In diesem Beitrag gebe ich das Buch von Alvin J. Schmidt: Wie das Christentum die Welt veränderte wieder.
Dass Herrscher nicht über dem Recht stehen, das erfahren wir aus vielen biblischen Büchern. Man erinnere sich nur an den kritisierten David und die vielen Propheten, die Herrscher kritisierten, weil sich Herrscher anmaßten, über Gottes Gesetz zu stehen. Im 4. Jahrhundert hat Bischof Ambrosius den Kaiser Theodosius gezwungen, öffentlich Buße zu tun, weil er das Gesetz gebrochen hatte: Er hatte 7000 Bürger töten lassen, was Ambrosius ahndete. Die Magna Carta aus dem 13. Jahrhundert zwingt den König Johann I. Ohneland, sich an Recht und Gesetz zu halten. Einer der Väter der Magna Carta war der Erzbischof Stephen Langton, der bei dem damaligen Papst in Ungnade gefallen war. Das bedeutet, dass Päpste nicht als Päpste automatisch als Stimme der Christen zu gelten haben. Jeder, der sich mit dem Papsttum befasst, weiß, dass Christen auch gegen den Papst den Glauben leben mussten.
Das Naturrecht ist für die antike Philosophie wichtig gewesen. Das heißt, der Verstand erkennt an der Natur, was richtig und was falsch ist. Das Naturrecht ist Basis der menschlichen Gesetze. Christen haben diese Sicht übernommen, aber um einen wesentlichen Punkt erweitert: Die Natur ist nicht losgelöst von Gott zu betrachten, da sie ja seine Schöpfung ist. Von daher hat die Bibel ein gehöriges Wörtchen darüber mitzureden, was Naturrecht ist, was nicht.
John Locke hat im 17. Jahrhundert den Herrschern das Recht abgesprochen, sich über die Grundrechte hinwegzusetzen, da die Herrscher nur dazu da seien, das Naturrecht zu unterstützen. (Was eben aus der biblischen Tradition herkommt – das heißt: das Naturrecht legitimiert nicht den autarken Volksführer.) Ebenso spricht die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vom natürlichen und göttlichen Gesetz – und eine Regierung, die dagegen verstößt, könne durch das Volk abgesetzt werden. Die Unabhängigkeitserklärung spricht von selbstevidenten Wahrheiten, das heißt, es muss nicht bewiesen werden, dass dies und jenes Wahrheit ist, weil sie es ist. Und woher weiß der Mensch das? Weil er als Ebenbild Gottes mit der Vernunft begabt wurde, und Wahrheit eben erkennen kann. Und er kann erkennen, dass er sich vor dem Weltenrichter verantworten muss (Unabhängigkeitserklärung/Locke). Damit greifen die Denker der Zeit auf Paulus und Augustinus zurück.
Das Naturrecht aus christlicher Perspektive geht davon aus, dass alle Menschen gleiche Würde haben, darum eben ein Herrscher sich nicht einfach über das Recht erheben darf, denn er selbst steht unter dem Gesetz Gottes.
Alle Menschen haben gleiche Würde, aber jeder hat auch Freiheit. Das ist im Neuen Testament grundgelegt, da Jesus Christus jedem Menschen zumutet, seinen eigenen Glaubensweg zu gehen und das mit Blick auf den Nächsten. Man kann sich nicht auf das Gesetz, nicht auf das Volk, nicht auf die Regierung berufen: Jeder ist frei und verantwortlich für sein Leben. Jeder – das heißt: jedes Individuum. Der Mensch ist nicht nur Teil einer Gruppe, sondern auch Individuum. Diese Sicht vom Menschen als Individuum, als freies Individuum, prägt viele grundlegende Texte: Magna Carta, Petition of Rights, Bill of Rights. Christen haben sich zwar in der Antike nicht auf ihre Rechte berufen – aber sie haben Verantwortung getragen, weil sie wussten: Jeder hat auf seine Weise als Individuum verantwortlich Gottes Willen zu tun (vgl. Bergpredigt; und die Entscheidung für den christlichen Glauben war eine Entscheidung des Individuums zum Teil auch gegen die bisherige heidnische oder jüdische Gruppe). Gegen diese neutestamentlichen Grundlagen haben sich vielfach auch die Kirchen gewendet, wie Faschismus, Kommunismus und gegenwärtige Strömungen in der Gesellschaft. Sie haben die Freiheiten des Individuums, die Würde nicht anerkannt, sie haben z.B. die Religionsfreiheit eingeschränkt (z.B. Inquisition). Der Wille Jesu hat sich dann letztendlich durchgesetzt. Übrigens hat sich Luther in der Wormser Rede auf sein Gewissen berufen und gefordert, rational begründet widerlegt zu werden.
Dann spricht Schmidt die Trennung von Kirche und Staat an. Sie beruht auf dem Wort Jesu: Gebt Gott, was Gottes ist und dem Kaiser, was des Kaisers ist. Ein großer Teil des Mittelalters ist vom Streit darüber bestimmt, ob der Kaiser den Papst beherrscht oder der Papst den Kaiser – denn der Kaiser ist Christ und dem Papst untertan und der Papst ist als Bürger des Staates dem Kaiser untertan. Wir haben hier also eine ununterbrochene gegenseitige Herrscherkritik. Luther betonte die Zwei-Reiche-Lehre: Die Kirche hat die Aufgabe, das Evangelium zu predigen und der Staat hat die Aufgabe, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten. Der Christ kann nun als Mensch der Welt in beiden Bereichen aktiv sein. Aber das, was Recht und Ordnung ist, die der Staat aufrecht erhalten muss, orientiert sich an Gottes Gesetz. Auch in der Folgezeit bedeutete das nicht, dass der Staat nicht die Kirche unterstützen solle, sondern nur, dass der Staat kein Recht hat, in religiösen Fragen einzugreifen. Es geht um Freiheit der Religion – nicht darum, die Religion zu bekämpfen.
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Das nächste Kapitel behandelt die Sklaverei. Sie galt in der Antike als “normal” (als Naturrecht). Die frühen Christen haben Sklaven als gleichberechtigte Mitglieder in ihren Gemeinden aufgenommen, aber sie haben nicht gegen die Sklaverei direkt gekämpft. (Am Rande: Was auch ein Unding gewesen wäre: Die Christen waren eine sehr kleine Minderheit und zum Teil selbst Sklaven. Aber sie haben der Sklavenhalter-Mentalität Kontra gegeben:) Paulus forderte den Christen Philemon auf, seinen Sklaven Onesimus als Bruder anzusehen. In den folgenden Jahrhunderten entließen viele Christen ihre Sklaven. Das wurde von den Herrschern sehr kritisch beobachtet. Die Vorarbeit vieler Christen, die sich gegen die Sklaverei eingesetzt hatten, wurde dann im 6. Jahrhundert durch Justinian realisiert: Gesetze, die die Freilassung von Sklaven verhinderten, wurden aufgehoben. Im 3. Jahrhundert wurde ein Sklave Papst (und der genannte Onesimus wurde, so die Tradition, im 1. Jahrhundert Bischof). Parallel dazu gab es aber auch immer Stimmen von Christen, die die Sklaverei verteidigten. Die Kultur, in der sie lebten, war ihnen in dieser Hinsicht wichtiger als der Geist des Neuen Testamentes. Im 17. Jahrhundert wurde (aus kapitalistischen Gründen) die Sklaverei wieder in christlichen Ländern sehr wichtig, obwohl sie im 12. Jahrhundert geächtet worden war. (Im muslimischen und asiatischen Bereich ist sie nie bekämpft worden.) William Wilberforce bekämpfte mit anderen die Sklaverei in England, die dann 1833 abgeschafft wurde (Anmerkung: Sklavenhandel wurde 1807 beendet, in Frankreich erst 1848). Es war ein heftiger Kampf, den der sehr engagierte Christ ausgefochten hatte. 1837 ist sogar ein Geistlicher (Lovejoy) in den USA ermordet worden, weil er sich gegen die Sklaverei eingesetzt hatte. Schmidt stellt den Kampf gegen die Sklaverei in den USA ausführlicher dar, erwähnt den deutschen Einwanderer Franz Daniel Pastorius, Mennonit mit Verbindung zu den Pietisten, der schon 1688 einen formellen Protest gegen die Sklaverei verfasste.
Zuletzt geht Schmidt auf den Pastor Martin Luther King ein, der den Rassismus bekämpfte. (Gerade an dem Thema Sklaverei und Rassismus ist zu sehen, dass sie im Westen so lange überleben konnten, weil viele, die sich dem christlichen Glauben zugewendet hatten, nicht das Evangelium lebten, sondern weiterhin in unmenschlichen Traditionen verstrickt waren.)
Der letzte Abschnitt wird Kunst, Musik, Literatur im Blick haben. In diesem Zusammenhang werde ich auch eine abschließende Bewertung des Buches vornehmen.
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