Wenn man einen vermutlich Kriminellen vor dem Lynchmob schützen will, muss man dann sagen: „Leute, ich finde nicht toll, was er gemacht hat, aber ihr solltet euch beruhigen!“? Dass man die kriminelle Tat nicht gut findet, versteht sich von selbst. Es gebietet aber die Menschlichkeit und das Recht, diesen Menschen vor den unmenschlichen Bluthunden zu schützen – auch wenn der Kriminelle selbst ein unmenschlicher Bluthund war.
Was mir nun auffällt ist, dass ich unten in einem Blog etwas gemacht habe, das ich nicht machen möchte, aber aus Selbstschutz mache: Ich habe im Kontext von Le Pen gesagt: Ich bin nicht ihr Fan, aber… Das heißt, ich finde manchen Umgang mit ihr unangemessen, allein aus Gründen der Fairness und der Menschlichkeit. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Dennoch muss man heute sagen: Ich bin nicht ihr Fan – um nicht den Zorn irgendwelcher Zeitgenossen auf sich zu lenken.
(Ich muss noch denen sagen, die nicht so denkfähig sind: Der Vergleichspunkt liegt nicht auf Le Pen und kriminell und auf ihre Kritiker als unmenschliche Bluthunde. Der Vergleichspunkt ist: Ich muss Menschen schützen, auch wenn ich mit ihnen nicht übereinstimme, ohne sagen zu müssen, dass ich nicht mit ihnen übereinstimme.)
Eine ganz andere Frage ist es: Wie gehen wir als Gesellschaft mit Menschen um, die wir für gefährlich halten, von denen wir meinen, sie führen die Gesellschaft in die Irre? Das ist bekanntlich eine schwer zu beantwortende Frage. Aber sie kann nicht so beantwortet werden, dass ich die (vermeintliche) Unmenschlichkeit kopiere. Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft – und dazu gehört es auch, die demokratisch legitimen Mittel auszuschöpfen, zu vertrauen, dass sie stabil sind und die Gesellschaft zu stärken. Aber extreme Menschen an der Spitze deuten auch immer darauf hin, dass in den Jahren zuvor vieles falsch gelaufen ist. Das, was falsch gelaufen ist, das muss man benennen und darauf hinarbeiten, dass die Fehler abgebaut werden – und nach ca. vier Jahren, wenn der Mann oder die Frau an der Spitze wirklich übel sind – sie wieder abwählen. Und dann das demokratische System nachjustieren, damit es wirklich besser gegen schwierige Menschen standhalten kann. Mehrheiten sind übrigens Mehrheiten. Das mag man noch so sehr bedauern oder als gefährlich ansehen. Aber jede Minderheit hat die Chance, demokratisch aktiv zu werden, dass sie Mehrheitsmeinung hinbekommt.
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Zweites Thema: In zeit-online gibt es einen langen Artikel über Tichy http://www.zeit.de/2017/06/roland-tichy-tichys-einblick-meinungsportal-einwanderungspolitik . Dieser Artikel macht neben anderen einen gravierenden Fehler: Er geht davon aus, dass man als Mensch etwas sagt – und das hat Ewigkeitsbestand. Er vergisst, dass wir unser verantwortliches Reden auch von der Situation abhängig machen müssen. Wer das nicht tut, der ist ein Ideologe, der seine einmal als richtig angesehene Meinung, was auch immer komme, durchsetzen will.
Ich finde Ameisen sind tolle Tiere – ich hatte es neulich im Blog. Ich bewundere diese Krabbeltierchen. Aber: Ich mag sie nicht in der Küche. Im Garten gerne – aber in der Küche haben sie nichts zu suchen. Wenn ich nun sage: Ich bewundere Ameisen und sie aus der Küche vertreibe, dann könnte jemand sagen: Was machst du da, du hast doch gestern gesagt: Ich bewundere Ameisen!
Unsere Ansichten, die wir als Menschen äußern, müssen der Situation angepasst werden. Natürlich nicht so, dass man wie ein Fähnchen im Wind ständig der Mehrheitsmeinung hinterherläuft. Wir tragen Verantwortung für unsere Gesellschaft – und so müssen wir sie ganz genau beobachten: Wo läuft auch eine gut gemeinte Handlung falsch? Wo würde meine gute Meinung genau das gegenteil bewirken? Was muss gemacht werden, dass mein Grundprinzip gewahrt bleibt – aber ich es erst durchsetzen kann, wenn ich flexibel bin?
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Lesenswert: http://bazonline.ch/ausland/standard/freiheit-des-wortes-als-fundament/story/27331252
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