind voller Emotion: Du verrätst das Christentum, wenn du mit Mormonen, Zeugen Jehovas, Muslimen sprichst. Du verrätst die freie Gesellschaft, wenn du Trump und die AfD sachlich angehst – sie gar gegen emotionale undemokratische Auswüchse verteidigst! (Es sei nur angemerkt, dass es auch Fachleute gibt, die nicht ruhig und sachlich bleiben, sondern ideologisch, emotional, unsachlich… – aber auch das gehört zum Menschsein dazu.)

Sachliche Argumentation ist nicht jedermanns Ding. Ich war einmal dabei, als eine Zuhörerschaft vor lauter Emotionen einen Professor auf einem lokalen Kirchentag fast fertig gemacht hat, weil er sachlich blieb und sauber argumentierte.

Eine Gesellschaft lebt von emotionalen Leuten und von sachlichen Leuten. Beide müssen einander den Raum lassen. Emotionale Leute müssen daran erinnert werden, dass sie die Menschenrechte achten und sachlich, demokratisch bleiben, sachliche Leute müssen daran erinnert werden, dass sie menschlich bleiben und nicht vor lauter Sachlichkeit unmenschlich.

Aber: Wir müssen einander Raum lassen. Das fällt vor allem emotional geprägten Leuten sehr schwer. Das vor allem auch darum, weil sie nicht immer in der Lage sind, argumentativ die Lage zu erfassen und darum auch aggressiv gegen sachlich Argumentierende reagieren: Der Fachmann fühlt sich wohl als etwas Besseres! Nein, er fühlt sich nicht als etwas Besseres: Er hat nur einen anderen Blickwinkel.

Impressum http://www.wolfgangfenske.de/

KategorienAllgemein

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert