Die christlichen Dichter des 20./21. Jahrhunderts stehen in einer langen Reihe christlicher Dichter. Christliche Dichtung finden wir schon im Neuen Testament. Ein paar seien genannt. Die folgenden Zusammenfassungen sind meine Interpretationen. Aber es ist nicht schwer, an die Texte zu kommen und eigene Interpretationen zu erstellen.
In ihnen finden wir jüdische und pagane Traditionen aufgenommen – das ist deutlich. Aber sie setzen eigene inhaltliche Akzente. Diese Akzente durchbrechen die Grenzen, die Menschen einengen, sie zerreißen Fesseln, die Menschen binden. Hymnen versuchen sprachlich die Welt in ein neues Licht zu tauchen. Dieses neue Licht Gottes soll die Menschen anstecken, auf dass sie selbst von diesem Licht ergriffen zu Licht werden. Sie heben den Menschen hoch, heben sie aus dem Dunstkreis heraus in die frische Luft Gottes. Darum werden sie in einer überschwänglichen Sprache formuliert:
Philipperbrief 2,5-11
Jesus war bei Gott – wurde Mensch – starb den Schandtod am Kreuz – wurde von Gott erhöht.
Paulus zeigt, dass Gott selbst die Fesseln sprengt – der Mensch hat aufgrund dieses Verhaltens Gottes ein Vorbild für eigenes Verhalten bzw. ist in der Lage, sich menschlich zu verhalten.
Epheserbrief 1,3-14
Gott hat uns in Jesus Christus erwählt – zu seinem Lob zu handeln – in Jesus Christus Erlösung – in Jesus Christus Offenbarung des Geheimnisses – in Jesus Christus die Fülle der Zeit und der Schöpfung – in Jesus Christus die Gabe des Geistes – in Jesus Christus: wir.
Im Epheserbrief wird den Menschen gezeigt, wie groß Gott sie macht: Erkenntnis Gottes durch Gott, Herrlichkeit der Auferstehung, immens groß ist Gottes an uns wirksame Kraft, Gottes Liebe wirkt an Menschen gute Werke. Der Hymnus steckt den Autor also an, weiter hymnisch zu sprechen.
Kolosserbrief 1,15-20
Jesus Christus ist Gottes Ebenbild – alles ist in ihm, durch ihn, zu ihm hin – Jesus Christus ist Herr der Gemeinde – mit ihm die Auferstehung – in ihm die Fülle Gottes – durch ihn Frieden mit Gott zu Gott – durch seinen Tod.
Im Kolosserbrief wird gezeigt, dass der Friede Gottes, der durch Jesus Christus Menschen erfasst, Auswirkungen hat auf die zwischenmenschliche Beziehung. Es gibt keine Trennung mehr zwischen Heiden und Juden – und: das Evangelium wird allen Geschöpfen gepredigt, das heißt: Durch das Evangelium wird nicht nur die Möglichkeit geboten, dass Menschen miteinander Frieden haben, sondern auch mit der Schöpfung. Diese Einheit ist zu leben – darum wirbt der Brief.
Johannes-Evangelium 1,1-18
Jesus Christus ist Gottes Schöpfungswort – Jesus Christus ist das Leben und das Licht – Jesus Christus kam in seine Welt und wurde nicht aufgenommen – Menschen, die ihn aufnahmen, sind Gottes Kinder, sind neu – sie sahen die Herrlichkeit Jesus als Sohn Gottes – eine Herrlichkeit voll Gnade und Wahrheit – verkündigt durch Gott selbst.
Mit diesem Lied beginnt das Johannesevangelium. Es ist das Vorzeichen für das, was folgen wird: Berichte über Jesu Worte und Taten. Das sind Versuche, das Herrliche, das erkannt wurde, in Worte zu fassen. In das Licht der Auferstehung Jesu Christi wird dessen Leben und Reden getaucht. Wer das nicht erkennt, erkennt nicht die Herrlichkeit Gottes, erkennt nicht Gnade und Wahrheit. Dunkel bleibt um ihn herum, Unbarmherzigkeit und Verführung zur Lüge. Die Grenzen dieser Finsternis werden durchbrochen für den, der Jesus Christus angenommen hat. Herrlichkeit, Gnade und Wahrheit bestimmen sein Wesen.
1Timotheusbrief 3,16
In Jesus Christus offenbart sich Gott als Mensch (Fleisch) – erkannt im Verstand (Geist) (oder durch Geist Gottes) – verkündigt den Geschöpfen – wurde verherrlicht.
(Selbst dieser 6-Zeiler ist sehr schwer zu interpretieren – was ihn um so spannender macht.) Wenige Zeilen sprechen das „Geheimnis/Mysterium des Glaubens“ aus, dieses ist tragender Pfeiler der Gemeinde und Basis für die Wahrheit. Inwiefern, das wird an den vorangehenden und folgenden Verhaltensanweisungen im Brief verdeutlicht.
1 Petrusbrief 2,21-25
Christus ist ein Vorbild, dem zu folgen ist – das reine Vorbild im Leiden – nahm am Kreuz unsere Sünde, damit wir gerecht leben – irrende Schafe waren Menschen, sie folgen nun dem Hirten.
Dieses Lied durchbricht die Grenzen in ganz neue Art und Weise. Leiden ist nicht mehr sinnlos, Leiden wird Teil der Nachfolge, wird Zeugnis für den, dem man gehört: Jesus Christus. Eingebettet wird dieses Lied in die Ermahnung an Sklaven. Warum wird die Ermahnung so hervorgehoben? Weil die Sklaven nicht allein leiden, sondern die gesamte Gemeinde, an die der Brief gerichtet wird, ist eine Leidende. Dieses Lied, vielleicht das Lied eines christlichen Sklaven, wird ein Ermutigungslied für die Gemeinde, das die Fesseln des Leidens sprengt.
Fazit
Es ist möglich, dass die Gemeinden, denen die Lieder geschrieben wurden, diese kannten. Vielleicht in ihnen selbst gedichtet wurden. Mit ihnen wird einmal die Argumentation unterstützt: Wisst ihr eigentlich, was ihr singt, welche Bedeutung dieses euer Lied hat? Zum anderen sind sie mehr als Argumentation: Hymnen, Lieder, Gedichte beinhalten immer ein „Mehr“ als der Kontext verlangt. Sie sprengen die Argumentation, stoßen ein Loch in die verschlossene Höhle, Licht und Luft dringen herein.
Wichtige Texte aus dem Neuen Testament habe ich nicht genannt: Marias Lobgesang (Magnifikat; Lukas 1,46-55) und den Lobgesang des Zacharias (Benediktus; Lukas 1,67-79). Wunderbare Texte ganz in jüdischer Tradition, die aus christlicher Perspektive gelesen (relecture) funkeln.
Nachtrag: Es ist unbedingt auch Apg 4,24ff. zu berücksichtigen.
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