Die alten Wissenschaftler hatten das bestreben, den Spuren Gottes in der Natur zu folgen. Sie staunten über das, was Gott gemacht hat, was er wunderbar gemacht hat – und nun gilt es für den Menschen, dieses Wunderbare zu entschlüsseln, dem nachzuforschen, denn Gott hat uns Menschen ja den Verstand gegeben, um seine Wunder verstehen zu können. Warum hat sich die Wissenschaft gerade in unserem jüdisch-christlichen-platonisch/aristotelischen Kulturkreis so massiv entwickelt und nicht in China, Indien oder Afrika, oder bei den Natives in Amerika? Das ist die große Frage, deutlich aber wird, dass die jüdisch-christliche Tradition – auch in ihrer Rezeption griechischer Philosophie – dazu beigetragen hat. Eben: Man suchte die Spur Gottes in der Schöpfung. Die Schöpfung war eben Schöpfung und nicht mehr göttliches Tabu. Ein Berg ist ein Berg und kein Sitz der Götter, sondern Gottes gute Schöpfung.
Dann begann die Zeit, in der man sich von dieser Tradition zu lösen suchte – bis hin zu dem Extrem des Materialismus (alles ist Materie – auch der Verstand) bzw. des ihm verwandten Positivismus (alle Materie – und anderes gibt es nicht – läuft mechanistisch ab): Gott? Nein. Nur was Beweisbar ist, zählt, das, was unsere Sinne wahrnehmen. Und Gott ist nicht zu sehen, nicht zu hören, nicht zu fühlen usw. Gott ist keine Materie. Daraus schließt man also nicht: Weil Gott Schöpfer ist, steht er außerhalb der Materie, sondern man schließt daraus: Gott ist keine Materie – also gibt es ihn nicht. Da gibt es nun ein Problem. Das Problem ist die Sprache. Unsere Sprache ist nämlich nicht materialistischen / positivistischen Ursprungs. In der nicht-materialistisch/positivistischen Welt macht der Satz: “Gott handelt in Jesus Christus” Sinn – aber positivistisch gesehen, ist das ein sinnloser Satz, da Gott eben nicht mit den Sinnen beweisbar ist. Sinn machen nur Sätze wie: Alle Rosen sind rot. Und wenn die Sinne erkennen, dass nicht alle Rosen rot sind, dann muss man einen sinnvollen Satz daraus bilden: Viele Rosen sind rot, wenn man nämlich gezählt hat und das “viele” begründen kann. Aber solche Aussagen wie Morgen regnet es – sind auch sinnlos. Denn das kann man nicht beweisen. Zudem, wenn es Morgen ist und es regnet, dann macht der Satz ja noch immer keinen Sinn, weil “Morgen” nicht mehr Morgen ist – sondern wenn der Regen gespürt wird: Heute.
Und so kam man nicht umhin, den Positivismus selbst als nicht ganz sinnvoll anzusehen. Er hatte gute Wirkungen. So ist die intensive Quellenarbeit in der Geschichtswissenschaft auch auf ihn zurückzuführen – wenn auch nicht auf ihn allein. Oder: Im Recht beruft man sich nicht auf Gott beim Urteilsspruch, sondern auf Fakten. In der Soziologie verdankt man dem Positivismus/Empirismus die Statistik, von der man noch ausgegangen ist, dass man sie ganz neutral erstellen und interpretieren kann. Und außerdem ist natürlich auch in der Naturwissenschaft der Grund nicht mehr haltbar, der sagt, man wolle Gottes Spuren folgen, denn das ist auch, wie gesehen, für Positivisten ein sinnloser Satz. Wie der dem Positivismus vorangegangene Idealismus ist er nur ein philosophischer Versuch, Welt zu erklären. Ein Versuch – nicht die ganze Antwort, auch wenn sich manche Vertreter als diejenigen gebärdeten, die die Weltweisheit mit Löffeln gefressen hat. (Auch ein sinnloser Satz!)
Gibt es eigentlich noch einen reinen Positivisten? Wohl kaum. Denn inzwischen weiß man, dass der Wissenschaftler als Individuum immer die reine Objektivität stört – spätestens bei der Interpretation. Zudem ist das Leben vielfältiger, als dass es in der Lage ist, nur sinnvolle Sätze im Sinne des Positivismus zu äußern. “Ich liebe dich!” – genauso ein sinnloser Satz wie: “Gott liebt dich!” Zwar gibt es ein Ich – aber Liebe gibt es nicht. Es sei denn, wir ersetzen diesen Begriff durch nachweisbare Hormonschübe. Statt ich liebe Dich also: Meine Hormone treiben mich zu einem Menschen – und da du nun mal gerade da bist zu dir! (Das muss man freilich noch stärker wissenschaftlich bewiesen verdeutlichen: Warum gerade zu dir? Weil du einen mir nicht bewusst wahrnehmbaren Paarungsbereiten Duft ausströmst.) Was für eine positivistisch-romantische Liebeserklärung! ist Liebe reiner Hormonschub? Das wäre ein anderes Thema.
Apropos “Positivismus”. Den Namen leitete einer der Begründer, Comte, durch einen Raub ab. Er klaute diesen mittelalterlichen Dreiklang: Zeitalter des Vaters (AT) – Zeitalter des Sohnes (NT und Mittelalter) – Zeitalter des Heiligen Geistes (die wunderschöne Zukunft). Diesen Dreiklang hat er umgeprägt: das theologische Zeitalter das metaphysische und dann das positive (atheistische) Zeitalter. Das Dritte Reich hat auch von diesem Dreiklang seine Bezeichnung geklaut und sah mit sich diese glorreiche Zukunft erfüllt.
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