Bibel 2: Mythos, Bilder der Bibel, Bibel als Wort Gottes, Anwesenheit Gottes in gottloser Welt

Biblische Texte sind – z.B. von Matthäus – für die jeweiligen Adressaten ihrer Zeit geschrieben worden. Sie greifen ihre Fragen auf, sind an die konkreten Adressaten gerichtet.

Diese Texte wurden dann von der Gemeinde verbreitet und schließlich kanonisiert, das heißt: Menschen, die an Gott in Jesus Christus glauben, haben ihren Glauben in diesen Texten wiedergefunden – und das geschah in Glaubenden zu allen Zeiten – und die Texte haben Glauben geweckt.

Glaubende  kontextualisieren die Texte bzw. ergründen deren Relevanz für das eigene Leben. Zwangsläufig kommt es dabei zu unterschiedlichen Interpretationen. Das ist nicht schlecht, sondern fordert zum Dialog auf, ebenso ist das nicht schlecht, weil die Texte eben jeden Menschen in seiner jeweiligen Situation ansprechen. Wir Menschen sind verschieden – und so sprechen die Texte uns auch unterschiedlich an, auch abhängig davon, in welcher Situation wir leben. Sie bestehen nicht einfach aus kalten, rationalistischen Wörter-Geweben oder mathematischen Formeln. Darum sind Gebet, Meditation usw. eine Möglichkeit, sich ihnen anzunähern und sich ihnen zu öffnen. Mit Empathie für den Text / Autor / Leser versteht man mehr, weil man dann in einen Dialog eintreten kann – und sich nicht dominant über den Text erhebt.

An dieser Stelle noch ein Hinweis zu Mythos. Der Mythos ist Welt-Erklärung aber er ist in einer Zeit, die den Mythos als Mythos erkennt, nicht passé. Nehmen wir die Schöpfungsgeschichte: Es geht in dem Schöpfungslied Genesis 1 nicht nur um die sieben Tage der Schöpfung, die den siebten Tag – den Sabbat – begründen sollen, sondern in einer Zeit des Chaos (Babylonische Gefangenschaft?) sagt der Text: Schöpfung ist in seiner Grundlage gut. In einer Zeit der Entwürdigung wird gesagt: Der Mensch ist Ebenbild Gottes – jeder Mensch hat gleiche Würde. In einer Zeit des Zweifels an Menschen wird gesagt: Die Welt ist kein Zufall, sie ist von Gott gewollt. Und das bleibt, auch wenn ich aus der jeweils neuen Perspektive den Mythos anders verstehe. Texte sprechen mich in meiner Tiefe an, wenn ich mich darauf einlasse, auf sie höre, sie ernst nehme. (Damit gehe ich auf die psychologisch orientierte Exegese ein.) Darin unterscheiden sie sich von möglichst einfachen Alltags-Texten. Man muss sich ja auch in Gedichte einlesen, in philosophische oder wissenschaftliche Texte – aber anders als die letztgenannten Texte erreichen sie meine Psyche auf einer anderen Ebene. (Wobei die alten philosophischen Texte sehr viele Bilder einweben. Einprägsam sind Bilder auch in zeitgenössischen Philosophien. Sie bleiben hängen – mehr als das ganze philosophische Gebäude drumherum.) Sie sind nicht nur rational zu erfassen. Die Bilder biblischer Texte wirken. Gott spricht durch Träume, Gottes Mächte sind als Boten anwesend, Bilder der Angst werden aufgegriffen und aufgelöst – sie wirken auf tieferer Ebene als die Ratio. (Allerdings können sich auch Bilder der Angst festsetzen – wenn man sie aus dem Kontext isoliert.) Und so sind für die Psyche der Menschen gerade die Texte wichtig, die Wunder, Träume… ansprechen, also Texte, die dem Historiker nur historisch wichtig erscheinen aber aus der gegenwärtigen rationalen Perspektive als unrealistisch beiseite geschoben werden. Das Unbewusste, das angesprochen wird, ist vielfach relevanter als das, was durch das Bewusstsein gefiltert wird. Wenn man das erkannt hat, dann erkennt man auch, an welchen Stellen Texte gefährlich werden können. Das muss man erkennen und auf die Ebene des Bewusstseins heben. Aber nicht alles, was den Menschen auf der unbewussten Ebene anspricht, ist gefährlich. Im Gegenteil: Gerade das, was wir im NT lesen – was wir unter diesem Vorzeichen im AT lesen, kann äußerst wichtig sein für die Lebensbewältigung: Geborgenheit, Freiheit, Kraft zu widerstehen…

Und so sind die biblischen Texte vielfältig: Man nimmt auch als Leser Rollen ein: Gleichnisse, Wunder fordern dazu auf, Stellung zu nehmen. Alles auf der Ebene des Unbewussten. Diese Texte kann man auf die rationale Ebene heben, kann sie reflektieren, um dann bewusst Antwort zu geben. Aber all das ersetzt nicht ihre Tiefenwirkung.

Als menschliches Wesen verdanke ich nicht mich selbst. Ich verdanke mich biologisch den Eltern. Aber ich verdanke mich auch – ausgehend von der engeren Familie – psychisch den Menschen um mich herum, ich nehme ihre Aussprache, ihre Verhaltensweisen auf, sie prägen mich auch unbewusst… Ich bin Empfangender und so erfahre ich mich auch als Bibelleser: als Empfangenden der Liebe Gottes. Des Gottes, der befreit, der Wegweisung gibt, der mich zurechtweist… – der mich mich selbst schenkt. Ich erfahre ihn aber auch als einen, der sich mir in seiner Freiheit entziehen kann und dem ich mich in meiner Freiheit entziehen kann. Beides sind schmerzhafte Lebensvorgänge. So sind die Jesus-Texte mehr als nur Texte: Sie sagen, dass Gott anwesend ist. Durch sie bricht Gott in meine Welt ein, in der Gott abwesend ist. Nicht jeder Text muss sich mir als Wort Gottes erweisen, outen, sondern in dem Einbruch Gottes in meine Welt durch die Texte kann mir ein bestimmter Text zu Gottes Wort werden. Bibel allgemein als Gottes Wort zu bezeichnen, ist abstrakt, losgelöst von meinem Leben. Aber die Texte können Gott mit meinem Alltag verweben. (Von der Bibel pauschal als Wort Gottes zu sprechen ist insofern berechtigt, als die Kirche – also die Menge von glaubenden Individuen jeweils unterschiedliche Texte bzw. in unterschiedlichen Lebensabschnitten Texte als ein solches erfahren.) So werden die Texte zu Texten die nicht mehr in sich verwoben sind sondern Gott einweben und auch mich einweben. Wenn ich es denn zulasse.

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