Vergeben – ist das Gegenteil von Rache ausüben. Ich löse den anderen von dem, was er mir angetan hat – ich versichere ihm, dass er von meiner Seite aus keine Rache befürchten muss.
Ich löse den anderen von seiner üblen Tat – und ich befreie mich davon, dass ich immer um Rache kreisen muss, ich werde frei.
Jesus vergibt laut Lukasevangelium den Menschen, die ihn hinrichten – und bittet Gott darum, ihnen zu vergeben, denn sie wissen nicht was sie tun. Er löst sie aus dem Zorn Gottes heraus.
Vergeben ist ein persönlicher Akt zwischen zwei Menschen. Wenn ich dem anderen vergebe, dann bedeutet das noch lange nicht, dass der Staat von gesetzeswegen den Übeltäter nicht anklagen muss, denn der Staat sollte die Menschen vor Folgetaten des Gewalttäters schützen.
Vergeben ist ein persönlicher Akt: Ich kann als Mensch nicht einem Menschen vergeben, der einem anderen etwas Böses angetan hat. Das muss der Geschädigte tun.
Hier setzt freilich ein christliches Moment ein und geht darüber hinaus: Ich kann mir von Gott die Schuld vergeben lassen, wenn mich ein anderer an meine Schuld fesseln möchte. Das kann und darf freilich keine oberflächliche Angelegenheit sein, sondern muss mich zutiefst bereuen und mich zu einem anderen Menschen machen – einen, der sich von Gott bestimmen lässt.
Jesus lässt seine Nachfolger im Vater unser beten: Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben denen, die an uns schuldig geworden sind. Ohne auf diese schwierige Bitte im Detail eingehen zu wollen: Den anderen an seiner Schuld festzukleben bedeutet, die Gemeinschaft zu stören. Eine christliche Gemeinschaft löst einander von der Schuld, damit man frei und offen miteinander umgehen kann. Hier geht es nicht nur um kleine Schuld – sondern auch um massive Schuld, die auch aus jüdischem Kontext zu verstehen ist.
Das freilich, was Jesus am Kreuz sagt, ist schier unglaublich: Vergib ihnen, die mich kreuzigen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Ebenso betet laut Apostelgeschichte der erste Märtyrer, also der erste Christ, der um seines Glaubens willen gesteinigt wird. Und diese großartige Form der Vergebung kennen wir die gesamte Kirchengeschichte hindurch bis hin in die Gegenwart, in der eine Frau den Hinduextremisten vergab, die ihren Mann und ihre Söhne ermordet haben bzw. die Nonne, die ihren hinduistischen Vergewaltigern vergeben hat.
Diese große Vergebung – so nenne ich sie – ist ein besonderer Glaubensakt, eine besondere Glaubenstat, die wohl nur Menschen vollbringen können, die tief im Glauben stehen, die wirklich in und aus Jesus Christus heraus leben. Sie sehen diese Gewalttat als eine an, die gegen Gott gerichtet ist, und von daher wissen die Menschen tatsächlich nicht, was sie tun. Sie meinen, einen Menschen zu vernichten – greifen aber Gott an. Und im Namen Gottes dann Vergebung zusprechen zu können, ist vom Heiligen Geist gewirkt, ist etwas, das dem Menschen als sündigem Menschen nicht zuzutrauen ist. Warum? Hat man ein Unrecht verziehen, muss man es aus dem Gedächtnis löschen – aber das “muss” klappt nicht. Man kann dem Gehirn nicht befehlen: Vergiss – man kann ihm auch nicht befehlen: Vergib!
Vergeben – ja. Vergessen – nein. Oder: Vergeben ist nicht vergessen…
Für diesen intensiven Glauben gehören vergeben und vergessen zusammen. Vergeben ist ein Verstandesakt, der aus dem Glauben heraus emotional begründet ist. Wenn Gefühl und Verstand nicht zusammenarbeiten, dann kann dem Vergeben kein Vergessen folgen, weil nur der Verstand gearbeitet hat oder nur das Gefühl. Beides arbeitet beim christlichen Vergeben zusammen, da es vom Maßstab der göttlichen Liebe geleitet wird und die lässt sich nicht teilen in Verstand und Gefühl. Und wenn wahre Vergebung nicht aus dieser göttlichen Liebe heraus fließt, dann sind es Worte, die den Menschen spalten.
Der Spruch: Vergeben ja, vergessen nein – beinhaltet eine gewisse Vorsicht. Ich vergebe einem Menschen das, was er mir angetan hat. Allerdings: Ich signalisiere mit dem Hinweis auf das vergessen, dass ich auf der Hut vor ihm bin, dass ich ihm diese Chance gebe – aber, falls er mir wieder übel kommt, dann mich zu verteidigen weiß.
Diese Art der Vergebung ist freilich keine echte Vergebung, sondern eine Vergebung auf Zeit.
Ein Versuch, zu vergeben und vergessen ist es, sich in den anderen hineinzuversetzen – und dann merkt man, ich hätte es auch tun können – und somit verzeihe ich ihm. Das klappt allerdings nur bei kleinen Taten. Denn die bösen Taten fügen Schmerzen zu. Sie prägen sich tief ein.
Da Christen in der Regel Menschen sind – kommt nach dem Vergeben nicht immer das Vergessen. Was wir tun können: Unser erneutes Daran-Denken immer wieder in Gottes Hand legen und ihn bitten, an mir und demjenigen, der mir Schlimmes angetan hat, zu arbeiten.
Jesus lehrt im Matthäusevangelium, dass der Nachfolger vergeben soll, unendlich viele Male. Warum? Weil ihm vergeben wurde. Wer befreit ist, kann andere befreien. Und der Vergebungsbitte im Vater-Unser geht eine wichtige Anrede voran: Vater. Wer an Gott, den Vater glaubt, kann auch den Kindern Gottes, seinen Geschwistern vergeben. Wer betet: Dein Reich komme, dein Wille geschehe… – der will die Vergebung jetzt schon leben, damit wahre Gemeinschaft entstehen kann.
Das wissen wir alles. Dennoch ist das Vergeben -Lernen ein sehr, sehr schwerer Prozess – und läuft parallel zur enger werdenden Beziehung zu Jesus Christus. Das ist die Voraussetzung. Je enger wir an der Liebe Jesu gebunden sind, desto leichter fällt Vergebung – und Vergessen.
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