Die Verrohung der Sprache wird zu recht angeklagt. So auch wieder von der Kanzlerin am gestrigen Tag. Aber eine Verrohung der Sprache ist Folge politischer Auseinandersetzungen. Wir kennen das doch schon seit Jahrzehnten. Das soll sie nicht entschuldigen, aber eine Verrohung der Sprache hat nicht selten die Folge, dass man öffentlich erst auf Probleme aufmerksam wird. Verrohung bedeutet entsprechend auch: plakativ sprechen, undifferenziert. Man muss dann allerdings politisch wieder einen gemeinsamen Weg finden und zusammenfinden. Die Verrohung der Sprache darf nicht zu einer Verrohung der Gesinnung ausarten.
Die Verrohung der Sprache wird häufig am Beispiel des Asyltourismus benannt. Aber das ist ja noch verhältnismäßig harmlos gegenüber all dem, was wir mit Blick auf Seehofer/Söder und Trump/Putin an Anklagen lesen können. Das bedeutet: Die Verrohung der Sprache kommt in der Öffentlichkeit erst dann auf die Agenda, wenn sie nicht von Linken/Liberalen usw. kommt. Ich denke, an dieser Stelle sollten alle über die Sprache nachdenken, über die Verwendung der Sprache.
Man hört in diesem Zusammenhang immer wieder: Keine Toleranz den Intoleranten! Das ist ein schönes Wort – aber das heißt doch, dass jeder den politischen Gegner, so er nicht auf der politisch angenehmen Mittellinie schwimmt, der nicht alles mitmacht, was so von sich selbst als solche ernannte wie auch immer Eliten gefordert wird, als intolerant angesehen wird (ich und meine Gesinnungsgenossen sind immer die Wahren, Guten, Schönen). Von daher wird das Wort immer stärker von Menschen verwendet, die ihre eigene Intoleranz damit verkleistern wollen. Ich werde zumindest sehr hellhörig: Wer verwendet dieses Wort? Warum? Will er seine eigene Intoleranz mit einem solchen Spruch verdecken – aber damit gleichgesinnten Intoleranten signalisieren, dass man so wie sie tolerant ist und einen gemeinsamen Gegner politisch massivst intolerant bekämpft?
Dieses Wort, das sehr wichtig ist, weil es die Frage stellt, wie kann sich eine Demokratie vor Menschen schützen, die die Demokratie missbrauchen, um eine Tyrannei durchzusetzen. Diese Frage ist virulent und muss virulent bleiben – es kann keine eindeutige Lösung geben, weil eben die eindeutige Lösung dazu führen würde, dass man eine Tyrannei errichtet – indem man vorgibt, gegen Tyranneien zu sein. Eine inflationäre Verwendung dieses wichtigen Satzes sollte vermieden werden. Vor allem auch dann, wenn damit eine Verrohung der Sprache legitimiert werden soll.