Dass es keinen moderaten Islam geben würde, sondern nur Islam, das wissen wir von Erdogan. Alles andere, so haben wir inzwischen von vielen anderen gehört, beleidige den Islam, versuche den Islam zu spalten usw. usw. usw. Es gibt dennoch liberale Muslime, so in Indonesien, die sich auch als solche bezeichnen. Ein liberaler Muslim namens Ulil Abshar Abdalla, der ein Netzwerk liberaler Muslime aufbaute, wollte nach Malaysia, um an einem Forum teilzunehmen – darf aber nicht. In diesem Zusammenhang wird formuliert, dass Liberalismus und Pluralismus in der Religion gegen den Islam sei. http://www.jihadwatch.org/2014/10/malaysia-muslim-group-demands-ban-of-publications-promoting-religious-pluralism Dass er freilich privat so seine Schattenseiten hat, wurde auch aufgedeckt: http://en.wikipedia.org/wiki/Ulil_Abshar_Abdalla Das aber ist nicht der Grund, ihn nicht einreisen zu lassen.
Wie die innerislamische Auseinandersetzungen auch aussehen: Christen stehen vielfach unter Druck: http://www.persecution.org/2014/10/13/malaysian-christians-lash-government-after-supremacist-evades-prosecution/
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ISIS redet Tacheles: Sie haben Sklavinnen – aber sie stehen ihnen auch zu „so habe es schließlich schon der Prophet Mohammed bei seinen Eroberungszügen gehalten“ http://www.spiegel.de/politik/ausland/is-islamischer-staat-verschleppt-frauen-als-sklavinnen-a-996814.html Dass die Mehrheit der Muslime diese Tradition nicht für besonders cool hält, wird auch in dem Artikel gesagt: „Millionen Muslime sehen Sklaverei nicht als Teil ihres Glaubens an.“ Auch diese Aussage ist sehr interessant, denn es gibt 1,57 Milliarden Muslime. In der EU leben ungefähr 10 Millionen Muslime (die Zahl halte ich nicht für richtig, ist aber hier zu lesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Islam_in_Europa#Europa_und_der_Islam_.28Schl.C3.BCsseldaten.29)
Die ISIS ist in Kobane – also kann man die Stadt in Schutt und Asche legen – irgendwie trifft man sie ja dann. Und was wird aus Bagdad? Die Isis steht kurz davor. Auch die Stadt in Schutt und Asche legen? Übrigens hat das Assad auch gemacht: Städte, die von Islamisten übernommen worden waren, bombardiert. Ich habe auch keine bessere Idee. Ahne aber nur: Das klappt so nicht. So sehr den Kurden in Kobane Erfolg zu wünschen ist: Wir hören täglich: Kurden melden Erfolg – und dann: ISIS ist weiter eingedrungen… Sind die Erfolgsnachrichten Durchhalteparolen? Dass die schiitischen Milizen im Grunde auch nicht menschlicher sind als die ISIS ist bekannt bzw. kann man sich denken. http://www.nzz.ch/international/naher-osten-und-nordafrika/obama-haelt-kriegsrat-1.18403810 Welche dieser Gruppen ist das schon? Ein Öllager in Brand zu schießen – ich frage wieder: ist das eine Lösung? Besser wäre es, sie durch Truppen zu isolieren, sodass die Leute aufgeben müssen. Aber soweit sind die Alliierten gegen die ISIS noch lange nicht.
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Dieses Gespräch zwischen Hamed Abdel-Samad und Lamya Kaddor ist interessant. Abdel-Samad geht in der Diskussion vom Selbstverständnis des Koran und der weltweiten Mehrheits-Interpretation aus – was von Kaddor als fundamentalistisch bezeichnet wird. Für Kaddor muss der Koran kontextualisiert werden, das heißt: Allah spricht zu Mohammed Männer-dominant, weil er sonst in der damaligen Gesellschaft nicht durchgedrungen wäre – und das muss man heute – in einem anderen Kontext natürlich ändern, das heißt Mädchen und Frauen seien genauso zu respektieren wie Jungen und Männer. Zudem: „Die Muslime müssen, wie im Judentum und im Christentum, das Bewusstsein für Pluralität entwickeln. Wir müssen eine Jugend heranziehen, die kritisch und mündig mit Religion umgeht.“
Dieser Islam ist wünschenswert, von daher ist Frau Kaddor zu unterstützen – aber: Die Priorität hat in einer solchen Auslegung nicht der Koran, sondern der gesellschaftspolitische „Kontext“. Nicht das Wort Allahs ist Wahrheit, die allezeit gilt, sondern es gilt dann im Grunde nur für die Zeit Mohammeds. In unserer aufgeklärten christlichen Welt haben eben Aufklärung und Christentum die Priorität – und wie ist es in einer hinduistischen Welt? In einer atheistischen Welt wäre der Maßstab der Atheismus. Wie dem auch sei: Diese Interpretation widerspricht vollkommen der Interpretation, die Koran, Ahadith und Tradition des Islam vertreten. Mohammed zieht mit Koran und mit seinen Aussprüchen und Taten, die in den Ahadith wiedergegeben werden, einen sehr engen Kreis um Allahs Aussagen, der keinen Raum lässt für eigenes Nachdenken und von der Umma abweichende Interpretationen. Und von daher finde ich es spannend: Bleiben echt so viele Menschen beim Islam, weil er so wunderbar spirituell ist? (Muslime, die Christen und Atheisten werden wollen, können ein Klage-Lied von dem Druck, den die muslimische Gemeinschaft auf sie ausübt, singen.) Kann sich das, was Kaddor fordert, echt durchsetzen? Versuchen kann man es und muss es, damit die islamische Gesellschaft freier und verantwortlicher wird. Auf diesen Gedanken kommt Kaddor nicht durch den Koran selbst, sondern aufgrund der Divergenz in der Koran-Auslegung. Die unterschiedlichen Auslegungen sind also eine Tugend, die verantwortliches Nachdenken fordern. Was würde wohl Mohammed aus seinem Kontext dazu sagen, bzw. Allah aus einem anderen Kontext? http://www.cicero.de/berliner-republik/streitgespraech-hamed-abdel-samad-vs-lamya-kaddor-kein-islam-ohne-islamismus/58344
Abdel-Samad sagt im Grunde nicht viel. Was er sagt, wird von Kaddor als undifferenziert, fundamentalistisch, islamophob, Polemik interpretiert. Aber er gibt nicht seine Träume wieder, sondern die Ansichten des Islam weltweit – freilich bis auf muslimische Ausnahmen. Und jeder Nichtmuslim hofft, dass sich diese Ausnahmen durchsetzen werden. Sehr sympathisch ist der aufgeklärte-christliche menschliche Ansatz von Kaddor. Die Frage stellt sich dann nur noch: Was hat es dann noch mit Allah, Mohammed und Koran bzw. Ahadith auf sich? Kann man sie im Grunde nicht vergessen? Worin besteht nun die über die Zeit andauernde Konstante? In den aus dem Koran herausgepickten Rosinen? In Allah, den man dann doch kontextuell verstehen muss? Das hätte Abdel-Samad Kaddor fragen können. Ich hätte gerne gewusst wie sie darauf antwortet. Denn das wäre immens wichtig.
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